Die letzte Blase platzt

von Thomas Konicz

Nach vorübergehender Stabilisierung der Finanzmärkte durch staatliche Verschuldung auf denselben steht das Weltfinanzsystem vor dem Zusammenbruch.

Droht eine neue Bankenkrise, die ähnliche Schockwellen auslösen könnte, wie sie die Finanzwelt infolge der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 erschütterten? Ausgerechnet Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann warnte bereits im September, daß die gegenwärtige Lage auf dem Finanzsektor gewisse Ähnlichkeiten zur Konstellation kurz vor Ausbruch der Finanzkrise aufweise. Am 12. Oktober schlug der scheidende Vorsitzende der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, Alarm, als er von einer Krise mit »systemischer Dimension« sprach. Am Folgetag räumte Trichet in einem Interview der Financial Times ein, die EZB habe inzwischen »das Limit« dessen erreicht, was sie an Antikrisenmaßnahmen aufbieten könne.

Bis Ende Oktober wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nikolas Sarkozy ein umfassendes Krisenkonzept vorlegen, in dessen Rahmen die angeschlagene Finanzbranche mit Milliardenbeträgen »gestützt« werden soll. Etliche Geldhäuser – allen voran die Deutsche Bank – wehren sich bereits gegen die angedrohten »Zwangskapitalisierungen« (FTD), bei denen der Staat eine Aufstockung des Bankkapitals vornähme, da hierdurch der staatliche Einfluß auf die Institute stiege. Auf den Steuerzahler dürften erneut gigantische Belastungen zukommen: Christine Lagarde, seit kurzem Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), schätzte kürzlich den Kapitalbedarf des europäi­schen Finanzsektors auf 200 Milliarden Euro. Dessen dünne Kapitaldecke ist auch den Ratingagenturen nicht entgangen: Deren angedrohte und bereits vollzogene Bonitätsabstufungen haben zu massiven Kursverlusten geführt und etliche Banken weiter unter Druck gesetzt.

Das wichtigste Frühzeichen eines drohenden Finanzmarktbebens ist ebenfalls schon gegeben, da der sogenannte Interbankenhandel immer mehr zum Erliegen kommt. Die Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB sind vergangene Woche mit knapp 270 Milliarden Euro auf den höchsten Stand seit Juni 2010 geklettert. Die Finanz­institute leihen sich kurzfristig Geld bei der EZB, obwohl dies kein gutes Geschäft ist: Während auf die Bankeinlagen bei der EZB nur Zinsen von 0,75 Prozent fällig werden, müssen sie einen hohen Zins von 2,25 Prozent für die Mittel berappen, die sie von der EZB erhalten. Die eintägigen Einlagen und Ausleihungen der Banken bei der EZB gelten als Indikator für das gegenseitige Mißtrauen der Geschäftsbanken, die sich beim Interbankenhandel kurzfristig untereinander Geld zu viel niedrigeren Zinsen leihen. Doch dies funktioniert nicht mehr, da die Banken sich nicht mehr trauen. Genau diese sich nun ankündigende »Schockstarre« erfaßte auch 2008 die Finanzmärkte.

Der Unterschied besteht darin, daß damals hochspekulative Schrottpapiere die Bankenbilanzen belasteten, während es nun scheinbar biedere Staatsanleihen sind. Die Banken befinden sich somit in der Bredouille, weil sie vermeintlich »sichere« Anlangen wie Staatsanleihen aufkauften. Die Staatsschuldenkrise wurde nun zuletzt aufgrund der kostspieligen Krisenmaßnahmen der Politik zu einer Bankenkrise, da diese Hilfen für den Finanzsektor nach dem Krisenausbruch 2008 durch Schuldenaufnahme finanziert wurden. Es scheint paradox, aber tatsächlich haben die Staaten die Finanzmärkte im Endeffekt durch weitere Verschuldung auf den Finanzmärkten stabilisiert. Hinzu kam die gewaltige Gelddruckerei der Notenbanken durch Aufkaufprogramme für faule Hypotheken und Staatsanleihen, in deren Verlauf beispielsweise die Amerikanische Notenbank hypothekenbesicherte Papiere und Staatsanleihen im Wert von rund 1700 Milliarden Dollar aufkaufte – und somit die Finanzmärkte mit zusätzlicher Liquidität versorgte.

Die Staaten haben als »letztes Aufgebot« im Krisenkapitalismus das Finanzsystem durch ausufernde Verschuldung zeitweilig stabilisiert – und genau diese Dynamik bringt es nun an den Rand der Zusammenbruchs. Dieser Zusammenhang wird erst mit Blick auf die Liquiditätsblase voll verständlich, die durch die besagten Aufkaufprogramme und die historisch beispiellose staatliche Nullzinspolitik nach dem Platzen der Immobilienblase 2008 ausgelöst wurde. Durch das niedrigste Zinsniveau wurde die Kreditvergabe angeregt und das Kapital massiv zurück an die Finanzmärkte gedrängt, da die Nullzinspolitik in Wechselwirkung mit der Inflationsrate bei sicheren und niedrig verzinsten Anlagen faktisch zu »Negativzinsen« führte. Die so entstandene Liquiditätsblase stabilisierte das System vorübergehend, da die meisten angeschlagenen Finanzmarktakteure sehr schnell enorme Gewinne einfahren konnten, mit denen etwa die staatlichen »Bailouts« zurückgezahlt wurden. Solange die Liquiditätsblase anwuchs, schien das Finanzsystem kerngesund. Doch nun geben seit Monaten weltweit die Kurse auf den Aktienmärkten nach – und heiße Luft entweicht auch aus der Blase.

Somit platzt seit Beginn dieses Jahrhunderts nach der Hightech-Aktien- (2000) und der Immobilienblase (2008) bereits die dritte globale Spekualtionsblase. Dabei konnten bisher die verheerenden Folgen dieser zusammenbrechenden Spekulationsdynamik nur durch erneute Blasenbildung – durch eine blinde »Flucht nach vorn« in weitere Spekulationsexzesse– hinausgezögert werden. Der wichtigste Unterschied zur Immobilienblase von 2008 ist aber, daß die meisten Staaten nun in einer weitaus schlechteren finanziellen Position sind. Eine erneute »Flucht nach vorn« scheint aufgrund ihrer Schuldenberge – die zugleich als »faule Staatskredite« das Finanzsystem destabilisieren – kaum machbar.

„Junge Welt“ 17.10.2011

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