NICK – Schwammkopf und die Terraner (TeleVISION TWO)

DATUM 06/09

von Franz Schandl

Als ich klein gewesen bin, und das ist leider schon lange her, ist der Fernseher gerade ins Dorf eingezogen. Das war so um 1968. Es war eine wahre Revolution. Programme gab es nur eins, der zweite Sender kam erst später und war in seinen Anfangstagen, wenn ich nichts durcheinander bringe, Dienstags und Donnerstags sendefrei. Es waren die Daktari– und Flipper-Jahre. Ich denke vor allem an die Samstage, an das eilige Nachhause-Laufen, um ja pünktlich zu sein. In der Waldviertler Wohnküche versammelte sich dann die halbe Dorfjugend, alles zwischen 8 und 15 drängte sich um den Schwarzweißfernseher. In meiner Verklärung trage ich das Bild einer wohligen Enge.

Außer am Mittwoch, dem Kasperltag, und am Wochenende startete das Programm erst um 18 Uhr. Unter der Woche gab es Nachmittags bloß Sendungen, wenn gerade eine Messe, etwa in Wels, stattgefunden hat. Messetest-Programm nannte sich das, und da spielten sie dann tatsächlich um 14 Uhr einen Western, z.B. mit John Wayne. Dessen Sicht von Law and Order war so einige Jahre auch meine, wenngleich ich natürlich nicht begriff, wofür ich da gewesen bin. Das prägt, es lässt zwar nach, aber nie richtig los. Auch jetzt noch wird mir eigentümlich warm ums Herz, wenn ich John Wayne sehe. Selbst wenn ich’s nicht wahrhaben will, muss ich akzeptieren, dass ich im Saloon von Santa Fe wohl einen Streifschuss am Kopf abbekommen habe.

Drei Vorabendserien offenbarten die programmatische Absicht der neuen virtuellen Welt: „Bezaubernde Jeanny“ „Immer wenn er Pillen nahm“ und „Verliebt in eine Hexe“. Das Bezaubernde, die Droge, die Hexerei – das Paradigma war gegeben, daran hat sich nichts geändert, lediglich Dimension und Geschwindigkeit sind andere geworden. Die Mythen waren televisionär geworden. Sie lasteten auch hier so schwer, dass dem Gewöhnlichen gemeinhin wenig Platz eingeräumt wurde. Phantasien wurden in größeren und kleineren Traumfabriken (kaum ein Begriff, der treffender ist) seriell hergestellt und zugeliefert. Was heute in jeder Überdosis erhältlich ist, gab es dazumals aber nur in (viel zu) kleinen Dosen. Märchen sind jedenfalls von zentrale Wichtigkeit, sie bilden die solide Basis vieler Kinderformate. Der Film hat ihnen ein unendliches Terrain eröffnet. Comic und Trickaufnahmen haben das Repertoire gehörig erweitert. Von der einstigen Unbeholfenheit ist nichts geblieben, alles ist blendend darstellbar.

Ich kann mich auch noch gut erinnern, dass eine der gängigsten Strafen Hausarrest hieß. Mich hat das zwar nie betroffen, aber hauptsächlich deswegen, weil ich ein Stubenhocker gewesen bin, dem man oft vergebens sagte: „Geh raus, Franzi, an die frische Luft!“ Hausarrest erscheint inzwischen, wo die Kinder gar nicht mehr von den Apparaten (TV und PC) wegbewegt werden können, wie eine anachronistische Strafe. Wahrscheinlich gibt es sie auch deswegen nicht mehr. Fernsehverbot in Zeiten des Fernsehgebots ist da schon wirksamer. Wobei man nicht mehr weiß, ob das Sanktion oder Befreiung ist, von den betroffenen Kindern wird es zweifellos als Strafe aufgefasst. Da passierte es wohl öfter, dass der Nachwuchs einfach vor die Flimmerkiste gesetzt wird, auf dass Ruhe herrscht und die Gfraster nicht mehr stören. Das wäre damals nicht gegangen.

Über all das zu reden ist, als spräche man von untergegangenen Welten. Heute ist alles anders. Dass es vierzig Jahre später eigene Kindersender geben sollte und das rund um die Uhr, das hätten sich die Mädchen und Buben von früher nicht einmal träumen lassen, wenngleich sie diesen virtuellen Trost sicher angenommen hätten. Keine Jugend ist prinzipiell besser als die folgende oder die vorhergehende. Das Angebot bestimmt die Nachfrage.

Beim Fernsehen ist man drinnen, obwohl man irgendwie auch draußen ist. Zumindest wird suggeriert, dass man sich ja in der weiten Welt tummelt, dass die unzähligen Kanäle einen den Weg weisen in die ungeheuren Weiten und Tiefen des Universums. In solch einer Tiefe wohnt auch eine der bekanntesten NICK-Figuren: SpongeBob Schwammkopf. Er verfolgt mich schon des Längeren, vor allem, weil meine beiden Töchter bevorzugt NICK einschalten.

