Vom Schöpfen

Einwürfe jenseits des Bilderverbots

von Franz Schandl

In folgendem Beitrag soll das Schöpfen im Sinne von Schaffen wie Entnehmen der heutigen Praxis des Kaufens und Verkaufens gegenübergestellt werden. Wie ist direkte Vergesellschaftung denkbar? Wie können wir uns in Stoffen und Diensten aufeinander beziehen, ohne auf ein Medium, also Geld als entwickeltes Tauschmittel angewiesen zu sein? Wie kommt uns zu, was wir brauchen, ohne dafür zu zahlen?

Die Frage nach dem Jenseits des Kapitalismus ist eine brandaktuelle, keine, die irgendwo in ferner Zukunft liegt, sondern eine, die jetzt, hier und heute gestellt werden muss, um geschichtsmächtig werden zu können. Sie garantiert nichts, aber ohne sie geht gar nichts, ohne sie regiert eine fahle Illusionslosigkeit, die sich dann noch als Realismus abfeiert und doch nichts anderes darstellt als passive Affirmation.

Über Perspektive zu reden, ist freilich schwierig, begibt man sich doch auf ein Terrain, das mehr Unsicherheiten birgt als die Denkerstube. Perspektive, das hat immer etwas Handfestes und Konkretes. Als Theoretiker sollte man sich davor hüten. So muss gar nicht erst verboten werden, was wir uns selbst verbieten. Der leidige Theoretiker erscheint so des Öfteren als das bloß kritisierende Subjekt. Als fensterloses Wesen, das laut schimpft, aber eigentlich schwarzsieht, schwarzmalt und schwarze Bücher schreibt. Es übersetzt die Skepsis des Denkens in einen Pessimismus des Handelns, praktisch hält es sich nicht nur zurück, sondern gänzlich raus. Da sowieso nichts geht, ist jedes Probieren ein Griff daneben. Experimente? Da ist die Unlust größer als die Lust. So korrespondiert das kategorische Nein durch den selbstverordneten Attentismus in eigenartiger Weise mit dem Vorgefundenen, das es zu überwinden versucht.

Dass man das Denken nicht einfach herunterbrechen darf, gilt gemeinhin als Grundsatz kritischer Theorie. Indes, das zeichnet sie nicht aus, sondern enthebt sie jedweder Verantwortung. Umgekehrt, die Aufgabe besteht darin, sie herunterzubrechen, sie nicht zu belassen auf den Türmen der Erkenntnis in der Verwaltung mönchischer Orden, sondern jene als Geschenk den „Niederungen“ anzubieten. Erkenntnis wird nur angenommen werden, wenn sie nicht als Besserwisserei daherkommt. Ideen haben nur dann Kraft, wenn sie viele Köpfe ergreifen und mehr noch, wenn sie Teil des Gefühls werden.

Zweifellos ist es eine zwänglerische Überforderung der Kritik, jedes Mal von ihr stante pede eine Alternative einzufordern. Es ist aber genauso eine Unterforderung, sie und sich von diesem Anspruch gänzlich zu befreien. Im Gegenteil. Zuletzt muss Kritik sagen können, was sie will, und nicht bloß, was sie nicht will. Nur aus dieser Transformation lässt sich emanzipatorische Praxis, die notwendige Energie und Kraft für den Umsturz gewinnen.

Nun denn, machen wir uns schmutzig. Malen wir aus. Das Bilderverbot ist hiermit aufgehoben. Wobei dieses Sehen keine Beschau oder gar Weltanschauung sein kann, sondern der bewusste Versuch, sich mittels Perspektive in Bewegung zu setzen und Dynamik zu erzeugen.

Äquivalenzen

Geben und Nehmen sind überhistorische Konstanten, quasi ontische Größen der menschlichen Entwicklung. Da sie allerdings heute primär als Tausch von realen oder vermeintlichen Äquivalenten erscheinen, gelten das Tauschen und mit ihm das Kaufen und Verkaufen als unwiderrufliche Tatsachen. Doch dieser Schluss ist ein Trugschluss. Geben und Nehmen sind vielmehr vom vermeintlichen Nenner des Tauschens zu befreien. Der Tausch und noch deutlicher das Geschäft beschreiben lediglich geschichtsmächtige Verknüpfungen, die sich in arroganter Weise als unhintergehbare Selbstverständlichkeit behaupten. Gerade der gesunde Menschenverstand halluziniert sich so manche Besonderheit als Allgemeinheit.

