Copyright & Copyriot

Aneignungskonflikte

Streifzüge 39/2007

KOLUMNE Immaterial World

von Stefan Meretz

Sabine Nuss, PROKLA-Redakteurin, hat ihre Dissertation als Buch veröffentlicht. Es handelt sich um ein Werk, um das die Debatte aktueller Entwicklungstendenzen im „informationellen Kapitalismus“ (Zitate aus dem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet) nicht herum kommt – leider bisher ohne größere Beachtung.

Die Autorin strukturiert ihr Buch in drei große Abschnitte. Im ersten Teil eröffnet sie das Szenario mit einer Beschreibung der aktuellen Aneignungskonflikte rund um digitale Informationsgüter. Dabei konzentriert sie sich auf zwei divergente Praxen: File-Sharing und Freie Software. Zentrale Auseinandersetzung ist dabei die um das sogenannte „geistige Eigentum“. Nuss beschreibt die juristische und technische Aufrüstung, die betrieben wird, um das exklusive Eigentum digitaler Güter durchzusetzen.

Schwerpunkt und inhaltlich stärkster Bereich ist der zweite Teil des Buches, in dem die Autorin einen historischen Abriss über die Entstehung des Eigentums bis hin zum modernen bürgerlichen Eigentumskonzept gibt. Überzeugend zeigt sie, dass die traditionelle Geschichtsschreibung moderne Kategorien auf vergangene Praxen rückprojiziert und damit den realen vormodernen Verfügungsformen nicht gerecht wird. Zentrale ontologisierende Behauptungen werden auf diese Weise von ihr dekonstruiert, etwa die Annahme, dass der Ausschluss Dritter seit jeher konstitutiver Bestandteil von Eigentum war. Statt um ein Eigentumsrecht mit einem abstrakten Eigentumsbegriff und einer strikten Trennung zwischen Bedürfnis und Sachverfügung, handelte es sich hingegen bei den vormodernen Formen eher um eine Art nicht exklusives materiales Eigentumskonzept (eigene Begriffswahl) mit zahlreichen verwandtschaftlich oder religiös strukturierten Weisen der Verknüpfung zwischen Bedürfnissen und Verfügungen über eine Sache.

Interessant ist die Koinzidenz zwischen den Ergebnissen von Nuss auf dem Gebiet des Eigentumsrechts und denen von Eske Bockelmann („Im Takt des Geldes“) in seiner Untersuchung über die Taktwahrnehmung. Erst die Verallgemeinung der Waren- und Geldform als eines zentralen Elements der sozialen Vermittlung setzte mit der Realabstraktion im Tausch den Takt als vom Material entkoppelten abstraktiven Taktrhythmus in der Wahrnehmung durch. Die überkommene materiale Taktwahrnehmung mit all ihren stofflichen und sozialen Bezügen wurde genauso wie eine in Verantwortung eingebundene materiale Eigentumsvorstellung obsolet. Reste davon scheinen in der leeren Floskel „Eigentum verpflichtet“ noch heute durch.

Doch während es Bockelmann gelingt, die zugrundliegende Transformation im gesellschaftlichen Stoffwechsel hin zur Verallgemeinerung des Äquivalententausches als Ursache und Antrieb für die Veränderung in Wahrnehmung und Denken sichtbar zu machen, bleibt dies bei Nuss im Dunkeln. Grund für diese Leerstelle in der Argumentation ist der Eigentumsbegriff selbst. Mit dem Begriff „Eigentum“ ist für die Autorin nämlich letztlich alles gesagt. Wo bei Marx noch der Wert die „gesellschaftliche Hieroglyphe“ ist, ist es bei Nuss das Eigentum als rechtsförmige Fixierung dieser Hieroglyphe. Zwar erklärt die Autorin, Eigentum sei „keine Herrschaft über eine Sache“, sondern „eine Beziehung zwischen Menschen bezüglich einer Sache … ein soziales Verhältnis“ (123f). Doch wo kommt sie her, diese „Beziehung“? Wodurch wird das soziale Verhältnis konstituiert? Diese Fragen stellt sich die Autorin nicht. Sie wähnt, mit dem Begriff des bürgerlichen Eigentums selbst schon den Schlüssel in den Händen zu halten.

In für mich irritierender Weise schreibt Nuss gleichwohl immer wieder von „Vergesellschaftungsform“ oder „Vergesellschaftungsweise“ und verweist gar auf die „Verwertung von Wert“ als Prinzip, erklärt jedoch bis zum Schluss nicht, was sie darunter versteht. Erst beim erneuten Lesen fand ich den Grund für meine Irritation: „Bürgerliches Eigentum ist … bestimmt als ein historisch-spezifisches Produktions- und Herrschaftsverhältnis, welches gekennzeichnet ist von der Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln und der Verwertung des Werts als dominierender Zweck gesellschaftlicher Reproduktion“ (177). – Hier werden Eigentum und basale Vergesellschaftungsform verkehrt, denn umgekehrt wird ein Schuh draus: Nicht das „Eigentum“ ist die basale Kategorie, deren Kennzeichen eine spezifische Vergesellschaftungsform ist, sondern die soziale Form der Vergesellschaftung über das Wertverhältnis als realabstraktive Praxis konstituiert das als Recht kodifizierte Verhältnis des abstrakten bürgerlichen Eigentums. Mit dem durch die Eigentumsbrille verengten Blick fallen in der Folge all jene Fragen aus, die sich auf das zugrunde liegende Wertverhältnis als der konstitutiven „gesellschaftlichen Hieroglyphe“ beziehen könnten.

Daraus zieht die Autorin den Schluss, dass, wer sich nicht in einem bewussten politischen Akt gegen das bürgerliche Eigentum richtet, doch nur kapitalaffirmativ handelt. Den subversiven, ambivalenten und neue Möglichkeiten eröffnenden Charakter Freier Software- und Kulturbewegungen wird sie damit nicht gerecht. Im dritten Teil zu „Entwicklungstendenzen im informationellen Kapitalismus“ lässt die Autorin folglich wenig gute Haare an Kritikerinnen und Kritikern des „geistigen Eigentums“, da diese nicht das bürgerliche Eigentum zur Gänze in Frage stellten und etwa mit freien Lizenzen gleichfalls das Urheberrecht und damit das bürgerliche Eigentumsrecht nutzen würden.

Sabine Nuss hat ihre Rolle als Kritikerin euphorischer Projektionen neuer Entwicklungstendenzen im Informationskapitalismus erfüllt, und dabei gibt es eine Menge zu lernen. Wenn andere dazu tendieren, die sprengenden Momente eines Widerspruchs überzubetonen, dann steht sie für die entgegengesetzte Sicht: Alles, was im Kapitalismus geschieht, ist für diesen auch funktional. Dabei gerät jedoch gar nicht erst in den Blick, ob der Kapitalismus in seinen basalen Reproduktionsformen über Ware und Wert bereits Widersprüche erzeugt, die neue Handlungsformen eröffnen. Wer hier weitergehen will, dem sei die Ausgabe 31 der Zeitschrift krisis empfohlen. (Sie erscheint voraussichtlich in Juni 2007. )

Sabine Nuss, Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2006, 269 Seiten, 19,90 Euro (D).

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