Schwammkopf ist überhaupt das Schlüsselstück dieses Senders. In der Selbstdarstellung liest sich das so: „Tief unten im pazifischen Ozean, in der Stadt Bikini Bottom, lebt ein quadratischer gelber Schwamm namens SpongeBob Schwammkopf. SpongeBob wohnt zusammen mit seiner miauenden Haustierschnecke Gary in einer Zwei-Zimmer Ananas, liebt seinen Job als Koch im Fast-Food-Lokal „Krosse Krabbe“ und hat ein absolutes Talent dafür ständig in Schwierigkeiten zu geraten – ohne es wirklich darauf anzulegen. Wenn er also nicht gerade Krabbenburger brät oder seinem nörgelndem Nachbarn Thaddäus Tentacles auf die Nerven geht, steckt SpongeBob meistens zusammen mit seinem besten Seestern Freund Patrick oder seiner Freundin, dem Nervenkitzel suchenden, Unterwasser lebendem Eichhörnchen Sandy, mitten in einem schrägen Abenteuer.“

NICK ist eins der Programme, das von Endlosschleifen lebt. Selbst wenn man nur gelegentlich hinblickt, hat man das Gefühl, alles schon mehrmals gesehen zu haben. Wenn der Titelsong erklingt, weiß ich, was da nun läuft. Doch hören wir ihn uns genauer an, insbesondere den Schluss. Dieser besteht aus zwei absteigenden kleinen Terzen, die einige Male wiederholt werden. Wenn Kinder jemanden auszaunen (also verspotten), dann singen sie kleine absteigende Terzen. Ob das nun vom Sender bewusst so eingesetzt wird oder ob das bloß passiert ist, ist da nachrangig. Den Zweck der Degradierung erfüllen die kleinen Terzen allemal, eben weil diese Intervalle in der penetranten Wiederholung so empfunden werden. Wir wissen es nicht, aber wir hören es so.

Und dann gibt es noch ein zweites Motiv, das in der Serie immer wieder angespielt wird. Es beginnt mit dem Grundton, wiederholt diesen, geht eine große Sekund runter, dann eine rauf und noch eine rauf und wieder eine runter, um beim Ausgangston zu landen. Diese Sequenz besteht aus sechs Tönen, insgesamt aber nur aus drei verschiedenen Noten, wovon die erste Note vier Mal gespielt wird. SpongeBob zappelt rauf und runter. Er probiert es ein bisschen in die eine Richtung und ein bisschen in die andere, um am Schluss wieder am Anfang zur sein. Er wird stets zurück geholt. Doch genug des musiktheoretischen Ausflugs. Meine Fähigkeiten reichen da sowieso nicht weiter, ich wundere mich aber zweifellos, dass es hier keine grundlegende musiktheoretische Forschung über die Machart der Kennmelodien und ihre gesellschaftlichen Konsequenzen und Kapazitäten gibt. Was da so harmlos daherklingt, hat es nämlich in sich, weil in uns.

Schwammkopf erzählt keine Geschichte, sondern höchstens Geschichterln, die nach dem obligaten Muster Fall-Ausfall-Rückfall ablaufen. Es sind alltägliche Episoden eines ozeanischen Einerleis. SpongeBob ist ein Loser, kommt aber stets darüber hinweg. Irgendwie. Seine Depression verdrängt er durch eine unermüdliche und schier durch nichts zu erschütternde Betriebsamkeit. Auch wenn nichts geht, es geht immer weiter. SpongeBob mag kein Idol sein, aber er ist sympathisch, weil eins auch so werden könnte oder besser: weil viele Terraner genau so sind wie die Ozeaner. Wenn man in Schwammkopfs große traurige Augen blickt, dann möchte man den Quadratschädel am liebsten an die Brust drücken, auch wenn der Ausgepresste einen furchtbar nass machen würde. Die Kinder mögen sich mit diesem Antihelden nicht unbedingt identifizieren, aber sie lernen die Erdenbürger als Schwammköpfe der Normalität zu betrachten. Vorbild ist er nicht, aber Ebenbild ist er allemal. Und es ist wohl auch nicht tragisch, ein solches zu haben oder zu sein – so die hintergründige Botschaft.

SpongeBob demonstriert Ergebenheit. Auch wenn er nicht alles gleich hinnimmt, muss er doch meist klein beigeben. Indes, Unterwürfigkeit erscheint nicht als offensichtliche. Schwammkopf kann und tut es sich immer richten. Begnadet mit einem Gelächter, wie man es keinem wünscht, treibt er seine Späße, die eigentlich keine sind. Das Lustige hat wenig mit Lust zu tun, eher mit dem Gegenteil. Probleme sind dazu da, sie zu überstehen, nicht sie zu lösen. Er ist ein Existenzialist zweiter Ordnung. Nicht um das Leben geht es, sondern um das Überleben. SpongeBob macht mehr regressiv als aggressiv, er ist richtig aus dem Leben gegriffen. Die Frage: „Was hat er vom Leben?“, ist allmächtig gegenüber der „Was will er vom Leben?“ Er will, was er hat, ja er will, was er kriegt. Bei NICK geht es ums Abnicken.

