Un-heimliche Verwandtschaft

Zum Naheverhältnis von Zivil- und Bürgergesellschaft

Streifzüge 3/2000

von Peter Pirker

Bei einer Diskussion im Depot sah Oliver Marchat einen Erfolg des Protestes gegen die blau-schwarze Regierung in der Durchsetzung des Begriffes der Zivilgesellschaft gegen den der Bürgergesellschaft. Indiz dafür sei, daß auch Kanzler Schüssel den Begriff aufgenommen und positiv konnotiert habe. Ob diesem semantischen Durchbruch der große demokratische folgt? Oder hat der Kanzler erkannt, was linke Intellektuelle hierzulande noch bestreiten? Daß die Zivilgesellschaft nicht das ganz andere der Bürgergesellschaft ist und mitnichten jenes Modell, gegen das ideologische Sträuße ausgefochten werden müßten. Vertreter des „demokratischen Widerstandes“ werden allerdings nicht müde zu betonen, das Ideal der Zivilgesellschaft konkurriere mit dem von der ÖVP favorisierten politischen Konzept der Bürgergesellschaft.

Die Vorstellung von der Möglichkeit einer „rein“ demokratisch begründeten Zivilgesellschaft gab den demokratischen Referenzpunkt für die populäre Kritik des Neoliberalismus in den 90er Jahren ab. Wenig überraschend verlief die Neoliberalismuskritik in ähnlichen Figuren wie der Zivilgesellschaftsdiskurs. Das Dilemma der Neoliberalismuskritik[1] hat sich ja gerade mit der Erfüllung ihres politischen Vorhabens eingestellt: Die Kritik am „Raubtierkapitalismus“ ist zwar hegemonial geworden, aber das was als Neoliberalismus bezeichnet wurde, die Vermarktwirtschaftlichung der Gesellschaft, läuft ungebrochen weiter. Der Linken mag es zwar gelungen sein, einen Teil jener nach ’89 so ersehnten Öffentlichkeit zurückerobert zu haben, indem sie das schlechte Gewissen der Gesellschaft mobilisierte und in ihrem Namen auf die „gesellschaftliche Einbettung“ der neuen Akkumulationsstrategien drängte. Die auf Polanyi zurückgehende Entbettungsthese vom Bedeutungsverlust des Staates und dem Terror der Ökonomie stand Pate für die vehemente Forderung nach einer Rückkehr des Politischen. In der in den 90er Jahren heraufziehenden Bürgergesellschaft offenbarte sich aber das vielbeschworene und angeblich unter neoliberaler Mißachtung leidende „Allgemeinwohl“ noch deutlicher als das, was es in einer kapitalistischen Gesellschaft immer war: Die Aufgabe, die Verwertungsbedingungen des Kapitals innerhalb eines bestimmten Territoriums als gemeinsames Interesse all der Nation Zugehörenden durchzusetzen und möglichst zu optimieren. Hier würden die Denker der Zivilgesellschaft Einspruch erheben: Allgemeinwohl ist Ideologie! Konflikt statt Konsens! Interessen statt Nation! Die Vehemenz der Abgrenzung täuscht aber über gewisse Gleichförmigkeiten von Zivil- und Bürgergesellschaft hinweg.

An vier Aspekten kann der reale Durchbruch des Zivilgesellschaftskonzeptes in der Bürgergesellschaft besonders deutlich gezeigt werden: An der Bezeichnung der spezifischen Allgemeinheit der Zivilgesellschaft als handlungsfähige und konfliktintensive Pluralität am zivilgesellschaftlichen Aspekt der Legitimation und Repräsentation gesellschaftlicher Macht im Staat an der Versöhnung von bourgeois und citoyen, sowie an der Formulierung einer spezifischen politischen Moral.  

An diesen neuralgischen Punkten zeichnen sich aber auch Tendenzen zu einer perfekten Symbiose aus Individuum und Staat ab. Nach der bisher eher formaldemokratischen Verstaatlichung des Einzelnen beginnt sich so etwas wie eine tätige und daher totale Subordination durchzusetzen. Daß dieser Prozeß auch als Verschwinden des Staates oder als Ende der Politik mißverstanden wird, liegt an den weiter vorherrschenden monolithisch-marxistischen Blicken auf den Staat oder eben an der zivilgesellschaftlich-liberalen Weigerung, die ideologische Trennung von Staat und Gesellschaft zu ignorieren. Die Ansicht, daß der Staat parallel zur Ausweitung des Marktes sich im Rückzug befinde, ist trügerisch. Staatlichkeit wird vielmehr mit der Ökonomisierung allgegenwärtig.

Zivilgesellschaft

Im traditionellen Marxismus herrscht(e) der Glaube vor, das Proletariat verkörpere gegen die Partikularinteressen der Bourgeoisie den Allgemeinwillen des Volkes. [2] Perspektivisch wäre die Verwirklichung des Gemeinwillens durch die proletarische Machtübernahme im Staat zu erreichen. Mit der Entdeckung der Zivilgesellschaft sollte – unter Aufbietung des antitotalitären Argumentes – dieses Privileg der Arbeiterklasse verabschiedet werden. Als bessere – nämlich demokratischere – Lösung zur Herstellung eines eben nicht homogenen, sondern pluralen Allgemeinwillens brachten Ende der 80er Jahre deutsche Politikwissenschafter mit Distinktionsbedarf die Zivilgesellschaft als „eine handlungsfähige und konfliktintensive Pluralität“ ins Spiel. Ein „offenes“ gesellschaftliches Gespräch im öffentlichen Raum sollte doch eine diskursive Formierung des Allgemeinwillens ermöglichen, hofften Rödel, Dubiel und Frankenberg in ihrem mittlerweile zum Zivilgesellschaftsklassiker gewordenen Buch „Die demokratische Frage“. [3] Ein Motiv, das bestimmend für die Formulierung des Zivilgesellschaftskonzeptes war, lag in der Annahme, daß die Autonomie des Individuums sowohl von Seiten des Staates als auch von Seiten der Ökonomie (des Marktes) bedroht wäre. Die Zivilgesellschaft wurde daher als eine Sphäre eingeführt, in der sich die demokratische Selbstregierung der Individuen tunlichst frei von den Aspirationen des Staates und des Marktes entfalten könne. Dieser der analytischen Konzeption Gramscis widersprechende Begriff einer normativen Zivilgesellschaft wäre eine erst herzustellende bzw. gerade entstehende eigensinnige Sphäre politischen Handelns mündiger und souveräner BürgerInnen, die bewußt als citoyens in einem vorstaatlichen Raum agieren. Damit sei der Versuch verbunden, das demokratische Projekt, die Selbstregierung des Volkes, erneut in Angriff zu nehmen.

