Magennah Wahrnehmbar

Brief aus Cordoba (Argentinien) 15. April 2008

von Dora de la Vega

Hier sind wir dabei, eine Veranstaltung zu der Krise in Kolumbien-Ecuador-Venezuela mit einem venezolanischen Genosse zu organisieren, nachdem sich der Konflikt zwischen Regierung und großen und mittleren und so genannten. kleineren Landproduzenten aktuell am Verhandlungstisch befindet und für zwei Wochen noch eine gewisse „Normalität“ herrscht.

Das Problem begann mit der offiziellen Ankündigung einer Export-Steuererhöhung (von 35% auf 41%) für einige Agrarprprodukte (Soja, Sonnenblumensamen und Mais), was die großen und mittleren Großgrundbesitzer auf die Palme brachte, obwohl sie die echten Gewinner der letzten Jahre gewesen sind und enorme Gewinne erwirtschaftet haben. Dabei sind u. a. auch die multinationalen Soja-Pools, die aus den Kreisen des Finanzkapitals stammen und riesige Flächen (zwischen 20.000 und über 100.000 ha) in Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay mieten, wo sie Soja für den Export (über 90%) anbauen. Um nur ein Beispiel dafür zu geben: Wer 500 ha Land pachtet – oder sich mit anderen dafür zusammentut – hat jährlich einen Netto-Gewinn von 1 Million Dollar.

Aber die Regierung hat die politische Bedeutung der Steuererhöhung so krass unterschätzt, dass die vier Organisationen trotz gewaltiger Unterschiede gemeinsam mit dreiwöchigen Straßenblockaden und Lieferstopp von Lebensmitteln reagierten. Sehr schnell haben wir in den Städten den Mangel an Fleisch, Milch, Mehl, Gemüse u. ä. zu spüren bekommen (der Kreis Produktion-Konsumtion wurde plötzlich für alle magennah wahrnehmbar). Die Rechten solidarisierten sich schnellstens mit den „Agrarproduzenten“ und das Fernsehen zeigte tausende elegante Damen und Herren, die mit ihren teuren und glänzenden Töpfen ihren Unmut auf der Straße äußerten, bis einige regierungsfreundliche Piqueteros kamen und sie aus den Straßen vertrieben.

Angesichts dieser Lage haben wir (etwa sieben Kollektive und drei Piqueteros-Organisationen) uns mit den kleinsten Agrarproduzenten (dem Movimiento Campesino Indígena, die immerhin in sieben Provinzen vertreten sind) getroffen und eine Aktion vor dem Agrarministerium innerhalb einer Woche verabredet. Sie bestand darin, die Straße zu blockieren und eine Volksküche einzurichten, unter der Motto „Weder mit der Regierung noch mit den Agrarverbänden: Umfassende Agrarreform gleich! “ Dafür konnten die Jungs vom Land 100 Kilo Fleisch trotz Straßenblockaden schmuggeln/hereinfahren (wir sorgten für Reis und Gemüse) und einen ganz tollen Eintopf auf einer der wichtigsten Straßen der Innenstadt kochen. Vorher hatten wir uns in vier Kommissionen (Logistik, Presse, Werken und Sicherheit) aufgeteilt. Bei der Entscheidung des Ortes dieser Aktion sind wir dagegen gewesen, weil wieder der Staat als Adressat ausgewählt wurde. Die Piqueteros argumentierten, dass die vielen selbstorganisierten Volksküchen der Stadt-Peripherie keine Lebensmitteln mehr hatten und deshalb der Hunger massive Konturen mit allen seinen Folgen angenommen hatte. Sie traten dafür ein, mit der Regierung für die Versorgung der Volksküchen zu verhandeln; dabei sind sie jetzt. Wir blieben aber in den Sitzungen ganz allein mit unserem Vorschlag, die Versorgung durch unmittelbare Verabredungen mit den Campesinos und mittelfristig durch eine politische und ökonomische Organisation der städtischen und ländlichen Armen (die bis 20 Hektar Land haben und einen kleinen Überschuss erwirtschaften) aber auf jedem Fall außerhalb der staatlichen Institutionen zu gewährleisten. Hier zeigte sich abermals, dass der Hunger eine Situation der Unmittelbarkeit schafft, die wenig Spielraum für andere politische Überlegungen lässt (vor allem wenn diese von Menschen, die sich immer noch tägliche Mahlzeiten leisten können) vorgetragen werden. Nun sind wir mit der Vorbereitung der Veranstaltung am 25. mit einem venezolanischen Journalisten sehr beschäftigt. Gleichzeitig muss ich eine (furchtbar schlecht bezahlte) Übersetzung bis Ende der Woche fertig haben – und nebenbei die Belange und Sorgen der drei Enkelkinder wahrnehmen. Auch keine ruhige Zeit, aber immerhin faszinierend. Aber darüber ein anderes Mal.

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