Von Tausch sprechen wir hier, wenn Geben und Nehmen als äquivalenter Stoffwechsel fungieren, wenn Reziprozität eingefordert wird. Wenn sie als feste Beziehung gleicher Werte in Erscheinung treten und ehern aneinandergeknüpft sind. Nicht jede gegenseitige Transaktion ist daher ein Tausch, sondern nur solche, wo beide Seiten als gleichwertige und gleichgültige aufeinandertreffen und den Platz wechseln. Im Akt des Tausches wird von seinen Inhalten abstrahiert und auf ein gemeinsames Quantum geronnener Arbeit, also Wert geschlossen. Ob diese Rechnung heute noch stimmig ist und aufgehen kann, ist da schon eine andere Frage. Tatsächlich orientieren wir uns aber nach wie vor krampfhaft an dieser Abstraktion.

Dass gegeben und genommen werden muss, ist eine platte Bestimmung menschlichen Daseins und Fortkommens. Es wird gegeben und genommen werden. Aber es soll nicht genommen werden, weil gegeben wird, und umgekehrt. Reziprozität ist zu überwinden. Geben und Nehmen sind aus ihrer gegenseitigen Aneinanderkettung zu befreien. Auf der Tagesordnung steht der Schritt von der negativen Vergesellschaftung der abstrakten Arbeit hin zu einer positiven Vergesellschaftung durch konkrete Tätigkeiten, die danach fragen, was gewünscht wird, und dementsprechend Güter und Leistungen bereitstellen. Das Bedürfnis gestaltete sich demnach jenseits einer heute allgegenwärtigen (wenn auch stets schwieriger zu bewerkstelligenden) In-Wert-Setzung, es wäre eine einfache Anforderung, nicht eine doppelt kodifizierte Angelegenheit. Der Wert hätte selbstredend als Prinzip ausgedient.

Entfetischisierung

In seiner Kritik am Gothaer Programm der deutschen Sozialdemokraten hält Karl Marx eindeutig fest: „Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren.“ (MEW 19:19-20) Es gilt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (MEW 19:21)

Eines der hartnäckigsten Vorurteile ist, dass Geld die Leute zu den Waren führt. Das Gegenteil ist wahr: Geld hindert am Zugriff. Die gesamte Geldwirtschaft ist schwerfällig, weil sie die Menschen von ihren Lebensmitteln trennt: „Der größte Teil der heute verrichteten gesellschaftlichen Arbeit hat keinen anderen Zweck als den abstrusen, allen Gesellschaftsmitgliedern den direkten Zugang zum stofflichen Reichtum zu versperren“, schreibt Gaston Valdiva. (Zeitverschwendung Marktwirtschaft, in: Dead Men Working, S. 232) Der Kapitalismus setzt nicht auf Zuwendung, sondern auf Verknappung. Diese kann bloß mit Geld durchbrochen werden. Allen Waren ist eine Geldsperre eingebaut, wo nur solche Zugang finden, die den entsprechenden Preis entrichten können. Aneignung setzt Zahlung voraus.

Worum es in einer zukünftigen Gesellschaft geht, das ist die Aufhebung der Zirkulation als eigenständige Sphäre, ihre Rücknahme in eine profane und sinnliche Distribution von Gütern. „Die tatsächliche Abschaffung der Zirkulation müsste logischerweise identisch sein mit der Abschaffung des Geldes und der Institutionen des Marktes überhaupt“, schreibt Robert Kurz. (Der Kollaps der Modernisierung, Frankfurt am Main 1991, S. 78)

Das Zeitalter bewusster Entschlüsse, das steht erst bevor. Was brauchen die Leute? Was möchten sie? Was könnte notwendig sein? Was sinnvoll? Jedem und jeder nach seinen und ihren Bedürfnissen hieße dann, dass ich etwas bekomme, ohne unmittelbar etwas Äquivalentes dafür aufbieten zu müssen. Meine Eingabe wird nicht an meiner Herausnahme gemessen. Menschen werden als soziale Wesen anerkannt, die von den anderen ihrer Gattung zu schützen und zu hegen sind, auf dass sie sich entfalten und so ebenfalls adäquate und gesellige Beiträge einbringen können. Und wollen. Ohne Zwang. Der „Umweg“ (Marx) über die Abstraktifizierung von Arbeit würde verschwinden. Denn die Frage nach der Leistbarkeit, also der Zwang zur freiheitlichen Kostenfrage, müsste in einer emanzipierten Assoziation durch Ergänzungsfragen ersetzt sein: „Was will ich?“ „Was noch?“ Dies wird dann bei den Entnahmestellen geholt oder zugestellt. Unvorstellbar? Warum?