Entschieden wehrten sich Dubiel et. al. daher gegen eine substantialistische  Bestimmung des Allgemeinwohls. Vielmehr „wird die Zivilgesellschaft (… ) durch die Anerkennung der Regeln, in deren Rahmen die Konkurrenz der Meinungen ausgetragen wird“[4] integriert. Eine substantialistische Auffassung von Allgemeinwohl drohe hingegen immer in totalitären Zwang umzuschlagen. Es ist also die gemeinsame Form, auf der die zivilgesellschaftliche Demokratie beruht und nicht ihr Inhalt. [5] Dieses  zivilgesellschaftliche „Projekt der gemeinsamen Selbstregierung auf der Basis wechselseitiger Anerkennung als gleiche und freie Individuen – einer Anerkennung, die sich im Zusammenhandeln der Mitglieder der Zivilgesellschaft immer von neuem bewähren muß“[6] wird ausdrücklich als formale Bestimmung definiert, die bar jedes metaphysischen Gehaltes auf der reinen Selbstbestimmung des freien Willens beruht.

Genau an dieser Stelle zeigt sich aber auch die Grenze einer idealistisch formalen Herangehensweise. Daß „der freie Wille“ und die „wechselseitige Anerkennung als gleiche und freie Individuen“ sehr wohl einen bestimmten Inhalt hat, müßte eigentlich seit Marx‘ Analyse des freien Willens als Ausdruck der bürgerlichen Subjektform „Warenbesitzer“ bekannt sein: „Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehn, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben“. [7] Die normative Idee vom freien Willen in der wechselseitigen Anerkennung als Gleiche will von ihrer Grundlage in der Warengesellschaft nichts mehr wissen. Sie affirmiert in ihrem „Sollen“ und „Wollen“ – unbewußt oder nicht – etwas, das durch den Modus der Vergesellschaftung generiert ist: die Rechtsform der Subjekte. Die Rechtsform wird in der Zivilgesellschaftstheorie wie ein Artefakt behandelt, als das sie im Moment der Proklamation etwa der Menschenrechte ja auch erscheint. Nichtsdestoweniger ist sie kein Ergebnis bewußt-intentionalen Handelns, sondern gehört integral zur historisch-spezifischen Warenform menschlicher Beziehungen, kann daher wohl schlecht als autonom bezeichnet werden. Mit der Autonomie der Zivilgesellschaft und ihrer Öffentlichkeit sowie dem eigenmächtigen Rechtssubjekt als ihrer Grundfigur ist es dann aber nicht mehr weit her. Die Inthronisierung des gesellschaftlichen Zwanges, sich als WarenbesitzerIn verhalten zu müssen, zur Ausgeburt des freien Willens verstellt die Bedingungen der Zivilgesellschaft genauso wie ihre Genese. Besonders viel Wert gelegt wurde in der Abgrenzung zum Marxismus ja auf die Pluralität des Allgemeinwillens. Und es wird betont, daß gerade durch die „wechselseitige Anerkennung als gleiche und freie Individuen“ die Pluralität des Allgemeinwillens ständig garantiert ist –  die Einheit der Gesellschaft nur formspezifisch ist. Die beiden Eigenschaften zivilgesellschaftlicher Praxis sind von der Rechtsform eigentlich nicht zu unterscheiden. Die Momente der pluralen Allgemeinheit und Einheit in der Rechtsform reflektieren ja gerade das stumme Gespräch der WarenbesitzerInnen. Dadurch können die Waren, die sie tauschen, so verschieden sein wie ihre Geschmäcker, so verschieden wie ihr Gelächter, ihre Nasen, ihre Meinungen und ihr Sex. Diese Momente der Rechtsform sind die Zivilgesellschaft par excellence. Sie reflektiert sozusagen die universelle und abstrakte Seite der Warenwelt in politischen Begriffen. Hier ist die Pluralität, das grenzenlose Disputieren auf einem freien Markt der Meinungen und Lebensstile zu Hause. Nun werden die Gleich-Gültigkeit und die gleichzeitige Anerkennung am  Konsumentenmarkt bisweilen als Strukturmerkmale für eine neue Bürgerlichkeit gehandelt. Über sie, schreibt Natan Snaider etwa, würde uns „die kapitalistische bürgerliche Gesellschaft vom Zwang zur Zugehörigkeit und von der ständigen Sehnsucht nach Selbsttranszendierung“[8] befreien. Konsum in einer kapitalistischen Gesellschaft bedeutet aber auch anderes. Er beinhaltet einmal den Widerspruch zwischen der Begrenztheit individuellen Konsumierens aufgrund seiner Geldvermitteltheit und dem Versprechen des grenzenlosen Konsums durch die Repräsentation der Ware. Das unbeschränkte Konsumversprechen der Warenwelt ist dann durch die eingeschränkte Konsumrealität qua Zugang über die Lohnarbeit gebrochen. Eine wie auch immer gewollte Politisierung der abstrakten Gleich-Gültigkeit der Zirkulationssphäre führt daher nicht zur lockeren und gelassenen Gesellschaft, sondern wird nur bestätigen, was bürgerliche Gleichheit immer auch bedeutet: das Fortdauern einer in vielerlei Hinsicht gespaltenen und hierarchisierten Gesellschaft.

