Absonderland

Trotz aller Affären und Querelen dürfte das System Haider seinen Mentor auch weiterhin überleben

von Franz Schandl

Legal oder illegal, das war immer scheißegal. Gestern wie heute. Keine Partei hat so viele Skandale vorzuweisen wie die Freiheitlichen unter und nach Jörg Haider. Die Skandalquote der Saubermacher liegt zweifellos weit über dem österreichischen Durchschnitt. Permanent ermittelt die Staatsanwaltschaft, eine Enthüllung jagt die nächste, Anzeigen und Vorwürfe, an denen meist etwas dran ist, reißen nie ab: Begünstigung, Geschenkannahme, Schmiergeld, Protektion beherrschen das Realszenario. Vor allem das System der Scheinrechnungen feiert fröhliche Urstände und entzückt durch geradezu astronomische Summen. Die aktuellen Vorgänge in Kärnten sollten daher keine Überraschung sein.

Andererseits, und das sollte nie vergessen werden, beschert gerade diese Aufregung eine Aufmerksamkeit, die die Freiheitlichen sonst nicht hätten. Die Dynamik des medialen Läufigkeit kommt ihnen somit auch zugute. Die publizistischen Salven geben nämlich nur sehr bedingt die Stimmung in Österreich und insbesondere in Kärnten wieder. Es ist vor allem ein beharrlicher Trugschluss, anzunehmen, dass die Leute wirklich gegen Korruption wären. Welch Irrtum!

Haider selbst ist es unzählige Male gelungen, Skandale positiv zu drehen, also dem Publikum das Bild des armen Verfolgten zu vermitteln und gestärkt aus den Affären hervorzugehen. Die Freiheitlichen sind unter ihren Skandalen nicht zusammengeschmolzen, geschweige denn zusammengebrochen, sondern größer geworden. Keine andere Formation hätte derlei ausgehalten. Blamagen sehen anders aus. Dass Haider nie clean war, das entging nicht einmal seinem Publikum. Doch hatte es dagegen etwas einzuwenden? Akkurat nicht. Gelungene Coups finden Anerkennung, ja Zustimmung. Futtertröge sind nur abzulehnen, wenn andere sich ihrer bedienen. Der Typus des hemmungslosen Karrieristen, nirgendwo wurde der so hochgezüchtet wie bei den Freiheitlichen.

Soviel Potenz und vor allem Raffinesse wie der große Inszenator haben seine regionalen Nachfolger aber nicht aufzubieten. Die letzte Landtagswahl in Kärnten haben sie bloß deshalb gewonnen, weil ein Toter sie erfolgreich in den Wahlkampf führte, es kein Plakat gab, wo nicht der Verunglückte seine Landsleute aus dem Jenseits angrinste. Die Leiche ist inzwischen allerdings nicht mehr so frisch und auch ziemlich angepatzt. Und die Verteidiger verteidigen ihn nicht so gerissen und schamlos wie der Tote es gekonnt hätte. Haiders Epigonen sind zwar vom gleichen Schlag, aber doch nicht auf dem gleichen Level. Das fällt schon auf, auch wenn sie dessen Dramaturgie zu imitieren versuchen. Die Gebrüder Scheuch sind diesbezüglich inzwischen über die Karawanken hinaus bekannt. Gemeinsam mit Landeshauptmann Gerhard Dörfler – das ist der, der mit Haiders Tod die Sonne vom Himmels fallen sah – führen sie die Kärntner Freiheitlichen und das Land von einem Fettnapf in den nächsten.

Vor einigen Wochen musste nun Uwe Scheuch sowohl als Landeshauptmannstellvertreter als auch als Kärntner Parteichef zurücktreten, weil er einem russischen Geschäftsmann die österreichische Staatsbürgerschaft verkaufen wollte. Ein mitgeschnittenes Telefonat wurde öffentlich und Scheuch in erster Instanz wegen „Vorteilsnahme“ verurteilt. Natürlich hat er Berufung gegen ein doch sehr saftiges Strafmaß (18 Monate Haftstrafe, davon 6 unbedingt) eingelegt.

In dem aufgezeichneten Gespräch gab Scheuch ganz unverhohlen zu verstehen, wenn auch unfreiwillig zu Protokoll: „Ich will nur eines sagen, ich will, wenn ein Investor kommt, in irgendeiner Form profitieren können für die Partei.“ Dass für den edlen Spender dabei ein österreichischer Pass rausschaut, sei „part of the game“, so Scheuch. Dezent, nicht? Aber bei 5 Millionen Euro. Da sind wirklich die Gambler unterwegs und demonstrieren, was sie unter Machertum verstehen. Wir können ganz sicher sein, dass unter der Decke solche Geschäfte absolut obligat sind.

