Der gute Markt

Attac denkt über eine »alternative Weltwirtschaft« nach. Das Modell läuft auf einen Aufguss gescheiterter Konzepte hinaus.

von Andreas Exner

Wogegen sich der Widerstand zu richten habe, vermeint das Netzwerk Attac klar zu sehen. In der Opposition gegen die Welthandelsorganisation (WTO), gegen das Freihandelsabkommen Gats und gegen Hartz IV konnte Attac sich durchaus profilieren. Die Perspektive des Netzwerks aber liegt im Dunkeln. Meist wird eine »Vielfalt der Alternativen« beschworen, doch worin diese – jenseits illusionärer Regulationsvorschläge – bestehen sollen, bleibt diffus. Ursprünglich angetreten, dem freien Fall der Linken ein Auffangnetz zu bieten, stellt sich mittlerweile die Frage, inwieweit es Attac gelungen ist, über eine Defensivgruppierung am scheinbaren »Ende der Geschichte« hinauszugelangen.

Verschwörung oder Überakkumulation?

Was die Ursachen der gegenwärtigen globalen Krise anbelangt, so beherrschen seit der Gründung von Attac zwei grundlegende Gedanken die Argumentation. Der eine sieht im Ende des Wirtschaftswunderkapitalismus das Wirken einer neoliberalen Verschwörung. Die Politik, von unerklärlicher Blindheit geschlagen, nehme ihren Gestaltungsspielraum nicht mehr wahr. Um dieses Leiden zu kurieren, »müssen Politik und Wirtschaft wieder als das erkannt werden, was sie eigentlich sein sollten: Instrumente, um die Lebensumstände aller Menschen möglichst angenehm zu gestalten. Die Wirtschaft darf nicht als Selbstzweck an sich fehlinterpretiert und die Politik nicht als Erfüllungsgehilfe einer verselbständigten Ökonomie eingesetzt werden«, schrieben Vertreter von Attac Österreich jüngst in der Tageszeitung Der Standard.

Der über die Konkurrenz vermittelte Zwang zur Profitproduktion wäre demnach auf eine »fehlerhafte Interpretation« der Wirtschaft zurückzuführen. Dem staatlichen Interpreten der Verwertungsmaschinerie, dem vermeintlichen Erfüllungsgehilfen eines verselbständigten Wunschdenkens, wird mithin so Einiges zugetraut.

Realitätsnäher geben sich die Vertreter eines domestizierten Klassenkampfmarxismus, der ursprünglich zwar die Ausbeutung, also die staatlich regulierte Auspressung von Mehrwert kritisierte, Wertproduktion, Markt und Staat in aller Regel jedoch nicht abschaffen, sondern bloß unter die Regie der Arbeiterklasse stellen wollte. In ihren Empfehlungen heute meist einer Nachfragestärkung zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums verpflichtet, versuchen sich diese Vertreter immerhin an einer Analyse des globalen Akkumulationsprozesses. Der Gedankensprung von der Feststellung einer Überakkumulationskrise zur Forderung nach einer »Beschränkung der Finanzmärkte«, die nach der Meinung des Attac-Beraters Jörg Huffschmid dazu beitrage, »den Widerstand gegen weiter gehende Reformen zu überwinden«, gleicht dann allerdings eher einem theoretischen Salto mortale als einem gangbaren Weg zu einer »anderen Welt«. Das Kapital drängte ja wegen fehlender »realwirtschaftlicher« Verwertungsmöglichkeiten in den Finanzmarkt, dessen Einschränkung die Krise somit nur verschärfen würde. Wie aber ein neues »realwirtschaftliches« Wachstum herbeizuzaubern wäre, das weiß auch Huffschmid nicht.

Beide Strömungen stimmen in ihren reichlich antiquierten Vorstellungen einer »Demokratisierung der Wirtschaftspolitik« überein, die an der Warenproduktion und am Staat nicht rütteln wollen. Stattdessen laufen sie auf eine gesamtwirtschaftliche Investitionsplanung, etwa nach Vorbild der französischen planification der Nachkriegszeit, hinaus, deren Voraussetzung unter anderem ein staatlicher Handlungsspielraum und Wachstumspotenziale sind, die nicht mehr existieren.