Bei all der ins Treffen geführten Autonomie: Es wäre zweifellos eine Überinterpretation würde man behaupten, die zivilgesellschaftlichen citoyens würden diese nützen, um sie gegen den Modus der Vergesellschaftung zu richten. Worum es geht, wird im neuen Arbeitsprogramm des Frankfurter Instituts für Sozialforschung erklärt. Es ist sicherzustellen, „daß die Macht, die eine Gesellschaft im Namen des Staates auf sich ausübt, immer nur repräsentiert, aber nie monopolhaft angeeignet werden soll“. [9] Damit sind wir beim Aspekt der Legitimation und Repräsentation gesellschaftlicher Macht im Staat. Die Zivilgesellschaft ist hier die spezifische Vermittlungsform zwischen Staat und Gesellschaft. Die Gründe, warum es einen Staat braucht, durch den die Gesellschaft Macht auf sich selbst ausübt, sind beiseite gestellt. Der wesentliche Punkt ist die Betonung, daß der Staat nicht sui generis existiert – in seinem Namen bringt er nur die gesellschaftliche Macht zur Anschauung und Wirkung. Er hält das gesellschaftliche Potential sozusagen nur in Bewegung (oder in Form), indem er es in seiner Materiatur zusammenzieht, verdichtet und qua dieser anderen Potenz die Gesellschaft durchdringt. In dieser Hinsicht ist der Staat nichts anderes als der Modus der Verfestigung einer spezifischen Form gesellschaftlicher Macht durch ihre Verselbstständigung, und das ist ja nicht falsch. Nur bleibt wiederum die Frage nach der gesellschaftlichen Macht ausgeblendet, bzw. wird sie bloß in einer die Rechtsform als Zirkulationsfigur bestätigenden Kommunikationsregel gesehen. Die Zivilgesellschaft, als permanenter Generator gesellschaftlicher Macht, verleiht in diesem Bild dem Staat Legitimität, wenn er die Spielregeln der Zivilgesellschaft, ihr Machtkonstiuens achtet. Sie fungierte sozusagen als Hüterin des Staates, der ihre Struktur zu reflektieren habe. Der Staat tut dies auch – aber in einem anderen Sinne. Und dieser andere Sinn verkehrt die programmatische Unterordnung des Staates unter die Zivilgesellschaft in die Subsumtion der Zivilgesellschaft unter den Staat: in die politisch-ökonomisch durchdrungene Zivilgesellschaft, die Bürgergesellschaft.

Der gesellschaftliche Gebrauchswert eines solchen abstrakten Begriffes der Zivilgesellschaft ist allerdings abseits akademischer und linker Selbstvergewisserungen, auf dem Boden der freiheitlich-liberalen Demokratie zu stehen, noch gering. Er entfaltet sich (besonders für die Intellektuellen, die ihn vertreten) erst mit der Aufnahme einer bestimmten moralischen Vernunft, die schon in der liberalen Konzeption ein „ideelles Komplement zur bürgerlichen Funktionalität“[10] von Freiheit und Gleichheit abgegeben hatte. Mithilfe einer moralischen Schlagseite läßt sich realpolitisch einiges „weiterentwickeln“. Wo die Zivilgesellschaft noch so seltsam abstrakt aussieht, zwischen bourgeois und citoyen unterscheidet, vom Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft spricht, bietet die Propagierung einer Bürgergesellschaft ein weitaus anschaulicheres und nützlicheres Feld intellektueller Arbeit. Der Widerspruch zwischen citoyen und bourgeois erlischt dabei in der Figur des Bürgers. Und dort wo der Zivilgesellschaftsdiskurs 1989 euphorisch begonnen wurde, wird heute gewußt, daß es „eine real existierende Zivilgesellschaft niemals geben kann. „[11]

Denn wenn die Individuen dem ihnen zugemuteten Statusverhalten des citoyen nicht entsprechen, exzessiv dem Partikularismus frönen oder glauben, die Selbstrepräsentation der Gesellschaft mit ihrem Partikularinteresse identifizieren zu können, gebärdet sich selbst der pluralistisch auftretende Zivilgesellschaftsdiskurs anders: nämlich autoritär. „Die Demokratietheorie der Zivilgesellschaft (muß sich) zu einer autoritativen, wenn nicht autoritären Rededisposition (ermächtigen), da sie in Anspruch nimmt, den Gesellschaftsmitgliedern ein falsches Bewußtsein zu unterstellen, während sie die eigentlichen modernen Handlungsbedingungen kennt und intellektuell repräsentiert“. [12] Als Problem erscheint nicht der Staat an sich  – das Problem ist vielmehr die Verhinderung seiner demokratischen Vollendung durch ein Volk, das sich nicht entsprechend verhält. [13] Die Einstimmigkeit der neoliberalen Kritik der „Anspruchsmentalität“ gegenüber dem Staat mit der antineoliberalen Affirmation des/der gemeinwohlorientierten BürgerIn und des Staates verdankt sich zwar nicht dem selben Ansatz der Kritik, stellt sich aber hinter beider Rücken über eine gemeinsame Perspektive her: Ohne daß sie voneinander wissen wollen, wissen beide wie der Staat zu sein habe: letztlich ein Abziehbild eines identitären politischen Subjektes. Das politische Subjekt muß daher lernen, daß der empirische Einzelwille nichts gilt, wenn er nicht dem wahren Allgemeinwillen entspricht und daß die Definition des Allgemeinwillens nicht von jedem beliebigen Standpunkt aus formuliert werden kann. [14]

Wo im Konzept der Zivilgesellschaft noch die Frei-willigkeit thront und die Gewalt sich versteckt, platzt in der Bürgergesellschaft die moralische und die staatliche Zwangsgewalt ganz unverhohlen herein. Die autoritäre Bürgergesellschaft holt die Zivilgesellschaft aus ihren liberalen Tagträumen, ohne aber ihre Formspezifika zu verletzen.

Bürgergesellschaft: Die Demokratisierung des Gemeinwohls

Die „handlungsfähige und konfliktintensive Pluralität“ fällt nicht vom demokratietheoretischen Himmel, sondern konstituiert sich auf kapitalem und nationalem Boden. Daß der normative Zivilgesellschaftsbegriff seit den 80er Jahren so attraktiv geworden ist, hängt wohl eng mit der Krise der fordistischen Gesellschaftsformation zusammen. Nach einer langen Phase zentralstaatlicher und korporatistischer Einengung schien die Universalisierung liberaler Prinzipien mit der Entdeckung des souveränen Konsumenten wie weiland im 19. Jahrhundert wieder auf der Tagesordnung zu stehen. Der Aufbruch der Zivilgesellschaft geht dabei nicht zufällig mit der „Befreiung des Marktes aus dem Würgegriff von Staat und Verbänden“ einher und der klassische Nationalstaat erweist sich in diesem Prozeß nicht als eine schlechthin dem Kapitalverhältnis eigene Form, sondern selbst noch als historische, die im Kontext des Kapitalverhältnisses prinzipiell überwindbar ist. [15]

