FAN UND FÜHRER

Thesen zur Typologie des affirmativen Unwesens

von Franz Schandl

1. Der Fanatiker von heute heißt Fan. Der Führerkult hat sich im Starprinzip demokratisiert. Die Promiparade ist der Laufsteg der Kulturindustrie. Diese ständige Idolisierung ist Ausgeburt drückend empfundener Mangelhaftigkeit und Minderwertigkeit. Die (und das Wort ist hier in seiner ganzen maskulinen Bedeutung gemeint) Verherrlichung von Stars durch Fans, die flächendeckende Idolatrie, ist eines der gängigsten Muster der Selbstmissachtung. Von Kindesbeinen an werden die Menschen auf Vorbilder ausgerichtet. Wer kein Idol hat, ist nicht. Sich an Größen aufrichten zu müssen, heißt am Defizit zu leiden, selbst keine Größe zu sein. Kleine Leute eben, die einen ideellen Komplementär brauchen. Walter Benjamin war einer der ersten, der in Star und Diktator Parallelerscheinungen erkannte.

2. Es ist der „Kleinheitswahn“ (Sigmund Freud), der sich in Größenwahn versetzt und sich in der Masse versteckt. Im erniedrigenden und selbsterniedrigenden Gerede vom „kleinen Mann“ steckt schon der Keim des Größenwahns, der in der Masse sein Betätigungsfeld sucht. In der Masse enthemmt sich der Gehemmte. Es handelt sich dabei um eine chronische Depression, der anders als einer akuten aber kaum individuell beizukommen ist. Es handelt sich um eine gesellschaftliche Störung, die jedoch durchaus funktional ist, weil die Gesellschaft eine gestörte ist.

3. In der Herde und noch deutlicher in der Horde kann man sich vergessen, was meint: einlösen und auflösen in einem größeren Ganzen, das jedes individuelle Gefühl, nicht nur jenes der Verantwortung, aber insbesondere das, auslöscht. Getrieben folgt man einem Trieb, über den man sich keine Rechenschaft ablegt. Bei dieser Vielzahl scheint jeder Irrtum ausgeschlossen. Einer kann irren, viele nicht! Wo das Ich, obwohl ideologisch so überhöht und angebetet, tatsächlich aber so vernachlässigt wird wie in der bürgerlichen Gesellschaft, ist der Abschied vom Ich eigentlich naheliegend, auch wenn er sich absolut nicht als solcher verstehen will. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich die egomanische Ichversessenheit als krude Ichvergessenheit.

4. Der Fan ist das kritiklose Unwesen. Wobei Unwesen zu verstehen ist als das sich-unwesentlich-machen des Anhängers. Erhöhung durch Selbstaufgabe. Fan sein meint Ausser-Sich-Sein. Dieses Ausser-Sich-Geraten ist das spezifische Charakteristikum des Fans. Wenn das Gefallen in ein Verfallen mündet, in eine Fallsucht sondergleichen. Der Fan ist süchtig, im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht um Starmania, wie der Ausdruck es selbst goldrichtig umschreibt, und sogar unabsichtlich begreift. Der Fanatismus heute ist freilich nicht mehr so stringent und fixiert wie in den Zwanziger- oder Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts, er ist vielmehr beliebig und flexibilisiert. Die Grundform ist identisch, die Äußerungsform nicht.

5. Der Führer hat freilich nur die Führung übernommen und inne. Des Weges zu ziehen ist seine unbedingte Aufgabe, die ihm oft Lust, manchmal freilich auch Last ist. Er steht auf jeden Fall unter Erfolgsdruck, was meint Wachstumsdruck. Er folgt dem komparativen Zwang. Die Masse will sich vermehren. Sie will akkumulieren. Ökonomisch ausgedrückt: Die Verwertung der Masse ist ihre permanente Massierung. Gelingt ihr diese nicht, geht sie bankrott. Der Führer ist aber nicht selbstbestimmter als die, die ihm folgen, auch wenn das die feste Überzeugung der seinen ist. Seine als absolute Sicherheit wahrgenommene Führung ist ein Trugbild, doch sie ist Realität gewordene Marschrichtung. „Er weiß, wo es hingeht, daher werden wir folgen“. Des Publikums Ratlosigkeit korrespondiert mit seinem Rat, der als fixe Größe erscheint. Seine Ratlosigkeit kann demnach nur als Entratung, ja somit als Verrat aufgefasst werden. Der Führer ist Gefangener seiner struktiven Konstellation. Sollte der Führer offensichtlich versagen oder gar zugeben, er wisse nicht, wohin er oder es führe, dann wäre er seiner Führung entledigt. Solche Führer gibt es nicht. Ein Führer muss die Masse im Griff haben, hat er sie nicht, ist er nicht nur seiner Führung los, sondern auch die Masse in Auflösung.

