Eng wird’s

Wände im Anmarsch: Ein Sammelband zur Krise der Arbeitsgesellschaft

Christian Lauk

Rezension in Junge Welt 30.1.06 zu: Losarbeiten – Arbeitslos? Globalisierungskritik und die Krise der Arbeitsgesellschaft, hg. von Andreas Exner, Judith Sauer, Pia Lichtblau, Nora Hangel, Veronika Schweiger und Stefan Schneider, Unrast Verlag 2005, 285 S. , 16 Euro

Dem Grundwiderspruch einer Gesellschaft, die zur Herstellung derselben Menge von Gütern immer weniger Arbeit benötigt, gleichzeitig jedoch den Verkauf von menschlicher Arbeitskraft zur Voraussetzung für den Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum hat, kann einige Zeit durch eine kontinuierliche Ausweitung der Produktion ausgewichen werden. Doch sobald eine zum Ausgleich der Produktivitätssteigerung ausreichende Steigerung des Wirtschaftsvolumens nicht mehr so recht gelingen mag, wird dieser Widerspruch für immer mehr Menschen ganz konkret in Form von Arbeitslosigkeit und damit auch materieller Verarmung spürbar. Gehen wir davon aus, daß ein Zurück zu hohen Wachstumsraten nicht möglich und angesichts der ökologischen Krise auch gar nicht wünschenswert ist, so wird deutlich, daß nicht die Arbeitslosigkeit, also das Fehlen von Arbeit, sondern die Rolle der Arbeit in der Gesellschaft diskutiert werden muß: Was ist unter Arbeit zu verstehen? Welche Formen von Arbeit sind möglicherweise unterscheidbar? Wie haben sich die Arbeitsformen verändert, und welche Perspektiven gibt es, wenn überhaupt, für die Arbeit?

Eine Beziehungsform

Das in Zusammenarbeit mit ATTAC Österreich herausgegebene Buch »Losarbeiten – Arbeitslos? « enthält ein breites Spektrum an Positionen zur Krise der Arbeitsgesellschaft. 18 Beiträge von 21 Autoren werden in vier Kapiteln präsentiert: »Arbeitsgesellschaft in der Krise«, »Der Krisenalltag: Leiden als >Chance Reflexion«. Jedem Kapitel ist ein Editorial vorangestellt, das die Beiträge in einen Zusammenhang bringt. Ein Vorteil von Sammelbänden kann darin bestehen, daß innerhalb einer Debatte entscheidende Fragen und markante Trennlinien deutlich werden. So zeigt sich beim Lesen dieses Buches etwa, daß der Begriff »Arbeit« ganz unterschiedlich verstanden wird. Entsprechend unterscheiden sich die Analysen. Beiträge, die dem Ökofeminismus verpflichtet sind, wollen Arbeit in einem umfassenden Sinn verstanden wissen, als »soziale Beziehungsform« (Christa Wichterich). Sie zeigen Perspektiven in der »Umverteilung und Umbewertung der Arbeit« auf. In den Beiträgen der arbeits- und wertkritisch orientierten Autoren dagegen wird Arbeit als Lohnarbeit verstanden, als abstrakte Kategorie, die erst mit der kapitalistischen Produktionsweise entstand. Verschiedene Tätigkeiten gebe es schon immer und werde es immer geben, doch nur in der Warengesellschaft werde ein Teil dieser Tätigkeiten unter der Kategorie »Arbeit« subsumiert, während ein anderer, vor allem von Frauen verrichteter Teil, weiterhin unabdingbar für das Funktionieren der Gesellschaft, jedoch aus der ökonomischen Sphäre ausgeschlossen bleibe. Diese Tätigkeitsbereiche »ehrenhalber in den Arbeitsstand« zu erheben, wie von den Ökofeministinnen angestrebt, ändere nichts an ihrer Abtrennung, betont Ernst Lohoff von der Krisis-Gruppe in seinem Beitrag.

Zwei Risse

Allen voran begreift John Holloway die seinerseits konstatierte Krise von Lohnarbeit und Staat als Chance. Inspiriert von einer Geschichte Edgar Allan Poes findet er für die momentane gesellschaftliche Entwicklung das so eindrückliche wie treffende Bild eines Zimmers, dessen Wände näher kommen und seine Bewohner zu erdrücken drohen. Doch statt den Ausbruch zu versuchen, stimmen die Bewohner regelmäßig über die Aufstellung der Möbel ab. »Und dann sehen wir sie: zwei große Risse in der Wand. Und der eine heißt Arbeit und der andere heißt Staat. « Diese beiden Risse gelte es zu nutzen. Andere Autoren betonen, daß erstens der Staat sich keineswegs zurückziehe, sondern lediglich sein Gesicht in keinesfalls angenehmer Weise verändere, nämlich zunehmend repressiv werde, und zweitens ein Rückzug der Lohnarbeit nicht zwangsläufig zur Folge habe, daß alternative Formen der Vergesellschaftung entstehen. Michael Heinrich schließlich weist darauf hin, daß eine Krise der Arbeitsgesellschaft keineswegs eine Krise des Kapitalismus ist, da dieses System noch nie die Schaffung von Arbeitsplätzen oder angenehmen Lebensbedingungen zum Ziel hatte. Hinsichtlich der Perspektiven ist somit eine gewisse Ratlosigkeit zu spüren. Wer hätte anderes erwartet? Eine tiefgründige theoretische Analyse zur Krise der Arbeitsgesellschaft ist in diesem Band nicht zu finden. Das will und kann dieses Buch, das sehr unterschiedliche Perspektiven präsentiert, auch kaum bieten. Was es bietet, sind kurzweilig zu lesende Ansätze, von denen manch einer zur weitergehenden Auseinandersetzung anregt.

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