Vervielfältigung des Staates

Unisono wurde der mündige Bürger zur Ikone der Überwindung einer verschlissenen Gesellschaftsformation geadelt. Als kritischer Konsument, Bürgerinitiativler oder Wechselwähler tauchte er in verschiedenen Ausprägungen und Alltagssphären als Avantgarde der Bürgergesellschaft auf. Der Ruf nach mehr Eigenverantwortung kritisierte das Anspruchsdenken der StaatsbürgerInnen und forderte eine Verschlankung und Zurückdrängung staatlicher Institutionen bzw. ihre Demokratisierung durch Dezentralisierung, Öffnung und Enthierarchisierung. Bis in die 80er Jahre hinein dominierte ja noch eine vorwiegend nachfrage- und binnenmarktorientierte Wirtschaftspolitik. Sie hatte vor allem die Stabilität des öffentlichen und privaten Konsums zu gewährleisten. Entsprechend waren die BürgerInnen vor allem als KonsumentInnen und disziplinierte LohnarbeiterInnen gefordert. Unter dem Pardigma der Angebotspolitik begann sich das Verhältnis von Individuum und Staat aber einigermaßen zu verändern. Die Nationalstaaten begannen verstärkt darum zu konkurrieren, einen Teil des global produzierten Mehrwerts auf ihr Gelände zu ziehen. Ehedem  paternalistischen Verteilungsgemeinschaften transformieren sich darin zu Wettbewerbsgemeinschaften. Entgegen den trüben Prognosen, die angesichts dessen von einem Ende des Staates oder einem Ende der Politik schwadronieren, kommt der Staat unter den veränderten ökonomischen Bedingungen seinen beiden grundlegenden allgemeinen Aufgaben, die Verwertung des Kapitals und die Reproduktion der Arbeitskraft zu sichern auch weiterhin – wenn auch in veränderter Form, die wesentlich in der Demokratisierung dieser Funktionen liegt – nach. Ein klassisches Spezifikum der Politik, nämlich ideologische Gemeinschaften durch harte Grenzziehungen und Selektionsmechanismen herzustellen, bleibt aber nicht mehr an die Institutionen des Nationalstaates im engeren Sinne gebunden, dessen Aufgabe es noch war, regionale Unterschiede und Produktivitätsgefälle auszugleichen, sondern es wird auch dezentralisiert. Neben dem nationalen formiert sich der regionale und der supranationale Wettbewerbsstaat. Staatlichkeit organisiert dabei den Anpassungsprozeß an die neuen ökonomischen Bedingungen als selektive Gemeinschaftsaufgabe. In der Organisierung der Selbstorganisation der sozialen Kräfte entsteht dabei so etwas wie eine omnipräsente Staatlichkeit. Politische Macht verpufft also nicht einfach, sondern ihre Form verändert sich, indem sie dezentralisiert und privatisiert wird. Dabei „nimmt ihre Wucht noch zu: unter dem notorischen Motto To Empower People wird Härte demokratisiert“. [16] Das Empowerment-Konzept der Neuen Sozialen Bewegung wird staatlich effektiv und zwar zunächst in jenen Gräben, die in den 70er und 80er Jahren von den Sozialen Bewegungen gegen den Obrigkeitsstaat geschaufelt worden sind. Empowerment, soziales Engagement, Sorge um das Gemeinwohl, die Zukunft der Kinder: die Prozesse der Vervielfältigung des Staates haben begonnen, als die Pioniere der Zivilgesellschaft an die Tore des paternalistischen Staates pochten und Einlaß begehrten. Zugleich gewinnt, wie Wolfgang Fach schreibt, „das Politik-Geschäft, weit davon entfernt in schiere Publicity abzugleiten, etwas von seiner existentiellen Bestimmung zurück: nämlich ein Gut bereitzustellen, dessen Produktion private Möglichkeiten übersteigt. „[17] Der „politische Unternehmer“ (Fach) macht sein Terrain unter Aufbietung spezifisch politischer Charakteristika (Führungskraft, Härte, Charisma, Zuständigkeits- und Machbarkeitswahn) fit für den Wettbewerbskampf.

Privatisierung von Politik

Politik dezentralisiert sich aber nicht nur auf verschiedene Ebenen sondern vergegenwärtigt sich in vielfältiger Weise im Privaten: etwa in der (Selbst-)Formierung der Einzelnen zu Mitgliedern nationaler, regionaler und supranationaler Wettbewerbsgemeinschaften. Dabei handelt es sich nicht um eine aufsteigende Hierarchisierung von Zugehörigkeit, die als Integrationsstufen für die nächst höhere Ebene gewertet werden können, sondern um nebeneinander und miteinander konkurrierende Identifikations- und Konfliktebenen. Die durch die bürgerlichen Werte von Freiheit und Gleichheit gekennzeichnete Zivilgesellschaft ist unter diesen Bedingungen gewiß nichts Eigenständiges, sondern sie erweist sich letztlich als adäquates ideologisches Terrain für die Effizienzsteigerung gänzlich wettbewerbsorientierter  gesellschaftlicher Beziehungen.

