Spiel oder Sieg?

Launige Vorschau auf die Euro 2008

von Franz Schandl

Fraglos ist der Fußball auch in Österreich nicht eine Angelegenheit des Spiels, sondern eine der Nation. In ihren Dienst soll auch die Euro 2008 gestellt werden. Jahre der Erfolglosigkeit tun dem keinen Abbruch. Das Stadion ist nicht unsere Piste, zweifellos. Man wird sich daher auch zukünftig auf Skifahren und Skispringen konzentrieren, denn da sind die Österreicher, dank der finanziellen Überdotierung fast unschlagbar. Und so werden auch die stets siegreichen Wintersportler, die Helden der weißen Arena, auf diversen Fußballevents ihre Gesichter zeigen, wahrscheinlich in rot-weiß-roter Kriegsbemalung. Der Skiweltcupsieger Benni Raich etwa oder der Skisprungweltcupsieger Thomas Morgenstern. Deren Saison ist zwar erst angelaufen, aber ihre Triumphe sind schon absehbar. Das Problem ist allerdings, dass das außer einige Alpenbewohner niemand so recht interessiert. Wer schaut etwa in Berlin, Paris oder gar London Skirennen an? Beim Fußball hingegen, da schaut die ganze Welt zu.

Die Frage ist weniger, ob die Österreicher in der Vorrunde ausscheiden, sondern wie sie ausgeschieden werden. Knappe Niederlagen wären toll, aber es ist auch möglich, dass das rot-weiß-rote Team vor heimischem Publikum weggeputzt wird. Dass der Gastgeber die Vorrunde übersteht, glaubt fast niemand. Mit Deutschland, Polen und Kroatien in einer Gruppe scheint das ein aussichtsloses Unterfangen. Aber wer weiß, vielleicht können sich die Österreicher in wildem Eifer glatt übersteigern. Dass das Spiel Österreich gegen Deutschland am 16. Juni in die letzte Runde der Gruppenphase fällt, lässt böse Erinnerungen an die WM 1982 in Spanien aufkommen, wo in einer ähnlichen Situation Österreich und Deutschland mit einem 0: 1 das einzig mögliche Ergebnis zum Aufstieg beider Teams lieferten. Das Spiel war geschoben, man brauchte aber gar nicht extra ausmachen, was a priori als ausgemacht galt. Ähnliche Gast- oder Gastgebergeschenke zwischen den beiden Ländern sind also auch diesmal nicht völlig auszuschließen.

Indes geht es auch anders: Das 3: 2 gegen Deutschland bei der WM 1978 war für Österreich nicht nur die Rache für die Schlacht von Königgrätz, Cordoba war ganz mitentscheidend für die Herausbildung der österreichischen Nation. Österreich hat Deutschland in Argentinien geschlagen. Unser Volksheld Hans Krankl hat die Deutschen mit zwei Toren regelrecht zertrümmert. „I wea narrisch“, schrie der legendäre Sportreporter Edi Finger senior ins Mikrophon. Das war nicht weniger als der letzte Inaugurationschrei einer noch jungen Nation.

Wenn Österreicher ein Match der Deutschen ansehen, sind sie alles andere als unparteiisch. Mitnichten, sie sind geradezu fixiert auf den großen Nachbarn. Idealtypisch treten dann im Publikum immer die Großdeutschen gegen die Piefkefresser an. Im Falle eines Tors zücken beide das Banner, entweder das germanische oder das des jeweiligen Gegners. Meist jedoch schauen sie an getrennten Orten fern. Ich werde mir solche Spiele deshalb beim türkischen Szenewirt am Margaretenplatz ansehen. Denn dort verkehren beide Fraktionen, wie ich bei der letzten WM erstaunt feststellen durfte.

Zweifellos könnten bei der Euro 2008 interessante und niveauvolle Matches auf uns zukommen, auch wenn einige begnadete Ballkünstler der Champions-League wie Kaka, Ronaldinho, Messi, Eto oder Drogba fehlen. Ebenso die nicht qualifizierten Engländer. Das sattsam bekannte deutsche Spiel sollte nicht die Europameisterschaft prägen bzw. gar den Sieg davontragen. Was sich übrigens auch auf Mannschaften wie den regierenden Europameister Griechenland oder den regierenden Weltmeister Italien bezieht. Anfällig für deutsches Unspiel sind gar viele. Die Deutschen hingegen spielten bei der letzten Weltmeisterschaft streckenweise erfrischend undeutsch. Man wird gespannt sein, ob es so bleiben wird, oder der Slogan „Das Resultat ist alles! “ wieder fröhliche Urstände feiert. Schade, dass es im Fußball keine Haltungsnoten gibt.