Leider ist die Sache halt aufgeflogen. Zuerst wurde noch dementiert, dann nur noch kommentiert. Da der Deal ja letztlich nicht zustande gekommen sei, liege auch kein strafbarer Tatbestand vor, so etwa Landeshauptmann Dörfler. Und in einer Postwurfsendung an alle Haushalte in Kärnten schimpfte Uwe Scheuch über die „unfähige Justiz in unserem Land, weil Betrüger, Kinderschänder, kriminelle Asylwerber und viele mehr frei und unbehelligt (…) herumlaufen dürfen.“

Schließlich musste Scheuch aber doch das Handtuch werfen. Nichts naheliegender als eine Hofrotation zwischen Brüdern. Seit einigen Tagen ist nun Kurt statt Uwe Scheuch Vorsitzender der FPK (Die Freiheitlichen in Kärnten) als auch Dörflers Vize in der Klagenfurter Landesregierung. Die Bastion im Süden soll wie „ein gallisches Dorf“ gegen alle Feinde in der Welt verteidigt werden, sagte er am Parteitag Anfang September in Villach. Das war ganz nach dem Geschmack der Delegierten. Denn dass im eigenen Laden was faul ist, das kann nicht sein. Man ist nicht kriminell, man werde nur kriminalisiert. Schuld sind die anderen: Die EU in Brüssel, die Regierung in Wien, die linke Einheitspartei in Kärnten (SPÖ, Grüne, ÖVP), die Korruptionsstaatsanwaltschaft sowieso, Antifaschisten und Slowenen ebenso und natürlich die Ausländer. Das Weltbild ist durch die Aufzählung der Feinde leicht zu benennen. Kärnten ist einmal mehr im Abwehrkampf. „Jetzt erst recht!“, war eines der einschlägigen Motti der Konferenz.

Kärnten ist schon eigen. Selbst für österreichische Verhältnisse kann von einer Sonderzone, ja einem richtigen Absonderland gesprochen werden. Der braune Schatten der Vergangenheit, nirgendwo ist er so gegenwärtig und nirgendwo konnte die Haiderei so reüssieren wie dort. Damit soll nicht gesagt werden, dass 45 Prozent der Kärntner Wähler Nazis seien, aber der Kern dieser Formation ist ohne einen Rekurs auf den Nationalsozialismus nicht zu denken. Deutschnationalismus und Demagogie, Karrierismus und Korruption, dass ist das Kärntner Gebräu, auf dem der freiheitliche Rechtspopulismus kräftig wachsen konnte.

Dass nach alledem von allen politischen Kontrahenten Neuwahlen gefordert werden, ist auch den Kärntner Freiheitlichen nicht entgangen. Aus der nicht ganz unberechtigten Angst, diesen Urnengang zu verlieren, setzen die „Charaktermenschen“ (Dörfler über sich und die Seinen) auf Verzögerung. Denn solange die FPK-Abgeordneten aus dem Landtag ausziehen, ist kein Neuwahlbeschluss möglich, auch wenn die absolute Mehrheit der Mandatare dafür ist. Das Hinausschieben könnte sich durchaus bezahlt machen. Ob alleine damit die nächste Wahl zu gewinnen ist, ist zwar fraglich, aber ausgeschlossen ist es keineswegs.

Selbst ein grober Dämpfer in Kärnten wird dem freiheitlichen Spuk kein Ende setzen. Die Haiderei steht keineswegs vor dem Abgesang. Die Entzauberung wird wieder einmal vorschnell verkündet. Die Bundes-FPÖ dürfte das alles sogar wenig tangieren. Heinz-Christian Strache, der Parteivorsitzende, hat auch schon die nötige Formel gefunden: Haider, so sagte er, sei zwar kein korrupter Politiker gewesen, er habe sich vom System aber korrumpieren lassen. Nicht ungeniert sei der Jörg gewesen, sondern bloß zu schwach, womit Strache suggerieren will, das ihm das nicht passieren kann, er also nun wirklich ein Garant für Ordnung und Sauberkeit (was immer das ist) ist. Es ist anzunehmen, dass er damit durchkommt. Nicht nur bei der eigenen Klientel.

Das Spiel läuft weiter, die Krise von 2002-2006 (Spaltung der Partei in FPÖ und BZÖ) ging viel mehr an die Substanz als die aktuellen Querelen. Das System Haider wird nicht implodieren, Haider wird aber als Idol musealisiert werden. Sollte die FPÖ in den nächsten Monaten in den Umfragen verlieren, dann ist das eher auf die neue populistische Konkurrenz, den austrokanadischen Multimillionär Frank Stronach, zurückzuführen. Der kauft sich gerade eine Partei zusammen. Eröffnet wird sie – gleich einer Filiale seines Imperiums – Ende des Monats.

Leicht gekürzt in: Freitag 37, 13. September 2012

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