Der fordistische Konsens wurde hauptsächlich über die vermittelnden Instanzen der Parteien und Interessensverbände hergestellt, die den staatstragenden Teil des Individuums kollektiv repräsentiert und diszipliniert hatten. Mit der aktiven Bürgergesellschaft zeichnen sich nunmehr unmittelbarere Beteiligungen der und konkrete Anforderungen an die Individuen ab, auf sehr unterschiedlichen Ebenen „Gemeinwohl“ herzustellen. Dabei ist nicht mehr nur eine lupenreine „staatsbürgerliche Gesinnung“ gefordert. Das Staatsbürgertum offenbart sich als handfeste, produktive Aufgabe des Einzelnen. Aufgrund der unterschiedlichen und miteinander konkurrierenden Repräsentationsebenen des „Allgemeinen“ wird die vormals national-fixierte Identitätsbildung in den Individuen aber auch zersplittert. Die Ausgrenzungs- und Identifizierungsleistungen der Einzelnen etwa vervielfältigen sich: Auf wen im konkreten Fall die klassischen Ausgrenzungsmechanismen der Unwertig- oder Überwertigkeit (Rassismus und Antisemitismus) bzw. die Disziplinierung auf die zugeschriebene Leistungserwartung (Sexismus) Anwendung findet, wird zunehmend flexibel. Die im Raum stehende Überflüssigkeit und Unsicherheit verstärkt aber umgekehrt einen vorausschauenden Konformismus, der sich ständig der Zugehörigkeit zu einem „schützenden“ und die Verwertung garantierenden, personal verstandenen Zusammenhang vergewissern will. Recht unverhohlen wird in Wahlkampagnen mit Freundschaftsangeboten geworben. Politiker firmieren darin als treusorgende und zugleich schlagkräftige Freunde. Die Darstellung politischer Führungskräfte, die umringt sind von „einfachen“ Leuten, oder sich zu einer Clique oder Bande gruppieren, appelliert direkt an dieses Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einem personalen Verband. Die rein sachliche Vergesellschaftung über die Geld- und Rechtsform erzeugt offensichtlich ein sekundäres Bedürfnis nach personaler Versicherung, die den Zugang zu ersterer garantieren soll. Dessen Befriedigung erscheint dann aber als das Primäre geglückter Selbsterhaltung. Der Bezug auf die Nation als emotionale Garantie nimmt dabei zwar nach wie vor einen wesentlichen Stellenwert ein. Er wird aber aufgrund der Veränderungen von Arbeits- und Verwertungsstrukturen nicht mehr genügen. Einerseits ergänzt die Fetischisierung neuer, sei es regionaler oder lokaler, sei es betrieblicher „Einheiten“ den nationalen Fetisch, andererseits sind Prozesse der Selbstfetischisierung zu beobachten, die mit dem in der Zivilgesellschaft so hervorgehobenen „freien Willen“ der Einzelnen korrespondieren. Indem der Staat von einer Nachfrage- zu einer  Angebotsagentur der Ware Arbeitskraft wird, wandeln sich die Anforderungen an die Individuen: von konformistischen KonsumentInnen und braven, untertänigen ArbeiterInnen, denen ihre geleistete und vom Nachfragestaat als wertvoll gesicherte Arbeit als Beweis und Argument ihrer Zugehörigkeit zum Verteilungspakt hinreichte, zu Veredelungsakteuren ihrer eigenen Ware Arbeitskraft. Die Selbsterhaltung wird darin zu einem besonderen Auftrag, und je vortrefflicher sie gelingt zur Adelung des wahren und aktiven Staatsbürgertums. Das Denken und Handeln der Individuen tendiert dazu, vollständig zum Organ ihrer Selbstverwertung zu werden, die zugleich, wie noch gezeigt werden soll, wesentliche Aspekte der Staatsbürgerlichkeit integriert. Das Persönliche entfaltet sich darin als außerordentlich politisch.

Die im Konkurrenzkampf notwendige Diversifizierung von Selbstveredelungsstrategien wird mithin als Beweis für die Selbstermächtigung der Individuen gegen den gleichmacherischen Sozialstaat aufgefaßt: als Befreiung der BürgerInnen und Durchbruch zu einer kreativen Selbständigkeit. Die neuen Sozialdemokraten Schröder und Blair zeigen sich in ihrem berüchtigten Strategiepapier als gelehrige Schüler der Zivilgesellschaft, wenn sie sich vom paternalistischen Sozialstaat distanzieren: „Letztlich wurde die Bedeutung von eigener Anstrengung und Verantwortung ignoriert und nicht belohnt und die soziale Demokratie mit Konformität und Mittelmäßigkeit verbunden statt mit Kreativität, Diversität und herausragender Leistung.“ Die zentralen zukünftigen Werte wären: persönliche Leistung und Erfolg, Unternehmergeist, Eigenverantwortung und Gemeinsinn. [18] Schröder hat kürzlich den idealen Begriff dafür gefunden: „zivile Bürgergesellschaft“. Sie bietet die ideologische Vermittlung zwischen einer Verwertung, die über die fortschreitende Verwandlung von Arbeit- zu Unternehmern der Arbeitskraft eine an sich schrankenlose Selbstausbeutung abschöpft und ihrer mächtigen Fixierung durch einen Staat, der durch seine Vervielfältigung  und Privatisierung zwar gestaltloser, aber ungleich flüssiger und aktiver geworden ist. Es ist gerade die Konfliktfähigkeit der propagierten Zivilgesellschaft, die den erweiterten Konsens dieser aus willensstarken, rhetorisch-geschulten, energetisch-dynamischen, ständig einsatzbereiten und handlungsfähigen Charaktermasken bestehende Zumutung herzustellen vermag. Und sie ist auch der Modus, in dem sich die Distinktionsgewinne rekapitalisieren lassen.

Gegen die Verklärung des individuellen Bastelns an der eigenen Karriere muß mit Horkheimer und Adorno aber auf den zutiefst konformistischen Charakter dieser Pluralisierung und Individualsierung von Lebensperspektiven in der Bürgergesellschaft insistiert werden: Zur Individuation ist es „gar nicht wirklich gekommen. (… ) Jeder bürgerliche Charakter drückte trotz seiner Abweichung und gerade in ihr daßelbe aus: die Härte der Konkurrenzgesellschaft. „[19] Die Entfaltung des Ichs, Produkt und Bedingung der materiellen Existenz, wird zur vollen Funktion wirtschaftlicher Selbständigkeit. In der narzißtischen Überhöhung der eigenen Originalität, der kreativen Kraft „etwas aus sich zu machen“ und darin ganz besonders aus der Masse der Mittelmäßigkeit hervorzustechen, findet die Selbstfetischisierung des Ichs zum Demiurg der eigenen Wertigkeit in einer Weise statt, die die Ächtung des Unwertigen auch von einer offen rassistischen Zuschreibung absehen läßt. Die multikulturelle Gesellschaft etwa honoriert und anerkennt spezifische kulturalistisch zugeschriebene Leistungen. In diesem Rahmen gibt es auch die für die republikanische Politikauffassung so grundlegende Bereitschaft, „den anderen anzuerkennen“.

Die schizoide Konstellation des „freien Arbeiters“, sich zu sich selbst als Arbeitskraft zu verhalten, ist an sich ein Merkmal des Individuums in kapitalistischen Gesellschaften. Die Aufspaltung des Ichs in Subjekt und Objekt verschärft sich unter der Bedingung der Verstaatsbürgerlichung der Arbeitskraft zwar noch einmal, verliert aber zugleich an Distanz und damit an Reflexionspotential. Als „Looser“ erscheinen jedenfalls diejenigen, die sich der Herausforderung der Wettbewerbsgemeinschaften nicht stellen wollen oder können, und darüber ihre Strahlkraft mindern, also zu potentiellen „Schädlingen“ oder „Feinden“ der Wettbewerbsgemeinschaft stilisiert werden können; die sich nicht erst im Falle des kommerziellen Mißerfolges als Personifizierung der Krise anbieten. Die Realisierung einer in vielerlei Hinsicht  „handlungsfähigen und konfliktintensiven Pluralität“ scheint sich, von der demokratischen Kopfgeburt auf ihre gesellschaftlichen Füße gestellt, in der Bürgergesellschaft aktuell abzuzeichnen.

