Selbständige

Von Franz Schandl

Kapitel aus: Maske und Charakter, krisis 31 (2007)

Darüber sollte auch das neue Unternehmertum nicht hinwegtäuschen: „Es herrscht Gründerzeit – oft jedoch unfreiwillig. Je schwieriger die Situation auf dem Arbeitsmarkt, desto häufiger stürzen sich viele ins Unternehmertum“, lesen wir in einem Zeitungsartikel mit der symptomatischen Überschrift „Volles Risiko statt stempeln gehen“. (Der Standard, 29. Dezember 2006) Laut diesem Bericht starten 15 Prozent der Firmengründungen direkt aus der Arbeitslosigkeit. Die Geboomten sind nicht selten in die Selbständigkeit Getriebene. Sie gründen, weil ihnen gar nichts anderes übrig bleibt. Unabhängigkeit wird zum Fluch, Abhängigkeit wirkt als Segen, solange sie die Versorgung sicherstellt. Das Gegenteil zur Abhängigkeit ist nicht die Unabhängigkeit, sondern das Abgehängt-Werden. Den Anschluss zu verlieren erscheint zusehends schlimmer, als eingeschlossen zu sein. Die Sicherheit für den Lohnsklaven besteht zumindest darin, sein monatliches Salär ausbezahlt zu bekommen. Das hat nicht jeder. Noch nie hatte diese Abhängigkeit so viele Anhänger. So sehr es die Ideologen des Markts auch austreiben wollen, Anhänglichkeit ist direkt ein Massenphänomen geworden.

Doch nicht alle hängen an der Vergangenheit, manche sind auch von der Gegenwart hellauf begeistert. So kommt es vor, dass Betroffene die neuen Zustände nicht nur nicht beklagen, sondern gleich Konditoren des Trends abfeiern. Es zeugt schon von einer grandiosen Originalität gerade in Zeiten der Auflösung von Festanstellungen, ihnen den Kampf anzusagen. Bekennungstäter dieser Sorte sind etwa Holm Friebe und Sascha Lobo, die als Vordenker der digitalen Boheme gelten und ein Buch mit dem bezeichnenden Titel „Wir nennen es Arbeit. Die digitale Boheme oder: Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“, München 2006. veröffentlicht haben. „Sie verzichten dankend auf einen Arbeitsvertrag und verwirklichen den alten Traum vom selbstbestimmten Leben“, heißt es lapidar wie paradigmatisch in der Ankündigung des Heyne-Verlags.

„Sei frei und selbständig“, lautete das Motto des 15. Jungunternehmertags am 5. Oktober 2005 im Austria Center Vienna. Auch die medialen Marktschreier von brand eins sind in diesem Sinne unterwegs. Es geht darum, in den Schützengräben der auf sich gestellten Selbständigen die nötige Euphorie zu verbreiten: „Selbständige sind die Grundlage alles Unternehmerischen, der Motor der Ökonomie. Anderswo. In Deutschland sind sie Bürger zweiter Klasse, die von einem verbiesterten System zu Außenseitern gemacht werden.“ (Wolf Lotter, Einsame Klasse, brand eins, Heft 01, Januar 2007, S. 54ff.) „Als Selbständiger ist man in Deutschland ganz unten“, wird zustimmend ein Professor für Innovationsforschung zitiert. Der Kampf um die Selbständigkeit wird gar zum antifaschistischen Befreiungskampf, zumindest suggeriert das der Titel des Januarheftes: „Der deutsche Kampf gegen die Selbständigkeit“. Das ist neu, ansonsten kommen die renovierten Vorurteile in neuem Styling zum Einsatz: „Selbständige sind Menschen, die etwas unternehmen und vielfach die Grundlage weiterer Unternehmen regeln. Leute, die auf eigenes Risiko, mit eigenem Geld und Geschick etwas tun und in der Regel hart dafür arbeiten.“

Das mit dem eigenen Risiko blamiert sich freilich ständig dadurch, dass jeder Konkurs und jeder Ausgleich nichts anderes zeitigt als die Auslagerung resp. Sozialisierung der Verluste. Nicht selten sind es ausgerechnet die verpönten öffentlichen Anstalten (Krankenkassen, Pensionsversicherungen, Förderstellen, Kommunen), die hier zum Handkuss kommen und via Abschreibung zur Kasse gebeten werden. So genau nimmt man es nicht. Passt auch nicht zu den ideologischen Schrullen. Dafür vertritt Lotter eine neue Klassentheorie: „Die herrschende Klasse ist in Deutschland die der Arbeitsplatzbesitzer, der Sozialversicherungspflichtigen. Und wie alle herrschenden Klassen vor ihr verteidigt auch sie ihre Pfründe.“ Arbeitsplatzbesitzer sind folglich zu enteignen. Das läuft zwar, aber wahrscheinlich nicht radikal genug.

„Das Kapital ist pure Welt und reale Wirtschaft“ (Wolf Lotter, Das Lebensmittel, brand eins, Heft 03, März 2006, S. 59ff.), schwärmt der Leitartikler. Skeptiker oder Kritiker müssen in die Schranken gewiesen werden, denn „es ist ein fester Bestandteil der Folklore, dass das Kapital und der Kapitalist an und für sich etwas Fremdes sind und etwas Bedrohliches.“ Nicht dass Lotter nicht solche auch kennt, aber das sind dann nicht die Schaffer seiner Realwirtschaft, sondern die Raffer eines „Geld-Geld-Kapitalismus“. Diese glaubt er tatsächlich von jenen unterscheiden zu können: „Zocken und Wirtschaft sind allerdings zwei grundlegend verschiedene Dinge, auch wenn Geld in beiden eine Rolle spielt. (…) Ein Spieler spielt und nimmt das gewonnene Geld, um daraus mehr Geld zu machen. Das ist der Zweck des Spiels. Das Geld arbeitet für sich. Es ist nutzlos und wertlos.“ Lotter spricht ausdrücklich von „Lumpenkapitalisten“, „sie denken nur ans Geld und sind genau deshalb, nun ja, das Gegenteil von Kapitalisten, nämlich asozial“. Was tun mit nutzlosen, wertlosen, asozialen Lumpen, fragt man sich da als Vertreter der Kategorie „Ehrliche Arbeit“. Genauso heißt auch der unmittelbar an Lotter anschließende Beitrag. Darin wird der Stahlunternehmer Jürgen Großmann als Vertreter dieser edlen Spezies interviewt.

brand eins ist zweifellos heute ein führendes Frontmagazin des schaffenden Kapitals. Abarbeiten und Aufbereiten kapitaler Leitbegriffe ist zentrale Aufgabe. In anspruchsvoll gestalteten Themenheften (Führung, Risiko, Luxus, Vorurteile, Erfolg, Marken, Verkaufen, Arbeit, Apparat, Plan, Verantwortung, Wachstum, Geld, Eliten etc.) wird stets Richtung und Tempo vorgegeben. Ganz unrecht hat Lotter natürlich wiederum auch nicht, denn zweifelsfrei, der Spekulant ist eine üble Figur. Aber nicht als Solitär. Er ist eine üble Figur unter gleichen, keine üble Figur sondergleichen. Üble Figuren der Konkurrenz sind doch ausnahmslos alle: der Unternehmer als Agent des konstanten Kapitals, der Kaufmann als Agent des zirkulierenden Warenkapitals, der Spekulant als Agent des zirkulierenden Geldkapitals und der Arbeiter als Agent des variablen Kapitals. Kommunismus ist mit diesen Figuren keiner zu machen, Kommunismus meint Abschaffung aller Agenturen des Kapitals. Keine Agenturen, keine Agenten.

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