Unsere Pisten, unsere Burschen, unsere Erfolge

Beobachtungen rund um das Phänomen Kitzbühel

von Franz Schandl

In einem Jahr, wo weder Schiweltmeisterschaften noch Olympische Spiele ins Haus stehen, ist Kitzbühel, „die Streif“, „das Hahnenkamrennen“ zweifellos der Höhepunkt des alpinen Schizirkus. Nirgendwo sonst versteht man es, sich so zu inszenieren wie in den Nordtiroler Alpen. Die halbe Wiener Prominenz wird da eingeflogen. Auch die beiden Präsidentschaftskandidaten, Heinz Fischer für die SPÖ und Benita Ferrero-Wallner für die ÖVP werden sich im Ziel und bei den Events tummeln. So eine Gelegenheit darf man nicht auslassen. Dort nicht zu erscheinen, kann nicht toleriert werden. Nur Schwarzenegger fehlte diesmal.

Spektakel

Kitzbühel ist in diesen Tagen das VIP-Nest sondergleichen. Alle sind sie da zu sein: der Geldadel, der Politadel, der Blutadel, samt dazugehörigen Medienfritzen und zahlreichen Clowns aus den Seitenblicken. Dieser in- und ausländische Starauflauf ist inzwischen freilich so dicht, dass kaum noch für andere dort Platz ist. Im VIP-Gedränge beim Stangl-Wirt oder anderswo kann es schon passieren, dass selbst einmal ein Schiheld unter die Räder kommt, etwa Fritz Strobl, zweifacher Kitzbühel-Sieger und Olympia-Goldmedaillengewinner im Abfahrtslauf, der akkurat bei irgendeinem superwichtigen Promitreffen vom Einlasspersonal nicht erkannt und zurückgewiesen wurde.

Aber auch die breite Masse wird via Television befriedigt. Der Bildschirm macht jedoch die steile Piste flach. Man kann sich nur sehr bedingt Gefahr und Anspannung vorstellen. „Oben hast die Hosen voll und unten bist froh, dassd no lebst“, sagt der Sieger von 1999, der durchaus sympathische Hans Knauss. Selbst Hermann Maier, der vom Maurer zum nationalen Superstar avancierte, tritt seit seinem schweren Motorradunfall vor drei Jahren etwas schmallippiger auf: „Es ist nicht mehr die absolute Bereitschaft“, meint er über seine Läufe. Absolute Bereitschaft heißt absolutes Ausschalten des Gehirns. Keine Angst haben zu dürfen, ist nicht einfach.

Fernsehübertragungen beginnen jedenfalls oft Stunden vorher. Auch das Publimum ist gut durchtrainiert, fachlich wie emotional. Wir kennen uns aus: Mausefalle, Seidelalm, Steilhang, Hausbergkante; wir fühlen mit, denn wir wissen, worum es jetzt geht: Um den Kitzel aus Kitz. Um unsere Piste, auf der unsere Burschen unsere Erfolge heimfahren. So auf Anhieb wollte es heuer eh nicht klappen, erst im dritten Anlauf am Samstag fuhr man den ersten Heimsieg ein. Da aber deklassierte unser Weltcupsieger Stephan Eberharter den Zweitplatzierten gleich um 1,21 Sekunden, was fast eine Ewigkeit ist.

Wer ist schuld, wenn kein Österreicher gewinnt? Natürlich die Ausländer. Etwa dieser Elch aus Norwegen, Lasse Kjus oder der Ami Daron Rahwles, die am Donnerstag und Freitag unseren Sonderassen Hermann Maier und Stephan Eberharter jeweils um einige Hundertstel den Sieg wegschnappten. „So a Hundsviech“ pflegte Assinger in ähnlichen Momenten schon des öfteren zu sagen, und das ist nicht unfreundlich gemeint ist, kann auch auf Inländer Anwendung finden. Am häufigsten kommt übrigens Bode Miller, der Mann aus Übersee zu solchen Komplimenten. Das ist jener Siegläufer, der sich traut irgendwie runterzufahren wie sie es in keinem österreichischen Training erlauben würden. „Der hat Gummiknie, keine Bandln drin“, urteilt auch Assinger über des Amerikaners Fahrstil.

Zur Direktübertragung gehören auch diese Sprüche des Armin Assinger, einst Kärntner Gendarmeriebeamter, zwischenzeitlich Abfahrtsläufer und nun Showmaster und Werbestar. Jeden Winter sitzt er bei den Speed-Disziplinen (Abfahrt, Super-G) als Co-Moderator im ORF-Container und lässt seine nicht nur fachlichen Kommentare los: „Da derfst nix anbrennen lossn“, „Net unsauber gfoan“ oder „Diese Hunds-Kompression“. Nichts kann den Schmäh erschüttern. Nur einmal geriet er sichtlich außer Fassung, und zwar als man vor einigen Jahren seinen Bruder Roland nach einem schweren Sturz per Helikopter ins Krankenhaus transportierte. Da verließ Armin fluchtartig das Studio.