Aufhebung des Widerspruches von bourgeois und citoyen

In ihr wird der jeweilige Standort zum Gemeinwesen, und den BewohnerInnen fällt die Verantwortlichkeit für das Gemeinwohl, die Kapitalisierung seiner Potentiale, unmittelbar zu. Hier soll nur auf zwei Aspekte aufmerksam gemacht werden, an denen die Privatisierung von Staatsfunktionen ins Auge sticht. Sie stehen in Zusammenhang mit zwei Kriterien, die für die Feststellung der Konkurrenzfähigkeit eines „Gemeinwesens“ von entscheidender Bedeutung sind: die Produktivität eines Standortes und die Qualität der Lebensbedingungen (öffentliche Sicherheit, Infrastruktur u. a. ). Die Arbeitskraft gehört dabei in doppelter Hinsicht nicht einfach den Einzelnen, wie es die Vorstellung vom „freien Lohnarbeiter“ suggerierte. [20] Zum einen wird die Arbeitskraft zum Bestandteil eines nationalen Humankapitalpools, dessen Qualität die Wertigkeit der gesamten „Humanressourcen“ einer Standortgemeinschaft als Maßstab für seine Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit anzeigt. Sie durch eine spezifische arbeitsmarktorientierte Ausbildung bzw. durch die Aneignung von sogenannten „Zusatzqualifikationen“ aufzuwerten, zeigt eine Seite der neuen „staatsbürgerlichen“ Pflicht an. Während sich dieser Aspekt der Staatsbürgerlichkeit bereits in Umsetzung befindet, wird an der Realisierung des zweiten Aspektes der staatsbürgerlichen Seite der Arbeitskraft, dem Anspruch der Produktivitätsgemeinschaft auf ihre Verfügbarkeit für klassisch „gemeinwohlorientierte“ Leistungen, noch eifrig gearbeitet. Die Aufrechterhaltung öffentlicher Einrichtungen und Leistungen machen keinen unwesentlichen Teil öffentlicher Haushalte aus. Sowohl der lebensqualitative Aspekt ist hier als Standortfaktor zu werten, als auch ihr kostengünstiger und effizienter Betrieb, also der monetäre Aspekt hinsichtlich der Eingrenzung von Haushaltsdefiziten und Sozialausgaben mit geringem oder keinem Multiplikatoreffekt. Die Mobilisierung von „brachliegender“ Arbeitskapazität in der „Liegestuhlgesellschaft“ (Andreas Khol) will die kostengünstige und dennoch qualitativ hochstehende Aufrechterhaltung von Infrastruktur, sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie die Gewährleistung kommunaler Sicherheit. BürgerInnen beobachten dabei nicht mehr die Polizei, sondern BürgerInnen beobachten BürgerInnen und rufen (noch) die Polizei. Daß  die Bürger-Polizei effizient und bisweilen tödlich ist, dürfte bekannt sein. Zugleich soll durch diese Tätigkeiten begründet und gerechtfertigt mit rigiden moralischen Argumenten, deren gemeinsamer Fluchtpunkt die Herstellung von Gemeinschaftlichkeit ist, bürgerschaftliche Identität und Gemeinsinn eingeübt werden.

Das animal laborans wird zum politischen Subjekt der Bürgergesellschaft. Zusammenfassend kann von einer dreifachen Verinnerlichung staatsbürgerlicher Funktionen gesprochen werden. Erstens werden die StaatsbürgerInnen zunehmend selbsttätig hinsichtlich der ideologischen und praktischen Abgrenzung gegenüber anderen für die Formierung ihrer Zugehörigkeit zu einem spezifischen Verwertungszusammenhang. Zweitens werden sie zu unmittelbaren TreuhänderInnen der Produktivität ihres Standortes und drittens ist ihnen unmittelbare Verantwortlichkeit für die Attraktivität ihres „Gemeinwesens“ zugedacht. In einem unmittelbareren Sinne als im fordistischen Staat werden die StaatsbürgerInnen zu Gliedern ihres Staates. Der Gegensatz von bourgeois und citoyen wird aufgehoben und das eingangs beschriebene Konzept einer Zivilgesellschaft findet in der Affirmation des real existierenden „Bürgers“, der dann eben „Bourgeois und Citoyen zugleich“ ist, praktisch zu sich. Konsequenterweise ist dann auch auf der sozialwissenschaftlichen Ebene nicht mehr von Zivilgesellschaft, sondern vermehrt von Bürgergesellschaft die Rede. Dabei handle es sich „um all die Bürger-Bürger-Beziehungen, in denen sich Bürger zugleich als Urheber und Adressaten der Regelung ihrer Verhältnisse verstehen“. [21] Analytisch solle daher nicht mehr die vertikale Bürger-Staat-Beziehung in den Blickpunkt genommen werden, sondern die horizontalen Beziehungen zwischen Bürgern, für die Autonomie charakteristisch wäre. Die Frage nach gesellschaftlichen Zwangsverhältnissen war aber auch schon im Zivilgesellschaftsbegriff in der Affirmation der existierenden Formen von Freiheit und Gleichheit exkludiert worden.

Individuum und Staat: Demokratisierung des Politischen

Politik ist also nicht mehr länger die Domäne eines über der Gesellschaft thronenden Staates. Die staatlichen Funktionen der Disziplinierung auf das Gemeinwohl, die Reproduktion der Ware Arbeitskraft, die Definition der Zugehörigkeit zu einer Verwertungsgemeinschaft demokratisieren sich, indem sie zur bürgerschaftlichen Tätigkeit der Individuen werden.

