Äthiopische Decken

Streifzüge 38/2006

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von Franz Schandl

Da ersteht man im Juni 1992 zwei Decken in Addis Abeba und dann das: strapazfähig, anschüttbar, kinderfest, sonnenresistent. Auch nach 14 Jahren Gänsehäufel halten deren Maschen dicht, will deren Benutzbarkeit nicht enden. Natürlich, auch diese Decken sind nicht mehr wert als der Lebensunterhalt für die, die sie hergestellten haben. Werden sie jedoch ihren unmittelbaren Verhältnissen entrissen und hier in Einsatz gebracht, erweisen sie mir nicht nur einen außergewöhnlichen Nutzen, sondern auch einen ökonomischen SurplusWeiterer Deckenkauf wurde damit überflüssig. Bezogen auf den in Mitteleuropa herrschenden Wert durchschnittlicher Decken, bin ich ein spätkolonialistischer Kriegsgewinnler. Es ist sinnlich greifbar. Die Stoffe gleichen fast einem Geschenk mir unbekannter Menschen an mich, sind eine Freude, an der die fernen Produzenten freilich nicht einmal dem ortsversetzten Wert entsprechend partizipieren können. Die Decken sind Entwicklungshilfe. Nicht angewandte, sondern gewendete.

Die technischen Möglichkeiten sind hierzulande nicht schlechter als in Äthiopien, indes, produziert wird nicht nach Ansprüchen der Qualität, sondern nach den Kriterien möglichst effektiver Verwertbarkeit. Fazit: Decken haben nicht so lange zu halten wie die, an die ich zufällig geraten bin. Auch wenn sie die besten sein sollten, sind sie nach den Prinzipien des Weltmarkts einfach verwerflich. Solche Decken würden die Wirtschaft ruinieren, gerade weil ihr hoher Gebrauchswert den Tauschwert ad absurdum führt. Daher werden sie auch nicht zugelassen.

Bestünde ein Interesse an äthiopischen Decken, hätte man ihren Standard schon auf den marktüblichen abgesenkt. Sie wären also nicht mehr jene, von denen ich zehre. Qualität ist eine Gegnerin des Markts, daher frisst der Markt die Qualität oder besser: Er lässt sie nur als besondere Sparte, als teuren Luxus zu. Denn dann ist es wieder ein Geschäft. Und um nichts anderes geht es.

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