Make Copyright History!

Streifzüge 38/2006

KOLUMNE Immaterial World

von Stefan Meretz

Die globale Bewegung zur Befreiung digitaler Güter weitet sich aus. Was mit der Befreiung der Software begann, ist inzwischen zu einer Freien Kulturbewegung geworden. Das große „F“ im Adjektiv „Frei“ verweist auf die „vier Freiheiten“ der Freien Software, die für den Bereich digitaler Kulturgüter adaptiert wurden: die freie Nutzung zu jedem Zweck, der freie Zugang zu den Quellen, die freie Kopie und Weitergabe, die Möglichkeit zum Remix und freier Remix-Verbreitung.

Der Begriff „Remix“ verweist auf den genuin gesellschaftlichen Charakter von Kulturprodukten sowie allgemein aller Produkte. Remix bedeutet, verfügbares und kumuliertes Menschheitswissen zu nutzen, um daraus neue Produkte zu kreieren. Diese ontische Eigenschaft gesellschaftlicher Produkte steht der Warenform entgegen. Eine Ware muss knapp, das in Herstellung und Produkt vergegenständlichte Wissen muss exklusiv sein.

Im „analogen Zeitalter“ ist die Exklusivität durch die Verknüpfung von Material und Wissen gleichsam automatisch, eben „material“ gegeben. Patente und Urheberrechte sorgen zusätzlich für die exklusive Verwertbarkeit der an sich unstofflichen „Ideen“. Zwischen öffentlichem Nutzen und privater Verwertung gibt es eine tradierte „Balance“, denn eine schrankenlose Verwertung würde jeden gesellschaftlichen Zusammenhang zerstören. Diese viel beschworene „Balance“, die im Kern den bürgerlichen Sozialstaat ausmacht, zerfällt im digitalen Zeitalter. Zwei Prozesse sind hierfür ursächlich verantwortlich.

Zum einen ist die kapitalistische Verwertung in eine Krise geraten. Es ist keine Basisinnovation in Sicht, die eine neue „lange Welle“ der Vernutzung von Arbeitskraft und Mehrung der Wertsubstanz bedeuten könnte. Jede Produktivitätssteigerung zersetzt die Basis, auf der der Verwertungsprozess beruht. Ganz unliberal versucht das Kapital den Staat zum Instrument seiner Wünsche nach Sanktionierung der freien Kopierbarkeit zu machen – klebt doch im digitalen Zeitalter das Wissen nicht mehr am Produkt, sondern kann von einem zum anderen stofflichen Träger wandern. Denn auch das Kapital ist für eine sichere Rente – für seine Informationsrente.

Auf der anderen Seite ist es die digitale Form, die genau jene freie Kreativität ermöglicht, die das Kapital exklusiv verwerten will. Jede und jeder kann produzieren, kann Vorhandenes nehmen und daraus etwas Neues erzeugen – eben remixen. Lawrence Lessig, Jurist an der Stanford-Universität (USA) hat dafür ein schönes Bild gefunden: Es geht um den Übergang von einer „read-only“ (RO) zu einer „read-write“ (RW) Gesellschaft.

Das Kapital braucht das Copyright, um seine Vision einer RO-Gesellschaft durchsetzen. Passive Couch-Potatoes sollen konsumieren, was ihnen vorgesetzt wird – und dafür bezahlen. Auf der anderen Seite stehen Myriaden kreativer Menschen, die „ihr Ding“ machen. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Hacker, die sich „in Software“ austoben, sondern um eine breite Kulturproduktion. Für diese RW-Gesellschaft hat Lessig die Creative-Commons (CC)-Lizenzen entwickelt. Ähnlich den freien Softwarelizenzen geben sie den KulturproduzentInnen die Möglichkeit, ihre Produkte der Welt zur Verfügung zu stellen. Der Erfolg ist durchschlagend, inzwischen verweisen 140 Millionen Links auf die Website creativecommons. org und die CC-Lizenzen.

CC ist ein Einstieg in den Ausstieg proprietärer Kulturproduktion. Rund um CC sind völlig neue Formen der Subsistenz entstanden. So wird in den Favelas Brasiliens täglich Musik produziert, die auf CDs gebrannt nur über den Straßenhandel vertrieben werden. Schätzungen gehen von 1000 Releases pro Jahr aus, während es BMG/Sony gerade einmal auf 15 Neuerscheinungen brasilianischer Interpreten bringt – erhältlich nur in „normalen“ Geschäften. Die brasilianische Regierung unterstützt den Entkopplungsprozess durch den Aufbau lokaler Kulturzentren („Pontos de Cultura“). Dahinter steht eine ambivalente, aber durchaus realistische Einschätzung: „Jobs and employment are things of the 20th century. The future has nothing to do with employment“ – so Claudio Prado, Leiter der Abteilung für Digitale Kultur im brasilianischen Kulturministerium auf der Berliner Konferenz „Wizards of OS“ im September 2006. Krisenerscheinung und neue Formen lokaler Subsistenz und Autonomie jenseits „normaler Lohnarbeit“ liegen eng beieinander.

Selbstredend wird auch diese „Produktivität von unten“ wiederum privat angeeignet und gewinnbringend zu Markte getragen. Ein Beispiel ist „Web 2.0“: Vordergründig als neue Qualität interaktiver Anwendungen im Internet diskutiert, stehen hierfür im Kern jedoch neue „Geschäftsmodelle“, die darauf basieren, dass die User den Content, den sie nutzen wollen, selbst zusammentragen. Läuft der Laden erfolgreich, wird für ein paar Milliarden Dollar an Google verkauft – wie jüngst beim Videoportal „YouTube“ geschehen.

Ökonomisch besteht dieser widerspruchsvoll ablaufende Prozess in einer gigantischen Entwertung, dem sich langfristig auch die großen Content-Konzerne von Microsoft bis BMG/Sony nicht entziehen können. Diese Entwertung macht Platz für neue Formen der Peer-to-Peer (P2P)-Kooperation – noch im Geldmodus oder schon jenseits davon. Freie Software war nur der Anfang, die Freie Kulturbewegung ist neu auf der Bühne. Interessanterweise fallen die verschiedenen Formen der P2P-Kooperation dort auf fruchtbaren Boden, wo die Verwertungslogik bereits „ganze Arbeit“ geleistet hat und „normaler Kapitalismus“ längst nicht mehr funktioniert – während sich die Linke hierzulande an eben jene retrograde „Normalität“ klammert.

Der globale Entwertungsprozess ist nicht aufzuhalten, sondern er ist zu beschleunigen. Eine zentrale, im traditionellen Sinne politische, aber keineswegs antikapitalistische Forderung ist die nach der Abschaffung des Urheberrechts: „Make Copyright History“. Sie ist dennoch „unerhört“, denn sie erzwingt eine Bewegung im Kopf und im Tun, weil sie den realen Entwertungsprozess offen legt und Alternativen herausfordert: Wie wollen wir leben? Welche Kulturgüter wollen wir produzieren und genießen? Wie wird es mit der stofflichen Produktion laufen? Welche Formen der Kooperation kann es geben? Wie können wir uns alltäglich selbst organisieren? Fragen, die gestellt und besprochen werden müssen.

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