Eine reizvolle Studie könnte auch das deutsch-österreichische Kanzlerpaar abgeben. Denn dass der Kanzler und die Kanzlerin am 16. Juni gemeinsam auf der Ehrentribüne des Wiener Stadions sitzen, darf wohl angenommen werden. Merkel wird Gusenbauer zum Ausscheiden gratulieren und Gusenbauer Merkel zum Aufstieg in die Zwischenrunde. Der Kanzler wird sagen, dass nicht mehr zu erwarten gewesen sei, und die Kanzlerin wird sagen, dass sich die Österreicher tapfer geschlagen hätten, aber geschlagen werden mussten und es nun wohl an den Deutschen sei, den gemeinsamen Auftrag ins Endspiel zu tragen. Letzteres wird sie zwar nicht sagen, aber alle werden es hören. Höchstens, sie hat einen Schwips, der der trockenen Angela nicht schaden täte. Auch die Hochzeitsfotos mit dem Alfred wären dann von größerer Lockerheit. Fredi könnte sich da ganz weinselig von der besten Seite zeigen und für Angela einen alten Hit von Wolfgang Ambros singen: „Wem heit net schlecht ist/des kaun ka Guata sei/Wer no net gschbim hot/trinkt no a Glasal Wein. “

Österreich wird nach der Fußballeuropameisterschaft keineswegs in eine kollektive Depression stürzen. Schlechter als die Mannschaft ist, kann sie gar nicht spielen. Die Erwartungen sind so tief, dass sie sogar von Hickersbergers matter Truppe übersprungen werden können. Österreich beherrscht die Kunst des Tiefstapelns, was meint, man macht sich vorher so schlecht, dass alles nur noch als positiv erscheinen kann. War man im Mai 1999 am 17. Platz der Weltrangliste gereiht, so ist man jetzt auf den 94. Platz abgerutscht. Was kann da noch schief gehen, wo schon alles schief gegangen ist?

Der geschulte Österreicher (eigentlich: Ostösterreicher) behilft sich da mit dem Raunzen, etwas, das andere nicht verstehen, und wenn sie meinen, es zu verstehen, beleidigt reagieren. Es handelt sich dabei, wie der bekennende Wahlwiener Theodor W. Adorno einmal feststellte, um einen „individuellen Defaitismus, vor allem auch eine Neigung, eigene Mängel und Unzulässigkeiten übermäßig hervorzukehren“. Indem er das Schlechte noch schlechter macht, kommt dieses im Vergleich mit seiner Fiktion wieder gut weg. Es ist auf jeden Fall positives Denken der abgefeimtesten Sorte. Man täuscht die anderen, indem man sich kleiner macht, als man ist. Das ist praktizierender Hochmut, der sich als Kleinmut tarnt. Er hat zweifelsfrei etwas Falsches an sich. Manche nennen es auch Hinterfotzigkeit. Jene, die sie nicht intus haben, können an solcher Mentalität schier verzweifeln.

Natürlich wird die Euro 2008 hierzulande das Megaspektakel des Jahres. 16 Spiele finden in Österreich statt, die meisten davon in Wien, auch das Finale am 29. Juni. In trauter Eintracht, angeführt vom roten Kanzler und seinem schwarzen Vize, wird eine Nation ins Fußballfieber versetzt, zumindest der männliche Teil. Schriftsteller werden Kommentatoren, Musiker Ballexperten und Auslandskorrespondenten Sportkolumnisten. „Alles Fußball! “ ist angesagt. Und nicht nur am Rasen wird getanzt, sondern überall. Die ganze Stadt wird Bühne. Ein Teil der Innenstadt wird gesperrt und zur Fanmeile erklärt. Zu sagen, dass einen Fußball nicht interessiert, geht gar nicht. De facto ist das verboten. Aber auch zu sagen, dass man mehr am Verlauf als am Ergebnis interessiert ist, wirkt verdächtig. Wichtiger als die sportliche Bedeutung des Sports ist die politische oder besser noch: die kulturindustrielle.

Man feiert die Feste heute nicht mehr bloß, wie sie fallen, sie werden vielmehr seriell produziert. Ein Spektakel jagt das nächste. Die Gemeinde Wien etwa, die reiche Bundeshauptstadt, Standortsieger dank Ostöffnung, betreibt zweifellos eine Politik des „Brot und Spiele“. Reich und sexy sei die Hauptstadt, verkünden etwa die Wiener Sozialdemokraten in Anspielung auf einen Ausspruch Klaus Wowereits. Auch kulinarisch hat man hier noch einiges zu bieten, wenngleich nicht auszuschließen ist, dass beim Megaevent der Junk die Köstlichkeiten verdrängt, während der Preis für beides in ungeahnte Höhen klettert. Teuer und geil, dürfte die passendere Devise sein. Es wird sein ein großes Saufen und Fressen, der Kanzler macht den Vortrinker und der Wiener Bürgermeister den Voresser. Dass die anderen, vor allem die Piefke, vom Essen nix verstehen, ist Konsens, von oben bis unten, von rechts bis links. „Die Deitschen fressen immer nur Dreck“ behauptete etwa der Komponist Alban Berg gegenüber seinem Schüler Theodor W. Adorno. „Das Norddeutsche war ihm eine stetige Quelle der Heiterkeit“, berichtet derselbe. Dem ist noch immer so, auch ohne Berg und Adorno.

Österreich wird sich als reicher Gastgeber präsentieren, ähnlich der Schweiz, aber nicht so bieder wie die Eidgenossen. Denn die Ösis haben es faustdick hinter den Ohren. Anders als die Schweizer, die sich stets auf ihr Bergreich beschränkten, wollten die Österreicher ein Weltreich für sich haben. Keine Großmacht zu sein, das hat man hier bis heute nicht verkraftet. Daher werden wir sie im Juni nicht nur simulieren, sondern ernsthaft demonstrieren.

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