Fan und Zone

Nachschuss 26

von Franz Schandl

Es läuft, aber nicht unbedingt am Schnürchen. Auch bei der letzten Begegnung des Viertelfinales zwischen Spanien und Italien waren die Besucher auf der Wiener Ringstraße nicht allzu dicht gesät. Auch die Gewinnspannen der Gastronomen in den Fanzonen halten sich in Grenzen. Allzu oft ist Flaute angesagt. Der Beschwerden sind viele: Das Bier sei wässrig und zu teuer, das „Dänengebräu“ (Carlsberg) sei nicht zum Trinken, noch dazu herrsche eine Getränke-Diktatur der UEFA.

Public viewing ist auch zu dechiffrieren als Entatomisierung des Publikums. Die Zuschauer sitzen nicht mehr isoliert vor ihren Apparaten, sie werden von den Wohnzimmern in die Fanzonen gelotst, treffen sich mit ihresgleichen und dürfen sich als Masse spüren. Übertragungen von Fußballspielen eignen sich ganz ausgezeichnet, um Identifikation aufzubauen: Mannschaft, Dress, Marke, Flagge, Taktik, Strategie, Kampf, Sieg, Niederlage. Kaum irgendwo kommt der Fan so zu sich wie hier.

Proben nationaler Mobilisierung finden heute hauptsächlich via Sport statt, ja sind dessen erste Aufgabe. Im Event fühlt man sich mit etwas Höherem verbunden. Diese Fixierung korrespondiert mit einem unmittelbaren Desinteresse die eigene Lebenslage betreffend. Die Idee, dass es einem besser geht, wenn die eigene Mannschaft siegt, ist eine Täuschung, aber sie wirkt. Es sind Momente der Begeisterung, die Anhänger können sich gehen lassen, ja hingeben. Nation macht geil. Und Fans sind nicht nur männlich. Dass sich etwa fünfzehnjährige Kroatinnen für ihre Nationalmannschaft die Stöckelschuhe anziehen, sich aufputzen und fesch machen für den Staat im Schachbrett, war vor dem Spiel gegen die Türkei ein in Wien nicht zu übersehendes Phänomen.

Nationen vermitteln Geborgenheit, verbinden Herkunft und Rückversicherung. Je südöstlicher es geht in Europa, desto mehr wird diese Leidenschaft auch entfacht und zelebriert. Das bisher heißeste Match war so jenes zwischen den Kroaten und den Türken. Vor allem in Ottakring, wo viele Zugewanderte und ihre Nachkommen wohnen, wurden gröbere Scharmützel nur von der österreichischen Polizei verhindert. Wenn man deren schwer bewaffnete Reihen abfuhr, glaubte man freilich, hier würde bald ein Bürgerkrieg ausbrechen. Und es hat was davon, zweifelsfrei.

Fanmeilen vermitteln einen Auflauf, wie er dichter kaum sein könnte. In den Fanzonen herrscht Lärm und Enge. Lärm stellt ab auf Affirmation, Bedächtigkeit und Reflexion sind ihm fremd. Enge wiederum vermittelt Zugehörigkeit zu einer Masse, einem Fanblock. Wird es ganz eng, ja kommt es zum Gedränge, kann man sich nicht mehr bewegen, ohne permanent berührt zu werden und zu berühren, ist die Angst nicht weit. Panik und Erregung versetzen Herden leicht in Horden. Manchmal reicht eine winzige Provokation. Man lese bei Gelegenheit Elias Canettis „Masse und Macht“.

Auch die säuberliche Trennung in Fan und Hooligan trägt nicht. Jeder Fan ist in seinem Innersten ein Hooligan, mag dieser aggressive Kern auch nie zum Ausbruch gelangen. Das Kippen von der Herde in die Horde liegt bei diesen uniformierten Spektakeln und Massierungen immer im Bereich des Möglichen, selbst wenn es dezidiert nicht beabsichtigt ist. Friedfertigkeit und Partylaune können auch täuschen. Bezeichnend ist, dass Fans beaufsichtigt werden müssen. Zivilgesellschaft dieser Sorte darf nicht ohne Begleitung des staatlichen Gewaltmonopols auftreten. Nur dieses hält jene im Zaum, was alles andere als anheimelnd ist. Die veröffentlichten Fanbilder lassen oftmals auf schlichte Weggetretenheit schließen. Es ist eine simulierte Transzendenz, die sich als wirkmächtige Selbstüberschreitung realisieren möchte. Sie ist nur in der Masse herstellbar, Serienprodukt einer postmodernistischen HalluziNATION, mag die auch viele Namen haben.

aus: Freitag, 27.6.08

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