Was ansteht, ist eine Entfetischisierung des Stoffwechsels, was heißt: zu Gütern zu kommen, ohne sie kaufen zu müssen. Nicht Geld gilt es aufzustellen, sondern einzig und allein die Produkte und Leistungen, Geräte und Zusprüche zur Verfügung zu stellen, um ein Leben in Wohlversorgtheit führen zu können. Nichts hätte mehr rentabel oder geschäftsfähig zu sein, alles stünde für sich. Man stelle sich nur vor: Nahrung um des Essens willen, Bücher um des Lesens willen, Bauten um des Wohnens willen. Kein Gedanke würde mehr verschwendet werden, ob ein Produkt oder eine Leistung am Markt bestehen kann, das wäre kein Kriterium. Insbesondre hätten Menschen sich nicht mehr zu verdingen, um sich auf etwas zu beziehen.

Aufbauend auf einer kooperativen und solidarischen Grundstimmung, haben wir es sodann mit Menschen zu tun, die nicht als Konkurrenten gegeneinander antreten. Zuversicht, die auf sozialer Geborgenheit aufbaut, lässt Versorgung wie Verantwortung nie abreißen. Sie besagt, dass es selbstverständlich ist, beizutragen wie zu entnehmen. Ich bin abhängig, aber ich werde nie abgehängt. Erst hier und so kann wahre Souveränität entstehen. „Nur der ist froh, der geben mag“, singt der Bettler in Goethes Faust. (Vers 857, Werke, Band 3, München 1986, S. 34) Geben kann freilich nur der, dem auch gegeben wird. Produziert wird für die konkrete Allgemeinheit, nicht für eine abstrakte des anonymen Geldes.

Abschaffungen

Geldverrichtung meint Zeitvernichtung. Der Unnötigkeiten sind viele: Zahlung, Rechnung, Kontrolle, Kontoführung, Buchhaltung, Besteuerung, Bezuschussung, Bewerbung – wir stecken im Geldverkehr, er ist der eigentliche Stoffwechsel, obwohl er diesem doch nur dienen soll. Die Zeit, in der wir Angebote vergleichen und selbst Angebote legen, nicht zu vergessen. Und Geld muss gehütet werden. Zu seiner Sicherheit benötigt es Wachpersonal, Tresore, Panzerwägen, Überwachungskameras, Geldautomaten, Alarmanlagen u.v.m. Nichts scheint schützenswürdiger.

Der Großteil der heutigen Arbeiten besteht aus Tätigkeiten, die unmittelbar mit dem Verrechnungswesen zu tun haben und somit an einer von Kapital (Zahlung) und Staat (Besteuerung, Bezuschussung) geschaffenen Notwendigkeit hängen. Dieser Teil dehnt sich nach wie vor aus, denken wir etwa an die rasante und voluminöse In-Preis-Setzung von Gesprächen durch Mobiltelefone. Während Kosten und Arbeitsverausgabung zur Herstellung der Produkte sinken, steigen die Aufwendungen, sie zu bewerben, zu verkaufen, zu besteuern – materiell wie finanziell! Nicht nur, dass eine Unzahl von Berufen sich ausschließlich damit beschäftigt, auch alle anderen Kopf- und Handarbeiter sind permanent am Kalkulieren und Rechnen. Es ist uns obligat. Nicht nur beim Ein- und Verkaufen, die ganze „Lebensplanung“ veranstaltet sich als Kette von Kostenrechnungen. Immer wieder gilt es die bange Unfrage zu stellen: Können wir uns das leisten?