Zuschauen funktioniert als Aufschauen zu Vorbilden oder als Anschauen von Ebenbildern, selten jedoch als Durchschauen von Verhältnissen. Die Endlosschleife wirkt wie ein Trainingskurs in Sachen Anpassung. Nicht schlecht gemacht, sogar subtil. Nicht Fankunde, also die Verehrung von Helden, steht da an, sondern Alltagskunde. Selbstzurichtung heißt das Fach. „Wie kommen wir mit unseren Niederlagen zurecht?“, ist die banale Frage, und „Mach dir nichts draus!“, ist die geniale Antwort.

NICK ist nun kein Sender, der durch besonders hemmungslosen Trash auffallen würde, mit „Was ist was?“ oder „Avatar“ gibt es auch Akzeptables, ja Ansprechendes im Programm. Dass das televisionäre Verdummungsgebot, das die Quote vorgibt und diese wiederum bedient, erfüllt werden muss, liegt allerdings auf der Hand. „Neds ultimativer Schulwahnsinn“ wird seinem dem Titel sehr gerecht. Kein Vorurteil, das nicht zu sich kommt. Drastisch dumm ist auch „Drake&Josh“, wo es zwar nichts zu lachen gibt, aber dauernd gelacht wird, weil gelacht werden muss. Etwa über den Hundefänger, der sich vor dem Hund fürchtet und aufs Klo flüchtet. Zur Rede gestellt, meint er, das mit dem Hund sei ärger als in Vietnam. „Vietnam? Wo ist das?!?“, fragte Josh verwundert zurück. „In New Jersey?“ Auf dass gelacht wird. Würde an dieser Stelle nicht gelacht werden, entstünde auch eine drückende Leere, die betroffen machen müsste. Das Monströse wird einfach weggelacht. Diesen Dachschaden bezeichnet man aufgrund Günther Anders’ Vorlage als Bob Hope-Syndrom. Auch wenn das noch niemand weiß.

Wenn das Publikum lacht, auf dass ich zu lachen weiß oder wenn es klatscht, auf dass ich zu klatschen habe, zeigt an, wie man Affirmation lernt oder primitiver: wie Herden funktionieren sollen. Auf Zuruf. Penetrantes Vorlachen und Vorklatschen gehören heute zu den gängigsten Unerträglichkeiten der Kulturindustrie. Sie setzt infantile Subjekte voraus, denen man nicht einmal mehr ihre elementarsten Regungen überlassen will. Alles wird vorprogrammiert.

Wenn Dummheit die Übereinstimmung mit dem äußeren Schein der Welt ist, dann ist ein begrenztes Quantum an Blödheit und Blödsein durchaus nützlich und auch nicht unbedingt zu verachten, bloß begreifen sollte man jene und sich mit ihr. Das Problem sind nicht die Sendungen und auch nicht die Dummheit schlechthin, sondern die Überdosis, die zwecks Quote genossen werden soll, aber gerade deswegen auf die Konsumenten erdrückend wirkt. Sie vermögen vieles nicht zu verarbeiten, sie zappe(l)n halt mit.

Es ist nicht auszuschließen, dass derlei Programmatik dazu beiträgt, dass nicht wenige tatsächlich zu Schwammköpfen werden, also Fetzenschädeln, die gierig aufsaugen wie auspressen, als wäre das das Selbstverständlichste auf der Welt. Kinderkanäle sind Sickergruben. Der Jargon, der sich dort ein- und fortpflanzt, ist Konsequenz ständiger Reprise. Freiwillig würden sich die Youngsters solch rigider Sprachimplementierungen sicher nicht unterziehen, aber einmal willig vor der Kiste sitzend, ziehen sie sich derlei rein und lassen bestimmte Standardisierungen widerspruchslos zu. Womit nicht gemeint ist, dass sie nun genau so sprechen, wohl aber, das sie durch vorpräparierte Phrasen und Akzente, Chiffren und Emotionen diese Welt erfahren, deuten und sie selbst bedienen. Oft recht virtuos.

Sie imitieren nicht bewusst, und doch werden sie zu selbstvergessenen Botschaftern einer Formatierung, nicht nur der Sprache, sondern auch was Stil, Mode, Habitus, Gestik und insbesondere Kaufgelüste angeht. Sie erkennen und anerkennen sich in ihren Ansprachen und Ansprüchen wieder, konstruieren ihre Zugehörigkeiten und Ausschlüsse und wissen doch trotz aller technischen Geschicklichkeit nicht, was ihnen da wiederfährt oder salopper ausgedrückt: was da in ihnen abgeht. Das alles vollzieht sich hinter ihrem Rücken, also synthetisch, es wird nicht reflektiert, sondern einfach angewandt. Es ist Bestätigung durch Betätigung. Und das Produkt sind erwachsene Staatsbürger, die fortan mit einem freien Willen ausgestattet sind. – Nicht wahr?

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