Mobilisierende Mobilie

Über die rasende Kommodifizierung der Gespräche

von Franz Schandl

Aus unserem Alltag sind sie nicht mehr wegzudenken. Gemeint sind die Mobilfunkgeräte, für die man sogar ein neudeutsches Wort, das englischer nicht klingen könnte, erfunden hat. Dass es überhaupt einmal eine Zeit gegeben hat, wo niemand als wandelnde Telefonzelle durch die Gegend gelaufen ist, ist unvorstellbar geworden. Derweil ist das noch gar nicht so lange her. Eine Angeschlossenheit an die Welt kann ohne kaum noch gedacht werden. Das Handy ist die uns mobilisierende Mobilie schlechthin. Und sein Platz ist am Ohr. Und wir sind am Drücker. Kein Abort, der nicht freigeschaltet werden kann.

Es gehört dazu und wir hören zu, ob wir wollen oder nicht. Natürlich gibt es noch Räumlichkeiten, wo das Handy ausgeschlossen wird und der Verweis nicht fehlt. Aber dieser Ausschluss tut sich zunehmend schwerer, ist immer weniger administrierbar und daher im Abnehmen begriffen. Ob sich handyfreie Refugien halten können, ist zumindest zweifelhaft. Die Kapitulation vor dem Handy erscheint unumgänglich und allumfassend. Eltern kapitulieren vor ihren Kindern, Angestellte vor ihren Vorgesetzten. Kaffehausbesucher, Straßenbahnbenutzer und Spaziergänger empfinden inzwischen als normal, was eine Störung ist. Die User sind überall.

An Handys gibt es vieles auszusetzen. Von der Beeinträchtigung des Alltags bis zur möglichen Gefährdung der Gesundheit durch elektromagnetische Strahlung. Darüber wird einiges geschrieben, im letzten August warnten etwa das österreichische Gesundheitsministerium und die Ärztekammer vor der allzu häufigen Verwendung der Mobiltelefone. An Handys gibt es auch einiges zu loben. Aber das wird (neben grobem Unsinn) sowieso flächendeckend in Spots, Flyers und Broschüren beworben. Nicht das Gerät ist das Problem, sondern das Gerät in seinem gesellschaftlichen Gefüge. Gegen den selektiven Gebrauch spricht nichts, wie gegen den allgemeinen Zwang alles spricht.

Eines aber kommt in allen Betrachtungen zu kurz. Das ist, was hier als Kommodifizierung der Gespräche bezeichnet werden soll. Der Prozentsatz an Dialogen und Monologen, der bezahlt werden muss, erhöht sich andauernd. Es wäre interessant zu erheben, wie viel Palaver inzwischen entgeltlich geworden ist. Wir zahlen jedenfalls für immer mehr Gespräche, die wir führen. Eine zwischengeschaltete Apparatur nimmt diese auf und kassiert nachher ab. Alles, was nur irgendwie möglich ist, muss zu einem Geschäft gemacht werden. Einzeltelefonate werden zwar billiger, aber Dauer und Anzahl der Gespräche nehmen zu und somit steigen die Rechnungen.

Es sind auch keine fixen Gebühren mehr, die entrichtet werden, sondern frei flottierende Preise. Sie machen einmal mehr die Gewohnheitsmenschen zu gehetzten Schnäppchenjägern, die das beste Angebot zu lukrieren haben. Wer bequem ist, zahlt drauf. Preise sind flexibel und ändern sich zusehends in rasantem Tempo. Anders als vorgestern sind wir angehalten, permanent zu kalkulieren, wollen wir nicht finanziell abgestraft werden. Diese Aufwendungen mögen sich rechnen, aber sie kosten eine Menge Zeit, die man zur ihrer Berechnung verwendet. Interessant wäre also auch zu wissen, wie viel (unbezahlte) Lebenszeit wir an diversen Kalkulationen versitzen. Da denken wir oft zwei Stunden nach um uns einen Stundenlohn zu ersparen. Bravissimo! So rechnet natürlich kein Betriebswirt, da ihm die Zeit, die der Kunde diesbezüglich vernutzt, nicht nur egal ist, sondern im Gegenteil: Betriebsinterne Kosten sind, wenn möglich, zu externalisieren. Der Kapitalismus ist, was die frei disponible Zeit der Menschen angeht, eine Zeitraubmaschine sondergleichen. Noch nie waren wir so beschäftigt, was meint: in Beschlag genommen wie jetzt.

(26. Oktober 2005)

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