Stürze sind aber doppelt wichtig: erstens befriedigen sie Sensationsgier und Schadenfreude des Publikums, und zweitens ermöglichen die Unterbrechungen des Rennens zahlreiche Werbeblöcke. Werbung ist sowieso allgegenwärtig: Auf der Piste, im Ziel, auf den Schiern, den Läufern, den Trainern, den Service-Leuten – überall drängen sich die Markennamen in unser Unterbewusstsein. Die Kamera hat alles einzufangen, kein Flecken soll der Reklame entgehen. Wichtiger als der sportliche Wettbewerb ist die kommerzielle Konkurrenz. Am allergegenwärtigsten ist jedoch die (gemessen an der Bevölkerungszahl) größte Zeitung der Welt, die Kronen Zeitung. Die meisten heimischen Schiläufer werben für sie, oder besser umgekehrt: Die Krone bewirbt sich an allen.

Großmacht

Der Schirennsport ist in Österreich nicht bloß ein nationales Anliegen, sondern das patriotische Projekt schlechthin. Viele Fans dokumentieren Kriegsbemalung durch die ins Gesicht geschmierte Flagge. Und ständig ertönt die inoffizielle Hymne des Landes, „I’m from Austria“, so ein Hit des unsäglichen Rainhard Fendrich.

Nirgendwo sonst kann sich das Land derart als Großmacht simulieren. „50 Prozent der ersten Fünfzehn gehören Österreich“, wusste der ORF-Reporter nach dem Super-G am Freitag zu vermelden. Freilich, je mehr der Alpine Schilauf zur österreichischen Meisterschaft mit ausländischer Beteiligung gerät, desto weniger gilt ihm über die Grenzen hinaus Aufmerksamkeit. Der verdrängte Alptraum der Älpler ist wohl dieser: Wir gewinnen und niemand nimmt es wahr. Dass man sich in Berlin oder Hamburg, ja vielleicht nicht einmal in München permanent die Skirennen durch die Glotze reinzieht, kann man hierzulande kaum nachvollziehen.

Ja, was ist eigentlich mit den Deutschen? Nun, die nimmt man bei den Herren kaum wahr, geschweige denn ernst. Grad dass sie halt auch da sind. Dass sich der Florian Eckert überhaupt runtertraut, wird positiv erwähnt, doch ist ein leichter Unterton nicht zu überhören. Selbst die Schweizer, jahrelang die Kontrahenten der Österreicher, werden inzwischen mitleidig belächelt. „Der eiserne Karl braucht ein Erfolgserlebnis“, sagt Assinger über den Chef des Schweizer Nationalteams, der übrigens ebenfalls aus Österreich, und zwar aus der Steiermark kommt. Unsere Trainer trainieren so ziemlich alles. Ambrosi Hoffmann rettete dann aber doch noch die Ehre der Nachbarn: „Die Schweizer können zufrieden sein, mit Platz Drei steht bei Herren heuer erstmals einer der Ihren am Podest“, weiß der ORF-Moderator.

Die Überheblichkeit ist spürbar. Die Österreicher wollen nicht nur sich klassieren, sie wollen die anderen deklassieren. Allerdings werden die Tage der rot-weiß-roten Überlegenheit auch wieder mal zu Ende gehen. Das Abfahrtsteam etwa ist überaltert. Fast alle sind über dreißig oder schon knapp dran. Dann ist Staatstrauer angesagt.

Allerletzte Meldung

Noch was: Auf RTL überlegt man im Sinne surrealer Demokratisierung ernsthaft die Streif am Montag nach den Rennen anzumieten und Leute wie dich und mich, vor allem aber Arbeitslose und arme Schlucker runterzujagen. Immer wieder begleitet von der nach dem Sturz sich sehnenden Frage des Moderators: „Wird er gesund runterkommen? “ Was in dieser Reality-Show nicht alles übertragen werden könnte: Serienunfälle, Hubschraubereinsätze, Todesstürze. Platz wäre auch für Rettungsautos, Operationsberichte und Leichenwägen, für Reportagen mit frisch Querschnittgelähmten und Müttern, die um ihre Söhne weinen. Die Überlebenden werden alsdann reichlich belohnt, die Verletzten gratis gepflegt und die Toten auf Senderkosten begraben. Bei den zu erwartenden Einschaltziffern null Problem. -Geschmacklos? Iwo!

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