6. Im populären Ranking ist der Führer immer der Führende, ja er muss es sein, will er es bleiben: Einschaltziffern, Werbequoten, Verkaufszahlen. Denken wir an Jörg Haider. Der war in seinen besten Zeiten immer vorne. In Führung. Der Markt ist mit ihm, und jene die für ihn sind, können eigentlich nicht gegen ihn sein. Haider-Cover verkaufen sich am besten, Sendungen mit Haider haben die höchsten Zuseherraten etc. Er hält die Pole-position. Seine Wahlkampftour ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Wahlkampftournee. Und bei der Tournee geht es um das Tournieren, was nichts anderes bedeutet als Rüben mit einem besonderen Messer auszuformen, also Köpfe leer, aber scharf zu machen.

7. Haider ist ein Schlager. Ein Wordrapper sondergleichen. Jederzeit für einen Spruch gut. Ganze Lagerhallen hat er voll davon. Und das kommt an, ja es wird geradezu erwartet. „Er ist steif und laut. Er ist wie Rock ’n‘ Roll: Laut und immer dasselbe.“ Das sagte Joe Zawinul in einem Interview mit der Zeitschrift profil. Aber dieser Sound geht rein, er ist der Sound der Zeit. Und zwar, weil er mit den Lebensumständen kompatibel ist. Das allgemeine Rauschen, das uns da zu Hörigen macht, wird nicht als Besonderheit wahrgenommen, sondern als Selbstverständlichkeit. Ebenso selbstverständlich gibt es einen Haider-Rap auf CD. Auffällig ist, was und wer geschlagen wird. Laut Günther Anders definieren sich „Schlagwörter als Worte der Schlagenden zum Gebrauch für die Geschlagenen“- genau das ist ihr Zweck.

8. Der Fanatiker ist der Affirmatiker par excellence, dessen Idealtypus. In ihm wird der zaghafte, ja verzagte Verteidiger (seiner selbst) zum Stürmer (gegen die anderen). Führung ist das Wesen des Fans. Der Fan steht auf die Leitung, die er gar nicht wahrnimmt und auf der Leitung, die er ebenfalls nicht erkennt. Der Fan wird aber nicht konformiert, er kommt schon formatiert daher. Seine Gewordenheit ist ihm kein Problem, ja nicht einmal eine stellbare Frage. Ignoranz schützt aber nicht vor Konsequenz. Im Gegenteil: Er ist für was, wovon er nichts versteht. Er ist ganz einfach drauf, gut drauf. Er wird aber nicht verleitet, er leitet bis zu einem gewissen Grade sich durchaus selbst. Er ist sein Selbstführer, er gehorcht sich, er ist sein „eigener Herr“. Ja, es ist das Ziel sein eigener Herr zu sein, niemanden anderen über sich herrschen zu lassen als das verinnerlichte Sich-selbst, das da als Ich daherkommt, ja geradezu Persönlichkeit behauptet. Im wahrsten Sinne des Wortes, hier herrscht die Selbstbeherrschung.

9. Der Unmut der Durchflexibilisierten, ihre Haltlosigkeit schreit direkt und unmittelbar nach einem festen Halt. Führung verspricht, den Haltlosen Halt zu geben. Auch wenn dieser nur simuliert sein sollte, ergriffen wird er. Der Haltlose will gar nicht verstehen. Er will zugehörig sein. Er will gehörig sein. Er will hörig sein. Er will treu sein. Er will. „Politische Begabung einer Menge ist nichts als Vertrauen auf die Führung“, behauptete einstens Oswald Spengler. „Unsere Ehre heißt Treue“; in Sedimenten ist dies abgelagert, und wenn auch nicht mehr lebbare völkische Substanz, so doch abrufbare und anrufbare Bezugsgröße, die Grüße aus besseren Zeiten und jene verkündet. Auch wenn der Referenzpunkt außer Reichweite ist, funktioniert er als munitionierter Mythos einer aggressiven Gemeinschaft: Wir!

10. Einen Führer brauchen jene, die sich nicht auskennen, aber genau wissen, wo es lang geht.

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