Die Alternative zum Markt: der Markt

Die alternativen Ideen der Vordenker von Attac konzentrieren sich allesamt auf die Sphäre des Marktes. Die Produktion gilt allgemein als sakrosankter Intimbereich des Kapitals, der lediglich äußerlich-rechtsförmig zu »regulieren« sei.

Wird der Weltmarkt kritisiert, so ist man bei Attac schnell mit der Forderung nach »fairem Handel« bei der Hand. Zweifellos sind Unterschiede in der Produktivität der Wirtschaftsstandorte und damit einhergehende Tauschrelationen in sozialer Hinsicht desaströs, sie sind jedoch ein notwendiges Resultat der Konkurrenz. Ein »fairer Markt«, der weder eine ökonomische Überlebenskonkurrenz noch Verlierer kennt, wäre schlicht kein Markt.

Das anonyme Kommando der Verwertung über Art und Menge der Produktion wird dagegen nur selten thematisiert. Dabei erschlösse sich daraus eine Kritik der Wert- und Warenform, in der gerade der selbstzweckhafte wie selbstbezügliche und aus diesem Grunde für Mensch und Natur destruktive Charakter kapitalistischer Produktion begründet liegt.

Hegemonie des kleinsten Nenners

Attac Deutschland hat seine unterschiedlichen Vorstellungen zu einer »alternativen Weltwirtschaft« in einem Manuskript dargestellt, das im kommenden Sommer bei VSA erscheinen soll. Dieser beachtlichen kollektiven Anstrengung kommt das Verdienst zu, eine Vielfalt an Widersprüchen und Bruchlinien auch als solche kenntlich zu machen. So spannt sich der Bogen der Alternativentwürfe von Freiwirtschaft und ökosozialer Marktwirtschaft über Subsistenzperspektive und Marktsozialismus bis hin zu »radikaler Wirtschaftsdemokratie«. Es handelt sich um ein Sammelsurium, das lediglich eine fragwürdige Abgrenzung gegen rechtes Gedankengut zusammenhält. Zugleich wird auch der hegemoniale Sog des Mainstream deutlich: Wo der kleinste gemeinsame Nenner regiert, ist seine Stärkung das Ergebnis. Die scheinbar konsensuale Rede von »der Solidarökonomie« gerät so zu einer ähnlich inhaltsleeren Formel wie die der »nachhaltigen Entwicklung«.

Vor einer Entwicklung zur »außerparlamentarischen Sozialdemokratie« warnte der Politologe Ulrich Brand. In diese Richtung schreitet Attac zwar fragend, aber zielgenau voran. Angesichts der langfristigen Stagnationstendenzen kapitalistischen Wachstums haben solche Vorstellungen keine Möglichkeit, verwirklicht zu werden. Wo auch läge ein systemimmanenter Ausweg aus dem Teufelskreis von Wachstumsschwäche, Massenarbeitslosigkeit und der Verengung staatlichen Gestaltungsspielraums?

Vielmehr werden die Chancen auf eine Emanzipation vom globalen Krisenkapitalismus von Attac vertan. Denn diese Chancen liegen nicht in einer utopischen Konzeptehuberei, sondern im Widerstand gegen die Zumutungen der Warenform und der Wertverwertung, die sich in sozialer Desintegration und der ökologischen Krise äußern. Um diesem Widerstand auch eine Richtung zu geben, die über den Krisenprozess hinauszielt, wäre ein – notwendigerweise grob umrissenes – Leitbild jenseits von Markt und Staat allerdings eine wesentliche Voraussetzung. Für die radikaleren Attac-Strömungen könnte sich eine Abnabelung als eine Frage emanzipatorischer Integrität und sozialer Kreativität erweisen.

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