Je stärker die Arbeitskraft aber zum Eigentum des Staates wird, desto stärker wird die unmittelbare Identifizierung der BürgerInnen mit ihrem Staat. Dies drückt sich gerade in einem Bedeutungsverlust intermediärer Institutionen zwischen Staat und Individuum aus. Darin hat die Rede von einer Verengung des Raumes öffentlicher politischer Artikulation auch ihre Berechtigung. Die Diagnosen der Entpolitisierung übersehen allerdings, daß dem kein Verschwinden, sondern geradezu eine Forcierung des Politischen als Form der Vermittlung zwischen Staat und Individuum folgt. Dabei nimmt, und hier trifft sich die neoliberale Euphorie des freien Wirtschaftssubjektes wieder mit der zivilgesellschaftlichen Verklärung der Warensubjekte zu StaatsbürgerInnen, die Staatsbürgerschaft eine veränderte Bedeutung ein: sie wird gewissermaßen erst politisch aktiv.

Vom Staat werden heute dieselben spezifischen Leistungen eingefordert, die der Staat von den StaatsbürgerInnen erbracht haben will: Effektivität in der Verwendung seiner Mittel, Effizienz im Einsatz seiner Instrumente, Kompromißlosigkeit in der Verfolgung seiner Ziele, Anbieten von qualitativ hochstehenden Leistungen. Nicht nur die „LiegestuhlbürgerInnen“ werden als Ausgeburt der Verantwortungslosigkeit identifiziert, sondern auch der behäbige Verwaltungsstaat, der den StaatsbürgerInnen als Vormund anstatt als Partner und Serviceagentur gegenübertritt. Das heißt, daß die exekutive Politik des Staates gegenüber der fordistischen Periode stärkeren und unmittelbareren Legitimationszwängen unterliegt. Die wechselseitige Verpflichtung von Staat und Individuum gruppiert sich dabei um die zentralen Kriterien von Ordnung, Sicherheit, Gemeinsinn und Arbeit, die etwas leistet.

Sie haben sich durch den Zyklus von Neoliberalismus und Neoliberalismuskritik herauskristallisiert und werden zu unhintergehbaren „Säulen“ jeder politischen Äußerung, selbst wenn sie sich oppositionell gegen die „herrschende“ Politik wendet. [22] Die postfordistische „demokratische Legitimation ist die perfekte Synthese von Konsens und Autorität. Tauchen abweichende oder antagonistische soziale Praktiken auf, werden sie der , Kriminalität‘ zugeordnet. Außerhalb des Gesetzes der befriedeten Gesellschaft existieren nur mehr Pathologie und Terror. „[23]

Offensichtlich ändert sich mit dem innigeren Verhältnis von Individuum und Staat auch die Form der politischen Kommunikation. Eine direktere politische Kommunikation via Medien zwingt die PolitikerInnen dazu, zu wissen, „was das Volk will“. Umgekehrt simuliert die erhöhte Geschwindigkeit des medialen Vermittlungsprozesses aber auch die Subjekthaftigkeit und Leibhaftigkeit von Politik. Der viel gescholtene Populismus scheint eher die adäquate Äußerungsform der angesprochenen Verlagerung des Politischen zu sein, als die Erscheinungsform eines Niederganges der Politik, die ohne Inhalt, ohne Konzept, ohne Strategie ihrem nahen Ende entgegen humptidumple. Die Härte der Auseinandersetzungen zwischen PolitikerInnen verdeckt dabei nicht nur die weitgehende Unterschiedslosigkeit der Inhalte, sondern reflektiert auch einen Typ von Politik, der zunehmend vom Staat erwartet wird. Wer am eindrucksvollsten den Willen zur Macht repräsentiert, repräsentiert am eindrucksvollsten den Willen zum Erfolg: Und Erfolg ist dort, wo sich andere ohnmächtig von Sachzwängen gängeln lassen. Politisch erfolgreich ist aber, wer es versteht Sachzwänge eisern zu vollstrecken, als ihr Verbündeter an ihrer natürlichen Macht teilzuhaben.   

Die Härte und Kaltschnäuzigkeit, die die Individuen gegenüber sich selbst und gegenüber ihren KonkurrentInnen an den Tag legen müssen, wird auch vom Staat und damit von PolitikerInnen im engeren Sinne im Binnenverhältnis zu sich und gegen alles, das als Bedrohung der Konkurrenzfähigkeit erscheint. Einerseits geht es dabei auf einer staatlich-verallgemeinerten Ebene um die Bekämpfung von Feinden der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, also gegen jene personalisierten Stereotypen, die Produkte der falschen, unreflektierte Projektion von eigenen allerdings als unproduktiv vom Ich abgespaltenen und unterdrückten Neigungen wie Faulheit, Genuß, Freizügigkeit, Verschwendung, Autonomie, arbeitsloses Auskommen sind. Dabei handelt es sich allerdings um „Versprechungen“, die durch die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Reichtums zwar permanent produziert aber über die Form des Zugangs ebenso permanent dementiert werden. Der Staat selbst gerät in den Verdacht, über die Alimentierung der projizierten Charakterzüge zum Verräter an der nationalen Wettbewerbsgemeinschaft zu werden. In der diesbezüglichen Kritik am Staat wird ihm eine Entfremdung von der Nation als der „eigentlichen“ Substanz des Staates vorgeworfen. Seine Souveränität beweist er erst, wenn er diesen „Staatsnotstand“ löst: Als Inhaber des Gewaltmonopols in der Gesellschaft erhält der Nationalstaat hier seine gegenüber all den anderen lokalen, regionalen oder betrieblichen „Wettbewerbsgemeinschaften“ herausragende Bedeutung. Die Gewaltmittel des Nationalstaates repräsentieren die aus der Subjektformierung der Einzelnen entstehenden Gewaltpotentiale auf kollektiver Ebene, ihr unnachgiebiger Einsatz gegen projektive äußere und innere Feinde ist der in Politik gegossene Wahn der Gesellschaft. Bei den StaatsbürgerInnen verkehrt sich die Ahnung von der eigenen Ohnmacht in die Hoffnung auf die Macht des Staates. Denn die Identifikation der StaatsbürgerInnen mit ihrem Staat beruht vor allem darin, daß er die Allgemeinheit sowohl der staatsbürgerlichen Seite der Individuen als auch die Verfemung der unterdrückten Anteile materialisiert und zur Anschauung bringt: etwa in einer restriktiven und kompromißlosen Asylpolitik, in der Kriminalisierung des Drogengebrauchs und dessen Verknüpfung mit schwarzafrikanischen Dealern, der „Verschlankung“ seiner Institutionen, in einer effizienten und sparsamen Gebarung der Steuergelder, in einer Kürzung bzw. Abschaffung von Einkommen ohne Arbeit, in einer selbstbewußten Haltung gegenüber dem „Ausland“, in einer restriktiven Arbeitsmarktpolitik, die den Zugang für die Nation garantiert, in einer Honorierung von zivilgesellschaftlicher „Normalität“.

