Unternehmer

von Franz Schandl

Chronologisch wie logisch gilt: Die letzte Instanz der Konkurrenz ist auch ihre erste, ihr Kern ist die nackte Gewalt. Die Ursprünge des modernen Unternehmertums liegen in systematischer Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit, in Aneignung durch Enteignung. Karl Marx hat dies im 24. Kapitel des ersten Bandes des Kapitals mit dem Titel „Die so genannte ursprüngliche Akkumulation“ ausführlich dargelegt. 1 Herbert Marcuse schreibt: „Von Anbeginn war die Freiheit des Unternehmens keineswegs ein Segen. Als die Freiheit zu arbeiten oder zu verhungern bedeutet sie für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Plackerei, Unsicherheit und Angst. Wäre das Individuum nicht mehr gezwungen, sich auf dem Markt als freies ökonomisches Subjekt zu bewähren, so wäre das Verschwinden dieser Art von Freiheit eine der größten Errungenschaften der Zivilisation. „2

Kann man derlei noch behaupten? Wirkt das nicht ziemlich deplaziert? Vorgestrig? Macht man sich da nicht lächerlich? – Soll sein. Vom Ende des freien Unternehmertums, wie es etwa Joseph A. Schumpeter3 oder James Burnham4 nach dem Zweiten Weltkrieg noch vorausgesagt hatten, ist nichts mehr zu hören. Im Gegenteil. Heute ist der Prototyp des freien Subjekts der freie Unternehmer. Daher sollen fortan auch alle welche sein. Der Soziologe Ulrich Beck etwa ist inzwischen zum Werbetexter eines neuen Unternehmertypus geworden, man achte auf die Wortwahl: „Die Figur des Gemeinwohl-Unternehmers bezeichnet eine personifizierbare Verdichtung von Initiativenreichtum, wie sie empirisch oft genug außerhalb und in Opposition zu den traditionellen Wohlfahrts- oder staatlichen Dienstleistungsorganisationen anzutreffen ist. „5 „Ihre unternehmerische Kunst und Fertigkeit liegt darin, dass sie unbefriedigte Bedürfnisse, ungelöste Aufgaben identifizieren und dafür brachliegende Ressourcen mobilisieren können. Sie vermitteln also in ihrer Person und Aktivität die Nachfrage und die Aufgaben der Bürgerarbeit. „6 Glaubt man den neuen Ideologen, dann ist die Zeit der Unternehmer erst angebrochen.

Dementsprechend hauen die Standesvertretungen auch auf den Putz: „Wir sind die eierlegende Wollmilchsau. Wir sind die Wiener Wirtschaft“, inserierte im Jahr 2000 der Wiener Wirtschaftsbund. Unternehmer gelten jedenfalls als innovative Köpfe und leistungsstarke Macher der Wirtschaft. Ihre Kreativität ist unser Wohlstand. Sie stellen nicht nur die Produkte her und beliefern die Märkte, sie schaffen auch die Arbeitsplätze. Obwohl Arbeitnehmer, werden sie Arbeitgeber geheißen. Wir haben ihnen dankbar zu sein. Dass sie sich in der Konkurrenz behaupten, dass sie dem sozialdarwinistischen Motto von „Fressen oder gefressen werden“ dienen, wird ihnen nicht nur nachgesehen, nein dieser Umstand fördert ihr Ansehen. Die Durchsetzungsvermögen genannte Rücksichtslosigkeit gilt in keiner Weise als Delikt, sondern als Tugend. Wir haben Respekt zu haben. Vergöttert werden gerissene Halunken, kaltblütige Ausbeuter, beinharte Rationalisierer, wendige Abstauber. Nichts wird so vergötzt wie profitfähige Exponate, leibliche Verkörperungen des konstanten Kapitals. Sie gelten als Heilsbringer, als Hohepriester, als Tatmenschen, kurzum Täter des Markts. Opfer, die hier getätigt werden, sind allemal Kollateralschäden. Sie werden einfach in Kauf genommen. Der Business geheißene Existenzkampf geht so.

Über den klassischen Bourgeois schreibt Marx: „Der objektive Inhalt jener Zirkulation – die Verwertung des Werts – ist sein subjektiver Zweck, und nur soweit wachsende Aneignung des abstrakten Reichtums das allein treibende Motiv seiner Operation, funktioniert er als Kapitalist oder personifiziertes, mit Willen und Bewusstsein begabtes Kapital. „7 „Als Kapitalist ist er nur personifiziertes Kapital. Seine Seele ist die Kapitalistenseele. Das Kapital hat aber einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb sich zu verwerten, Mehrwert zu schaffen, mit seinem konstanten Teil, den Produktionsmitteln die größtmögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen. „8 „Die kapitalistische Produktionsweise vorausgesetzt, ist der Kapitalist nicht nur ein notwendiger Funktionär, sondern der herrschende Funktionär der Produktion. „9 Jedes empirische Arbeitsverhältnis wird das bestätigen. Doch der herrschende Funktionär – der Begriff sagt es – ist kein Selbstherrscher. Er, der anders als der klassische Proletarier keinen Herren über sich hat, musste schon immer Herr seiner selbst sein. Der Kapitalist funktioniert nur, wenn er seine Funktion erfüllt. Es herrscht nicht Willkür, und wo sie herrscht, herrscht sie nicht lange.

In seinen „Randglossen zu Adolph Wagner“ hält Marx dezidiert fest: „Ich stelle umgekehrt den Kapitalisten als notwendigen Funktionär der kapitalistischen Produktion dar und zeige sehr weitläufig dar, dass er nicht nur , abzieht‘ oder , raubt‚, sondern die Produktion des Mehrwerts erzwingt, also das Abzuziehende erst schaffen hilft; ich zeige ferner ausführlich nach, dass, selbst wenn im Warenaustausch nur Äquivalente sich austauschen, der Kapitalist – sobald er dem Arbeiter den wirklichen Wert seiner Arbeitskraft zahlt – mit vollem Recht, d. h. dem dieser Produktionsweise entsprechenden Recht, den Mehrwert gewänne. „10 Ein produktives Unternehmen ist daher ein solches, das fremden Reichtum abzieht. „Ist die Überproduktion des Arbeiters Produktion für andre, so die Produktion des normalen Kapitalisten, des industriellen Kapitalisten, wie er sein soll, Produktion um der Produktion Willen. „11 Was der Unternehmer von anderen Käufern unterscheidet, ist: „Der Unternehmer kauft Produktivfunktionen. „12

Der Kapitalist gilt Marx als „Fanatiker der Verwertung des Werts. „13 Dieser Fanatismus rührt aus den Bewegungsgesetzen des Kapitals. Daher ist es auch ausgesprochen falsch, diesen aus der Profitgier abzuleiten. „Die Wirkungen, die die Dinge haben als gegenständliche Momente des Arbeitsprozesses, werden ihnen im Kapital zugeschrieben, als von ihnen besessen in ihrer Personifizierung. Selbständigkeit gegen die Arbeit. Sie würden aufhören, diese Wirkungen zu haben, wenn sie aufhörten, in dieser entfremdeten Form sich der Arbeit gegenüber zu verhalten. Der Kapitalist als Kapitalist ist bloß die Personifikation des Kapitals, die mit eignem Willen, Persönlichkeit begabte Schöpfung der Arbeit im Gegensatz zur Arbeit. Hodgskin fasst dies als rein subjektive Täuschung auf, hinter der sich der Betrug und das Interesse der ausbeutenden Klassen versteckt. Er sieht nicht, wie die Vorstellungsweise entspringt aus dem realen Verhältnis selbst, das letztere nicht Ausdruck der erstren, sondern umgekehrt. „14

Kommando

„Ebenso erschien ursprünglich das Kommando des Kapitals über die Arbeit nur als formelle Folge davon, dass der Arbeiter statt für sich, für den Kapitalisten und daher unter dem Kapitalisten arbeitet. Mit der Kooperation vieler Lohnarbeiter entwickelt sich das Kommando des Kapitals zum Erheischnis für die Ausführung des Arbeitsprozesses selbst, zu einer wirklichen Produktionsbedingung. Der Befehl des Kapitalisten auf dem Produktionsfeld wird jetzt so unentbehrlich wie der Befehl des Generals auf dem Schlachtfeld. „15 Der Produktionsprozess selbst wird „seiner Form nach despotisch“. 16 Das Kommandosystem in den Fabriken kann aber nicht auf Willkür und Unterdrückung zurückgeführt werden, selbst wenn es unmittelbar so erscheint: „Der Zusammenhang ihrer Arbeiten tritt ihnen (den Arbeitern, F. S. ) daher ideell als Plan, praktisch als Autorität des Kapitalisten gegenüber, als Macht eines fremden Willens, der ihr Tun seinem Zweck unterwirft. „17 Und noch einmal: „Der Kapitalist selbst ist nur Gewalthaber als Personifizierung des Kapitals. „18 Diese Autorität ist lediglich der Transmissionsleitriemen der Realisierung, nicht die schaffende Kraft der industriellen Leistung. Willkür und Repression sind Beigaben, untergeordnete Bedingungen des Funktionierens, nicht dessen Mechanismus. Was sich inzwischen auch an den flachen Hierarchien in der Betriebsführung demonstriert. Der Druck ist meist kein direkter, von einem Außen diktierter, sondern ein verinnerlichter und logischer. Der Befehl ist heute, zumindest in entwickelten Betriebsformen, eine Ausnahmeerscheinung, obgleich der Zwang nicht geringer geworden ist. Ziel ist Vollzug ohne Aufforderung. Die Leute sollen wissen, was zu tun ist. Sie sollen wollen, was sie sollen.

Zweifellos, das Kommando hat an Offensichtlichkeit verloren. Die Unterdrückung des Subjekts ist von außen nach innen gewandert. Wir sprechen von einer Verinnerlichung der Herrschaft. Unter Druck ist jenes nach wie vor, doch den großen Druck macht es sich selbst. Die kapitalistische Unterdrückung übt sich in den metropolitanen Demokratien in vermeintlich behutsamer Diskretion, der man die Gewalt der Verhältnisse oft gar nicht mehr anmerkt. Es geht um Selbststeuerung. „Seit der Facharbeiter weiß, was er sich schuldig ist, seit Angestellte die Regelungen des Arbeitstages akzeptieren, als handelte es sich um Naturgesetze, und vollends seit die Mitarbeiter eines Unternehmens mehr und mehr die Informationen selbst reproduzieren, in deren Genuss sie früher nur qua Anweisung kamen, muss dieses Bild korrigiert werden. „19 Der Druck des Marktes kommt als sachliches Konzentrat über die Mitarbeiter. Disziplin ist zur Selbstdisziplin geworden. Das Ich wird mit sich selbst fertig. Einen Pünktlichen muss man nicht zwingen, pünktlich zu sein, einen sich mit der Arbeit Identifizierenden muss man nicht anherrschen. Die Zwänge sind subtiler geworden, nicht geringer. Autoritäres Durchgreifen ist aber nicht abgeschafft, sondern lediglich aufgehoben. Nicht überwunden, sondern sistiert. Unter anderen Bedingungen kann es auch wieder abgerufen werden. Das Kapital vermag auf restriktive Maßnahmen zu verzichten, wo es diese nicht (mehr) braucht; werden sie nötig, ist das ganze Arsenal wieder einsetzbar. Womit freilich noch nicht gesagt ist, dass es sodann auch die gewünschten Ergebnisse zeitigt.

Ist das Kapital noch immer despotisch, wenn Befehlen und Gehorchen nicht mehr die elementaren Kommunikationsmuster darstellen? Nun, was soll man sagen? – Eine der dümmsten wie erhellendsten Fragen zugleich ist wohl diese: Ist ein Betrieb eine Demokratie oder eine Diktatur? Dumm, weil der konventionelle Begriffscode hier, oberflächlich betrachtet, gar nichts erkennen lässt. Erhellend, weil hier Freiheit und Kommando wunderschön in eins fallen, Selbstbestimmung und Unterwerfung derselbe Akt sind. Es ist nur mehr eine Frage der Perspektive, nicht irgendwelcher Prinzipien.

Leader

Lassen wir noch einmal den Wolf Lotter ran: „Die neuen Führer und Geführten folgen dem alten Heldenbild, sie tun, was sie immer getan haben: Sie begreifen Wirtschaft als moderne Form von Krieg und sich selbst als die Helden dieses Kampfes. „20 Dass Krieg und Unternehmen viel gemeinsam haben, liegt auf der Hand. In militärischem Kampfanzug referiert der SVP-Recke Christoph Blocher das, was er unter Führung versteht. Für Zweideutigkeiten ist in diesem egomanischen Autoritätskult von Befehlen und Gehorchen kein Platz. Blocher behauptet, „dass sich die Qualität der Führung und der Führenden an einer einzigen Größe zu messen hat, nämlich am erreichten Ziel, am Erfolg. Und weil jeder Führende stets sowohl Vorgesetzter als auch Untergebener ist – und damit stets einen Auftrag hat – ist seine Führungsqualität an der Erfüllung eines Auftrages zu messen. „21 „Der Auftrag steht im Mittelpunkt – und zwar der eigene.“ Sendungsbewusst verkündet er, dass es wieder einmal um Pflicht, d. h. um „Auftragstreue“ geht: „Der Verantwortliche ist einem Auftrag unterworfen, untertan.“ „Es gibt keine schlechten Mitarbeiter, nur schlechte Chefs.“ „Das Vorschieben der Sachzwänge ist nichts anderes als die Begründung des Misserfolges auf Vorrat.“ Zum Typus der Führungspersönlichkeiten schreibt Blocher, „dass sie trotz verschiedensten Charakteren vor allem eine gemeinsame Eigenschaft auszeichnet: eine – manchmal fast unheimliche – Verpflichtung gegenüber der Sache, ein Ernstnehmen ihres Auftrages. Alle – auch und gerade die eigene Person – ordnen sie diesem unter.“ Schon Hegel nannte die Pflicht „ein Sollen gegen den besonderen Willen“. 22 Auf jeden Fall gibt man uns doch deutlich zu verstehen: Unternehmer sind Offiziere des Kapitals und ihre Beschäftigten sind nichts anderes als Söldner des Marktes. Was man in Zürich weiß, weiß man auch in der Wiener Tageszeitung Der Standard: „Rekrutieren muss gelernt sein. „23 Und das ebenfalls an der Donaumetropole ansässige Wirtschaftsblatt titelt: „Manager mit Militärausbildung sind die besseren Chefs. „24 Da würde auch Blocher applaudieren.

Diese kultische Selbstinszenierung verweist auf die Masken des Kapitals und ihre primären Exponenten, die Kapitalisten. Gesungen wird das Hohelied der sekundären Tugenden: Pflicht, Auftrag, Ordnung, Erfüllung, alles unterworfen einer unbedingten Führung. Beim Unternehmer seiner selbst geht es darum, dass jeder sich zu dem bekennt, was er zu sein hat: Träger oder besser noch Überträger seines eigenen Humankapitals, das sich zu verwerten verstehen muss. Jeder fürsorgliche Klimbim wird hier als störend empfunden, geht es doch um die Entfaltung und Erhaltung einer sich selbst reproduzierenden Form.

Aktuell nimmt der Glaube an das freie Unternehmertum direkt fundamentalistische Züge an. Die Wirtschaftsliteratur verkündet die Wiederkehr des Wirtschaftsführers. Man wird nicht nur in der NZZ fündig, jeder Wirtschaftssteil jeder Zeitung und jedes Magazins beherbergt dieselbe Propaganda, die sich heute in der Verschiebung vom Manager zum Führer akzentuiert: „Darin sehe ich den Unterschied zwischen Management und Führung. Manager sind mit der Abwicklung komplexer Prozesse betraut, Führung mit jener der Veränderung“25, weiß die Harvard-Professorin Linda Hill. Leader seien „Change Agents“. „Leader sind keine Manager“, behauptet auch Edgar H. Schein, ehemaliger Professor für Organisationspsychologie an der Soan School of Management am MIT, der Leader gilt ihm als Kulturschaffer und Kulturveränderer, wobei mit Kultur die Unternehmenskultur gemeint ist: „Wenn die Kultur mit dem Markt übereinstimmt, dann ist das Unternehmen erfolgreich.“ Veränderung rührt aus Angst vor Misserfolgen: „Dann muss es im Unternehmen ein Gefühl der Angst, der Bedrohung geben, ein Gefühl: Wir müssen uns verändern, wenn wir überleben wollen. „26 Angst vor dem Gefressen-Werden wird zu einem positiven Trieb aller Gefräßigen. Kapitalismus bedeutet allemal, das zu tun, was einem nicht angetan werden soll.

„Die Planungszyklen der Unternehmen werden immer kürzer. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen immer weniger vorhersehbar. Manager reagieren, Leader antizipieren Entwicklungen“, lesen wir im Vorspann zum Artikel „Warum jetzt Leader gefragt sind“. 27 Vom Manager setzt sich diese Konzeption bewusst ab. Im liberalen Wiener Blatt, das natürlich weiß, was sich gehört, wird der Führer auch ganz korrekt Leader genannt. „Der Leader wird zum Visionär“, „letztendlich beginnt Leadership dort, wo Konsens aufhört.“ „Die Headhunter Helmut Neumann und Tamas Toth sind dabei, in Österreich und Osteuropa eine Leader-Schmiede zu etablieren.“ Man steckt einmal mehr im „Gründungsfieber“. Neudeutsches Zitat Toth: „The leader doesn’t transport the message, the leader is the message. “

Wer sich nur die Mühe nimmt, die Blätter zu durchforsten, wird immer wieder auf den Hymnus stoßen, geradezu anbetungs- und salbungsvoll wird diesen Exponaten ein Heldenlied gesungen. Die Strophen dieses Werbefeldzugs sind oft identisch bis ins kleinste Detail. Der Unternehmer ist der Gesandte des Kapitals. Gepriesen sei er. Anbetung der Maske gibt es nicht nur im Proletkult oder im Starkult, sie ist insbesondere auch Programm des konstanten Kapitals, sei es fix, zirkulierend oder rein fiktiv. Fabrikanten, Broker, Makler, Grundbesitzer, Hauseigentümer, Großaktionäre, die gelten schon was. Und selbst wenn dieses System zunehmend eklatiert und eskaliert, wird dies achselzuckend zur Kenntnis genommen: „Die Hälfte der Führungskräfte ist überzeugt, Konflikte in Unternehmen nehmen zu. Schuld ist der zunehmende Druck am Markt. Getan wird trotzdem nichts“28, heißt es lapidar im Wirtschaftsblatt.

Wie denn auch. Der Ablauf muss ablaufen und er läuft ständig schneller, auch was seine Destruktionen betrifft. Schöpfung meint Zerstörung. Zögerlichkeit oder Genügsamkeit sind jedenfalls Mängel, die beseitigt werden müssen. Wenn der oft zitierte Nationalökonom Joseph Alois Schumpeter von der Potenz der „schöpferischen Zerstörung“29 spricht, dann behandelt er die Frage völlig formzentriert. Er fasst sie theoretisch so, wie das Kapital sie praktisch löst. Schumpeter fragt in keiner Weise, was zerstört wird und was an seine Stelle tritt. Er konstatiert, dass das unaufhörlich der Fall ist, vergisst aber in seinem innovativen Eifer, worum es geht. Die schöpferische Zerstörung ist nichts anderes als das Rationalisierungsprogramm des Kapitals. Um Wert zu schaffen, muss es Werte vernichten, alles Stoffliche ist hier bloß Beiwerk, was zählt, sind Ziffern des Umsatzes und des Profits. Nicht ob eine Maschine besser ist als eine andere, ist die Frage, sondern ob sie billiger produziert. Nicht ob ein Produkt verbessert werden kann, sondern wie es besser verkauft werden kann, ist die ganz energische Frage, die der schöpferischen Zerstörung zugrunde liegt. Sie ist nichts weniger als eine Instanz des Werts.


Anmerkungen

1 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, S. 741-802; insb. S. 777ff.

2 Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft (1964), Darmstadt 1978, S. 22.

3 Ganz deutlich noch im Vorwort zur 3. Auflage (1950) von Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), Tübingen 2005, S. 500-525.

4 James Burnham, Die Revolution der Manager (1941), Wien 1949.

5 Ulrich Beck, Die Seele der Demokratie: Bezahlte Bürgerarbeit; in: ders. (Hg. ), Die Zukunft von Arbeit und Demokratie, Frankfurt am Main 2000, S. 428-429.

6 Ebenda, S. 430.

7 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, S. 167-168.

8 Ebenda, S. 247.

9 Karl Marx, Theorien über den Mehrwert (1861-63), MEW, Bd. 26.2, S. 38.

10 Karl Marx, [Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie“] (1879/80), MEW, Bd. 19, S. 359.

11 Karl Marx, Theorien über den Mehrwert (1861-63), MEW, Bd. 26.1, S. 254.

12 Alfred Sohn-Rethel, Soziologische Theorie der Erkenntnis (1936), Frankfurt am Main 1985, S. 96.

13 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, S. 618.

14 Karl Marx, Theorien über den Mehrwert (1861-63), MEW, Bd. 26.3, S. 290.

15 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, S. 350.

16 Ebenda, S. 351.

17 Ebenda. Vgl. dazu auch die Passagen in: ders. , Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Dritter Band (1894), MEW, Bd. 25, S. 397.

18 Karl Marx, Theorien über den Mehrwert (1861-63), MEW, Bd. 26.1, S. 365.

19 Dirk Baecker, Die Form des Unternehmens, Frankfurt am Main 1993, S. 165.

20 Wolf Lotter, Goodbye, Johnny, brand eins, Heft 02, Februar 2006. Lotter, das sei hier der Vollständigkeit halber angemerkt, vertritt freilich schon eine postmoderne Variante von Leadership, nicht mehr den klassischen Helden.

21 Christoph Blocher, Der Auftrag ist das Entscheidende. Keine Führungsunterschiede nach gesellschaftlichen Bereichen, Neue Zürcher Zeitung, 21. November 2000. Die folgenden Zitate (samt Hervorhebungen) stammen alle aus angeführtem Artikel.

22 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik I. , (1812), Werke 5, Frankfurt am Main 1986, S. 147.

23 Der Standard, 1. /2. Juli 2006 (Beilage KarrierenStandard).

24 Wirtschaftsblatt, 29. Juli 2006.

25 Der Standard, 1. /2. Juli 2006 (Beilage KarrierenStandard).

26 Zit. nach Die Presse, 18. Februar 2006 (Beilage KarriereLounge).

27 Der Standard, 29. /30. September 2001. Folgende Zitate aus dieser Ausgabe.

28 Wirtschaftsblatt, 15. Juli 2006.

29 Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), Tübingen 2005, S. 137f.

(aus: Franz Schandl, Maske und Charakter, krisis 31, Sommer 2007, S. 148-156)
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