Viele Institutionen fungieren hauptsächlich oder zumindest partiell für den Geldfetisch: Banken und Versicherungen, Steuerberatungskanzleien und Mietervereinigungen, Gewerkschaften und Unternehmerverbände. Interessensvertretungen geht es in erster Linie um das Geld ihrer Klientel. Auch die Mehrzahl der staatlichen und öffentlichen Verwaltungstätigkeiten dient direkt dem Geldverkehr. Bei den Bürokratien handelt es sich um Geldumleitungsbehörden, geschuldet dem seltsamen Umstand, dass, ließe man den Markt alleine fuhrwerken, die unsichtbare Hand die Gesellschaft schon erschlagen hätte. Kurzum: Nicht nur die Produktion und Zirkulation, auch die Verwaltung ist zu demonetarisieren. Viele Sektoren des Sozial- und Rechtsstaats wären zu streichen.

Schon Marx bemerkte, dass unter der Herrschaft des Kapitals eine „Überzahl jetzt unentbehrlicher, aber an und für sich überflüssiger Funktionen“ (MEW 23:552) gegeben ist. Alles, was mit sekundärem, also monetärem Rechnungswesen zu tun hat, d.h. mit geschäftlicher Tätigkeit im engeren Sinn, wird fallen, ganze Berufe und Sparten sind abzuschaffen und man sollte diese auch beim Namen nennen: die Steuerberater, die Verkäufer, die Bankangestellten, die Versicherungsagenten, die Geldtransporteure, die Werbefritzen, die Schuldeneintreiber, die Mahnverrechner. Etc., etc., etc.

Rechnungen der Zukunft haben Rechnungen über Materialien und Dienste zu sein, nicht über Kosten derselben. „Denken wir uns die Gesellschaft nicht kapitalistisch, sondern kommunistisch, so fällt zunächst das Geldkapital ganz fort, also auch die Verkleidungen der Transaktionen, die durch es hineinkommen. Die Sache reduziert sich einfach darauf, dass die Gesellschaft im voraus berechnen muss, wie viel Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel sie ohne irgendwelchen Abbruch auf Geschäftszweige verwenden kann, die, wie Bau von Eisenbahnen z.B. für längere Zeit, ein Jahr oder mehr, weder Produktionsmittel noch Lebensmittel, noch irgendeinen Nutzeffekt liefern, aber wohl Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel der jährlichen Gesamtproduktion entziehn. In der kapitalistischen Gesellschaft dagegen, wo der gesellschaftliche Verstand sich immer erst post festum geltend macht, können und müssen so beständig große Schwierigkeiten eintreten.“(MEW 24:316-317)

Die Liste fulminanter Abschaffungen und Reduzierungen wäre jedenfalls eine lange. Das hätte weitreichende Folgen: Exemplarisch würde der Energieverbrauch (Erdöl/Erdgas/Strom) sinken, ebenso der Konsum an Pharmazeutika. Und wenn der Mobilitätszwang fiele, gingen die Verkehrsunfälle sukzessive zurück, das hieße wiederum weniger Chirurgen und weniger Rehabilitationen. Weniger Flugkilometer bedeuten weniger Lärm, weniger Abgase, weniger Klimaerwärmung. Und so weiter und so fort. Selbst im Produktionsbereich würde sich viel Arbeit verflüchtigen. Man brauchte nicht nur kein Geld mehr zu drucken, auch das Reklamematerial (das einige Tage nach der Produktion im Papiercontainer landet) wäre überflüssig. Selbst die selige Autoindustrie würde in überschaubaren Kooperativen einen Bruchteil der Fahrzeuge ausstoßen, die aber zweifellos um vieles besser wären als die heutigen Gefährte.

Wir wollen also die Leute um ihre Jobs bringen? Genau das!! Durch ein Transformationsprogramm eminenter Abschaffungen könnten in einigen Durchgängen wahrscheinlich mehr als drei Viertel der Arbeiten einfach eingespart und entsorgt werden, ohne dass wir etwas verlieren. Einerseits würde viel Kraft und Energie für die Individuen frei werden, andererseits würden die Belastungen von Mensch und Umwelt abnehmen. Der von diversen Schwachsinnigkeiten befreite Alltag wäre dann tatsächlich ein anderer. Es wäre ein Aufatmen, zweifelsfrei.

Emanzipation setzt eine Unzahl von Abschaffungen voraus, die vor allem eins gewährleisten sollen: disponible Zeit, die nicht unter dem Druck der existenziellen Absicherung steht. Jene ist geradezu die Bedingung des Kommunismus. Er kann seine Dynamik und Möglichkeiten erst entfalten, wenn die Notwendigkeiten und Pflichten bloß einen unbeträchtlichen Aufwand erfordern, das Leben somit nicht unter dem Diktat des Überlebens steht. „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. (…) Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann.“ (MEW 25:828)

Die Freiheit kann nur so groß sein, wie die Notwendigkeit klein ist. Darin besteht die Aufgabe der Emanzipation, in der Befreiung von Notwendigkeiten, nicht in der Einsicht in diese, wie Hegel (Enzyklopädie, Werke 8, Frankfurt am Main 1986, S. 288 ff.) und nach ihm auch Engels (MEW 20:106) es noch nahelegten. Freilich werden die Notwendigkeiten nie ganz verschwinden und es werden auch in Zukunft Regelungen, ja sogar Verpflichtungen auszuhandeln sein.

Formlose Form

Das Herstellen, Weiterreichen und Bekommen von Gütern (materiellen wie immateriellen) ist in formloser Form zu bewerkstelligen. Das Hin und Her hat keine äußeren Zweckbestimmungen, schon gar nicht welche in Wert und Tausch. Freiheit meint Freiheit vom Markt. „Wir machen keine Ware, wir machen nur Geschenke“, sagte Bertolt Brecht (Baal). Das Geben und Nehmen ist von jeder fetischistischen Halluzination äquivalenter Arbeitsquanta zu befreien. Vielmehr geht es um ein gemeinsames Schöpfen, ein Begriff der beides, Geben und Nehmen, in sich zusammenfasst.

Bruch mit dem Fetischismus als dominierende Größe des Lebens heißt, dass kreative Individuen die Götzendiener (sei es für Gott oder Geld) als menschlichen Grundtypus ablösen. Schöpfung wird nicht länger ausgelagert, in ein Jenseits oder in einen Starkult projiziert. Sie wird reingeholt ins Leben. Der künstlerische Akzent des Terminus ist hier durchaus mehr als eine aromatische Duftnote. Tatsächlich werden sich die kreativen Aspekte der Tätigkeiten erhöhen. Auch die Produkte wären dann mehr individueller als serieller Natur. Da der Zwang zum Geldverdienen, zu Effizienz und Rationalisierung Geschichte ist, wird der Druck auf die Menschen schwinden.

Schöpfen wird verstanden als Kreieren und Schaffen, als Weitergeben und Entnehmen, Gebrauchen und Verzehren. Diese Vieldeutigkeit soll festhalten, dass Schöpfen als Aktion und Transaktion, als Habe und Konsumtion in einem zu verstehen ist. Geben und Nehmen wären in einem Gesamtprozess des Schöpfens aufgehoben. Schöpfen wäre somit ein unendlicher Prozess der Selbstschöpfung, die sich verändernd stets sich neu erschafft. Sie kennt individuelle wie kollektive Momente. Schöpfen funktioniert nicht auf der Ebene von Gleichungen und Messungen, sondern auf qualitativen Zueignungen. Als große Schenkung.

Schöpfung hat zweifelsfrei was von einer ultimativen Anmaßung, sie ist der Superlativ der Selbstermächtigung. Wobei der englische Begriff Empowerment hier günstiger wäre, da er nicht nach Selbstherrschaft und Ausnahmezustand riecht. Schöpfung ist auch nicht mit Verfügungsgewalt zu übersetzen. Fügung und Gewalt sind nicht Ziele emanzipatorischen Lebens, im Gegenteil, es soll nicht besessen, befohlen und verfügt, sondern solidarisch kooperiert werden. Voraussetzung dieser Selbstbestimmung sind Bedürfnis und Motivation. Verträglichkeit ist apriorisch gegeben, muss nicht durch gesonderte Rechtsakte extra konstituiert werden.

Bisher galt: „Was der Käufer einer Ware mit derselben anfangen will, ist dem Verkäufer durchaus gleichgültig.“ (MEW 24:219) Als Käufer und Verkäufer, als Geld- und Warenbesitzer sind sich die Menschen einander herzlich egal. Diese Gleichgültigkeit ist Folge der Verdinglichung und Verhältnisse. Eben weil wir uns sachlich und nicht freundschaftlich in Beziehung setzen und quantifizierende Abgleichungen (Geschäfte) uns leiten. Eigennutz ist als Vor- und Nachteil codiert und wird auch so akzeptiert. Dieser unerträgliche Egoismus der Gleichgemachten sollte freilich nicht mit Individualismus verwechselt werden. Schon Oscar Wilde, und der war wohl der Prototyp eines Individualisten, hat diese Differenz treffend herausgearbeitet: „Der Individualismus wird ferner uneigennützig und ungeziert sein“, schrieb er 1891 in „Der Sozialismus und die Seele der Menschen“. (Zürich 1982, S. 65)

Künftig soll daher gelten: Die, die den Mantel geschneidert und genäht haben, wollen, dass denen, die den Mantel tragen, warm ist, das Kleidungsstück gefällt, es bequem sitzt und ganz einfach Freude macht. Was sonst? Die, die einen Apfelbaum pflanzen, wollen, dass die geernteten Früchte den anderen schmecken, dass sie gelobt werden für die Pflege. Was denn sonst? Der, der den Artikel schreibt, will, dass die Leser Genuss finden und Erkenntnisse gewinnen. Was denn sonst? Diese Aspekte können sich erst ungebrochen entfalten, wenn kein Geschäft ansteht, das Produkt nicht als Ware beworben und verkauft werden muss, und die Frage der Erzeugung keine der Kosten ist. Nicht das Geschäftskalkül entscheidet über Herstellung und Anschaffung eines Lebensmittels, sondern Güte und Begehren. Mit dieser Banalität kann die Komplexität der bürgerlichen Ökonomie nicht mithalten. Jene ist wahrlich banaler, als es der Hausverstand in seiner vertrackten Beschränktheit erlaubt.

Geben und Nehmen sind im Schöpfen nicht mehr bedingt, sondern unbedingt. Brauchen wir dafür nicht andere Menschen? Zweifellos, wen denn sonst. Die Leute können gar nicht so bleiben, wenn sie wollen, dass Menschen bleiben oder noch besser: werden sollen. Sollen wir ernsthaft keine anderen wollen als die formatierten Sorten und konformierten Typen, die wir haben? Sollen diese Konkurrenzidioten und Charaktermasken der Menschheit letzter Schluss sein? Wir, die Ultimaten?!? Das wäre doch fatal und nichts anderes als die Einladung zum kollektiven Selbstmord. „Mit den Verhältnissen wird aufgeräumt werden, und die Natur des Menschen wird aufgeräumt werden und die Natur des Menschen wird sich ändern. Das einzige, was man von der Natur des Menschen wirklich weiß, ist, dass sie sich ändert.“ (Oscar Wilde, ebenda, S. 63) Das erst in die Geschichte eintretende Individuum ist weder ein Formatiertes noch ein Entformatiertes, es ist Ein-sich-selbst-Gestaltendes, somit der Schritt vom Es zum Ich.

Freie Assoziation

Nicht nur bei den Ressourcen, sondern auch bei allen Produktions- und Distributionsmitteln sollte es sich um Commons, also gesellschaftliche Güter handeln. Nichts soll Ware sein! Dass reziproke System von Leistung und Gegenleistung müsste auf allen Ebenen durchbrochen werden, es sollte ganz selbstverständlich werden, dass im einzelnen Fall Letztere nicht als Bedingung für Erstere genannt wird. Sich Beitrag und Entnahme abseits von Neid und Gier, Interesse und Konkurrenz vorzustellen, da tun wir uns heute schwer. Wie soll das funktionieren, schreit der gesunde Menschenverstand. Dass solch unkomplexe Handhabung möglich sein könnte, muss dem bürgerlichen Subjekt als vollendete Verrücktheit erscheinen. Wo kämen wir denn da hin? Der Mensch ist nicht so! Außerdem, das hat es doch noch nie gegeben. Einwände auf diesem Niveau gibt es hunderte. Indes wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, wollen wir nicht mehr so leben, wie wir uns zwingen, zu existieren. Erst mit diesem wirklich radikalen Inventar an Gedanken lässt sich der paradigmatische Bruch vorstellen. Und anstellen.

Privateigentum und Ware sollen durch Hab und Gut abgelöst werden. Habe ist nicht unbedingt als Eigentum und Recht denkbar, sondern als Vermögen und Gestaltungsfreiheit, die ihre Ausschließlichkeit inhaltlich („Was ich esse, kann kein anderer essen“) und nicht formal begründet, in etwa: „Es gehört mir, daher kannst du es nicht haben, egal ob dich hungert oder friert, denn ich verfüge über einen gültigen Rechtstitel, den du mir nur durch Zahlung ablösen kannst.“ Wie irre! Wichtig ist doch, ob jemand gut zu essen, zu trinken, zu wohnen und sich zu erfreuen hat, nicht ob ihm Speise, Getränk, Wohnung oder gar Lustbarkeiten gehören. Wie armselig sind wir, dass wir unsere Anliegen bloß via Rechtsanspruch befriedigen können, nicht als spontane Lebensäußerung. Das sagt eigentlich alles über das bescheidene Niveau unserer Sozietät. Tatsächlich, wir leben in der Vorgeschichte.

Heute sind Geben und Nehmen Konsequenzen der Auslöse einer Ware durch Geld. Im Kommunismus werden jedoch das Brauchen und das Zustehen als pragmatische Motive ausschlaggebend, einzig in Sondersituationen und bei Mangelprodukten werden begründete Ausnahmen (etwa Partizipationsscheine) unumgänglich sein. Nur hier wird ein spezifisches Aufteilen stattfinden. In den meisten Fällen ist es völlig überflüssig. Was zur Genüge vorhanden ist, muss nicht geteilt, sondern lediglich verteilt werden. Vorhandenheit und Bedürfnis sind die Kriterien der Versorgung. Man wird dann etwas mehr Brot backen als gegessen und verfüttert wird. Mehr deswegen, damit es zu keinen Engpässen kommt. Nicht viel mehr deswegen, damit nicht zu viel im Abfall landet. Güterfülle meint nicht Urassen. Grob wird diese Regel für alle Mittel des Lebens gelten. Reserven sind obligat. Das Volle oder Erfüllte ist nicht mit der Verschwendung zu verwechseln. Stoffliche Sparsamkeit und inhaltlicher Reichtum schließen einander nicht aus. Der wichtigste Reichtum ist sowieso ideeller Schatz: Liebe, Freundschaft, Geselligkeit, Müßiggang, Kreativität, Spiel.

Das gute Leben

Das Problem ist nicht, dass das gute Leben nicht herstellbar oder leistbar wäre, es ist nicht finanzierbar. Woraus in der irrationalen Rationalität gefolgert wird, dass man sich das gute Leben abschminken soll, keineswegs aber Zahlungsfähigkeit und Kaufkraft verwerfen darf. „Ohne Geld geht gar nichts“, das ist dieser heillose Konsens, aus dem beschränkte Subjekte, die sich freie Bürger schimpfen, ihre grobschlächtigen Vorurteile speisen.

Halten wir doch kurz inne: Die Maschinen sind da, die Rohstoffe sind da, die Kenntnisse sind da, ebenso die Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Produkte sind herstellbar, die Leistungen machbar, die Güter verteilbar. Dies alles wäre schaffbar, nur zwängt es sich nicht durch das Nadelöhr des Marktes. Wir sind so an unseren monetären Schranken angelangt – zweifelsfrei; aber nie und nimmer an den Grenzen des Machbaren – im Gegenteil, diese gehen erst auf. Objektiv steht der Kommunismus an, ob er wirklich werden kann, hängt allerdings von uns ab.

Nicht über unsere Verhältnisse haben wir gelebt, sondern unter unseren Verhältnissen leben wir. Die soziale Degradierung durch die Krise ist nicht Ergebnis davon, dass unsere Möglichkeiten sinken, jene ist Konsequenz daraus, dass die Güter als Waren nicht mehr bezahlt und die aufgenommenen Kredite nicht mehr bedient werden können. Im Prinzip ist das kein Malheur, ein Unglück ist es nur in einer Gesellschaft, wo der Wert und das Geld, wo Kaufen und Verkaufen sakrosankt sind. Solange wir dieses Paradigma nicht verlassen, sind wir den Gesetzlichkeiten und Zerstörungen von Markt und Staat ausgesetzt.

Nun denn, wenn es mit dem Geld nicht geht, warum probieren wir es eigentlich nicht ohne? Was fesselt uns so an den Fetisch, dass wir lieber mit ihm untergehen, als dass wir uns ihm verweigern? Warum jagen wir ihm nach, anstatt ihn zu verjagen? Warum vermögen wir uns kein Jenseits davon auszudenken? „Wir kommen deshalb nicht dazu, die Welt ohne Geld zu denken, weil wir alles mit ihm denken“, sagt Eske Bockelmann. „Kein Gedanke entkommt dem Geld, weil es jeder schon fest in sich trägt.“ (Die Abschaffung des Geldes, Streifzüge 36, S. 6 und 7)

Es wäre doch einfach, die Fragen so zu stellen: Wie versorgen wir die Leute, wie produzieren und verteilen wir Güter und Leistungen? Die fetischistische Frage von rechts bis links, von oben bis unten, und das in aller Herren Länder, jedoch lautet: Wie stellen wir das Geld auf, dass Staaten und Unternehmungen, Banken und Versicherungen und zuletzt auch die Konsumenten zahlungsfähig sein können? Geht es in erster Frage um die Menschen, so in der zweiten Frage um die Wirtschaft. Das Grundproblem ist, wir denken die Frage 1 automatisch als Frage 2. Und auch wenn wir jetzt mit dem Geld ein ganz praktisches Umsetzungsproblem haben, ein Übersetzungsproblem haben wir deswegen (noch immer) nicht, eben weil die Grundsetzung dieser Reflexion so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass sie als organisch erscheint.

Wie bringen wir also das Geld aus unseren Köpfen? Denn raus muss es. Mangel an Phantasie kann es ja nicht sein, der uns davon abhält. So gibt es ja kaum eine Absurdität, die wir uns nicht vorstellen können. Wir glauben Schauermärchen und sitzen den dümmsten Mythen auf. Wir nehmen kommerzielle Schrägheiten als bare Münze, wir folgen bereitwillig jeder abgedrehten Esoterik, der Zahlenmystik, den Horoskopen, den Latrinengerüchten oder gar den gefährlichen Mythen der Religionen. Uns kann man jeden Schwachsinn einreden, aber eine Welt ohne Geld zu denken, das kann nicht sein, das soll nicht sein, das darf nicht sein. Wir, die wir kein jenseitiges Diesseits auslassen, vermögen uns ein diesseitiges Jenseits nie und nimmer vorzustellen. Doch gerade dieser Schritt der Umschaltung setzt Emanzipation in Gang. Wir müssen lernen, uns und unsere Verhältnisse nicht über Geld zu synthetisieren.

Was meint freie Assoziation, was gutes Leben, was Genuss? Jene ist ja keine mit festen Strukturmerkmalen ausgestattete Ordnung im Sinn einer Gesellschaftsformation. Keine Formatierung, sondern eine Entformatierung, keine Normierung, sondern eine Enormisierung der Vielfalt. Da gibt es auch keine neuen Werte, sondern gar keine. Man kann nicht sagen, was im Kommunismus normal ist. Vielleicht dieses: dass die Menschen (und auch die anderen Geschöpfe) den Menschen nicht egal sind und dass soziale Not überwunden ist. Dass die großen Zumutungen wie Hungern, Dursten, Frieren, Bekriegen, Konkurrieren, Arbeiten, Vereinsamen und Verblöden der Vergangenheit angehören. Insgesamt werden die Komponenten des Spiels in ihrer gesamten Varianz an Platz im Leben gewinnen. Darüber hinaus wird es eine Vielzahl an Problemen, Schwierigkeiten und Aufgaben geben. Es wird nicht nur bequem sein.

Im Kommunismus wird viel Zeit dafür verwendet, sich um sich und seinesgleichen zu kümmern. Um Freudenschaffung geht es und um Freundschaftspflege. Da ist einiges aufzuholen und vieles zu tun, was heute unterlassen werden muss. Und wenn das alles einem zu viel ist, kann eins zwischenzeitlich aussteigen, ohne sich selbst versorgen zu müssen. Die Momente des Glücks werden nicht so selten sein und die Phasen der Zufriedenheit werden größere Dauer kennen. Individuelle Disposition ist dafür die Grundbedingung. Gutes Leben heißt aus dem Vollen zu schöpfen, um selbst schöpferisch tätig zu werden.

Der Kommunismus hat nichts anderes vor, als dass die Menschen gut zueinander sind, weil sie es können und weil sie es wollen. Er hat nichts zu verwirklichen, er will nichts vorschreiben, er hat keine letzten Ziele, keine hehren Ideale und keinen tieferen Sinn. Freude will er ermöglichen, das schon. Er möchte, dass Menschen froh sind und genießen können. Wozu sonst soll man auf der Welt sein? Materiell setzt der Kommunismus auf Zukömmlichkeit. Und emotionell auf Bekömmlichkeit. Kurzum, es soll schmecken. Nur, wie bringen wir die Leute auf den Geschmack?

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