Im Unterschied zu einer gewissen Stabilität, die eine stärker institutionalsierte Vermittlung noch geboten hat, steht die politische Kommunikation nunmehr aber ständig unter Spannung: der Beweis des gegenseitigen Nutzens und des Erfüllens der aufgetragenen Verantwortung muß ständig erbracht werden, der Verdacht des Verrats und Hintergehens – die Angst davor, daß alle Anstrengung umsonst gewesen ist, steht unmittelbar im Raum. [24] Es liegt daher eben nicht in einem unmittelbaren Sinn an einer ökonomischen und sozialen Krise, in der die Arbeitslosen und Verarmten ihren Protest kundtun würden, sondern eher an der spezifischen Konstellation des Politischen der bürgerlichen Gesellschaft, die gerade dann, wenn sie „aktiviert“ werden soll, eine „Politik der gesellschaftlichen Panik“ (Negri) gebiert. Das gegenwärtig (v. a. in Österreich) von politischen KommentatorInnen ständig entdeckte  Paradoxon, daß der Ausmaß des Wunsches nach politischer Veränderung in keiner Relation zur Stabilität und zum Wohlstand des Landes stünde, stützt sich implizit einerseits auf die Überzeugung der „Eigentlichkeit“ eines vollkommen „rationalen“ Verhältnisses zwischen Staat und Individuen und andererseits auf einem unausgesprochenen Ökonomismus, der eine direkte Korrelation zwischen ökonomischer und politischer Krise herstellt. Beide Annahmen gehen am Kern der Sache vorbei.

Die unter der erwähnten Spannung stehende politische Vermittlung produziert zwei Muster politischer Artikulation, die die Spannung nicht ruhig stellen, sondern diese Äußerungsform des Politischen gerade bestätigen: Einerseits geht es dabei um die Herstellung von gesellschaftlichen Konsens. Der Staat produziert ständig Bilder der Bedrohung durch Kriminalität oder Migration, um sie postwendend sicherheitspolitisch verantwortungsvoll und polizeilich aktiv zu dementieren; zugleich wird von Seiten der StaatsbürgerInnen gegenüber den regierenden PolitikerInnen ein ähnliches Muster der Ent- und Versicherung in Bezug auf ihr Wahlverhalten verfolgt: das Abbröckeln von StammwählerInnen und die lange Unentschlossenheit vor den Wahlen kann als ebensolches Spiel mit der Loyalität gedeutet werden, das seinen Teil zur Formulierung eines gesellschaftlichen Konsenses beiträgt. Nach diesem Muster kann zwar eine Zeit lang „gespielt“ werden, letztlich – und das wissen alle Beteiligten – muß aber entschieden werden und der Beweis der Souveränität, sowohl von Seiten des Staates als auch von Seiten der StaatsbürgerInnen erbracht werden. Was während dieser Form der politischen Artikulation zwischen Staat und Individuen über die mediale Vermittlung passiert, ist letztlich eine konsensuale Feinddefinition, eine Politisierung auf unterschiedlichsten gesellschaftlichen Feldern, durch die zugleich die Schwelle für die Akzeptanz eines „Ausnahmezustandes“ herabgesetzt wird. [25] Gewählt werden vom Souverän schließlich diejenigen, von denen die Umsetzung der Souveränität, und das heißt die Beherrschung des Ausnahmezustandes, am ehesten erwartet wird.

Andererseits bringt die Spannung des Politischen geradezu eine Fetischisierung von Kontrolle. Mit sogenannten präventiven und auch „verdachtsunabhängigen Kontrollen“ läßt der Staat die „Definition und Verteidigung seiner Grenzen zunehmend diffundieren“ und verlagert sie ins Innere. [26] Umgekehrt betreibt ein sich kritisch wähnender Aufdeckungsjournalismus eine permanente Skandalisierung der Politik, von der die Privatsphäre von PolitikerInnen nicht verschont bleibt. Die präventive und exhibitionistische Veröffentlichung des Privaten befriedigt zudem den Voyeurismus der StaatsbürgerInnen. Schließlich wollen sie ja wissen, wen sie wählen. Die ständige Spannung, unter der das Verhältnis von Individuum und Staatlichkeit steht, kann als die spezifische Bewegungsform des Politischen der Bürgergesellschaft bezeichnet werden. Auch hier verwirklicht sich in gewisser Hinsicht der theoretische Aspekt des Zivilgesellschaftskonzeptes, daß die gesellschaftliche Macht immer nur repräsentiert, aber niemals fix durch den Staat angeeignet werden soll.

In einigen Aspekten scheint Jörg Haider die treffende Polit-Gestalt für die bürgergesellschaftliche politische Form darzustellen. Er versteht es, in der Öffentlichkeit nicht nur all jene Eigenschaften vortrefflich zu verkörpern, die die staatsbürgerliche Seite der Individuen in der Bürgergesellschaft ausmachen: Härte zu sich und den anderen, den Willen zur Grenzziehung, narzißtisches Auftreten, Effizienz im Einsatz der Mittel, Produktivität und Lernwilligkeit, Gemeinsinn und Konkurrenzbewußtsein. Zum anderen versinnbildlicht Haider allerdings auch, und das dürfte keinen geringen Anteil an seinem Zuspruch haben, die abgespalteten, verdrängten und unterdrückten Begierden der StaatsbürgerInnen: Genuß, Einkommen ohne Arbeit, Autonomie, Freizügigkeit. Indem Haider anscheinend beide Seiten positiv zusammenfügt, repräsentiert er die für die Bürgergesellschaft typische Fetischisierung der Persönlichkeit auf der Ebene des Staates. Zudem steht er wie kein anderer für die „Befreiung“ von der Last der nationalsozialistischen Vergangenheit durch das offene Bekenntnis zu ihr – ohne dem in weiten Teilen der Bevölkerung als überflüssig oder von außen aufgezwungen erachteten Schuldeinbekenntnis. Er bietet damit sehr vielen etwas, was ihnen die 2. