Krise ohne Alternative?

von Peter Klein

„Krise ohne Alternative“ – mit diesem Ausdruck belegt der Althistoriker Christian Meier die Situation, in der sich die späte römische Republik zur Zeit Caesars befand. Die alten Sitten und Einrichtungen, die auf Rom als Gemeindestaat zugeschnitten waren, funktionierten nicht mehr. Sie waren den Aufgaben, die das Weltreich mit sich brachte, nicht mehr angemessen und hatten dementsprechend an Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit eingebüßt. Aber man wusste nichts Besseres, man hatte die Worte und Gedanken nicht zur Verfügung, die es erlaubt hätten, sich mental und institutionell auf die neue Lage einzustellen. Die Doktrinäre der res publica, die in dieser Situation auftraten, vermochten sich die Krise nicht anders zu erklären als mit dem „Verfall der Sitten“ und dem „Verrat“ an dem von den Ahnen hinterlassenen Erbe. Verbohrt und verbissen hielten sie an den leergewordenen Formen und Formeln fest. Bekanntermaßen ohne Erfolg.

Etwas in dieser Art scheint uns auch jetzt wieder zu begegnen. Der Markt versagt, und die Doktrinäre des Marktes wissen allsogleich mit Bestimmtheit, dass er auf jeden Fall beschützt, bewahrt und gerettet werden muss. Natürlich durch eine Besserung der Sitten. Nicht die Banken sind das Problem, sondern die Gier und die unrealistischen Renditeerwartungen der Banker. Nicht der Kapitalismus wird in Zweifel gezogen, sondern nur eine bestimmte Variante davon. Wenn wir nur die „Kasinomentalität“ überwinden würden, könnten wir dort weitermachen, wo wir zur Zeit der Reagan und Thatcher aufgehört haben. So lautet offenbar das Credo derjenigen, die heute die Stelle des „alternativlosen Denkens“ besetzt halten. Seinerzeit aber stand die Schuldenmacherei durch den Staat am Pranger. Jetzt, nachdem der Exzess des privaten Kredits den fälligen Crash hingelegt hat, ist also wieder der Staat an der Reihe mit forciertem Schuldenmachen. Denn mit den Steuergeldern allein kommt er schon seit der letzten Weltwirtschaftskrise nicht mehr zurecht, die bekanntlich Keynes zu seiner Theorie des „deficit spending“ inspiriert hat. Kolossal einfallsreich ist dieser „Rettungsplan“ und sehr erfolgversprechend. Wenn ich lese, dass ohne diese Rettung „alles untergeht“, stößt mir unwillkürlich die Frage auf, ob andernfalls wohl die Sonne nicht mehr scheint, die Kartoffeln nicht mehr wachsen, die Kühe keine Milch mehr geben und niemand sich findet, der aus Milch Butter und Käse macht.

Der Zusammenbruch des Finanzsystems lässt sich nicht verhindern, und er wird unweigerlich auf die Realwirtschaft durchschlagen. Ein wirklich alternatives Denken, das sich eine Welt ohne die Geldpeitsche auszumalen vermag, wird vor dieser Perspektive nicht zurückscheuen. Und es wird auf die ungeahnten Möglichkeiten verweisen, die sich für die und mit der Arbeitslosigkeit eröffnen. Weniger Hektik, weniger Autos, weniger Energieverbrauch und weniger Umweltzerstörung. Von allem gäbe es weniger. Sicher auch weniger Verschleißkrankheiten und Burn-out-Syndrome. Aber Zeit, uns zu überlegen, für welche realen Bedürfnisse wir das unermesslich gewachsene „Weltreich“ der Produktivkräfte einsetzen wollen, hätten wir mehr. Mir fallen dabei die bemitleidenswerten Kreaturen ein, die als Anlageberater und Aktienanalysten die Dampfplaudereien im Börsenfernsehen bestreiten – über „Renditeerwartungen“. Zu so einem Schwachsinn muss man sich erniedrigen, wenn das Geld Ausgangs- und Endpunkt allen Tuns ist.

Eine Zukunft jenseits des Kapitalismus ist sehr wohl möglich. Sie gehört aber natürlich jenen, die an der Qualität des Lebens, nicht an der Quantität des Geldes interessiert sind. „Krisengewinnler“ werden diejenigen sein, die dazu fähig sind, Dinge zu tun, die ihnen als solche, nämlich im Sinne stofflich-realer Erfordernisse, zu denen meines Erachtens auch das Nichtstun und Träumen gehört, einsichtig sind. Die also das Geld als Grund und Ursache aller Entscheidungen hinter sich gelassen haben.

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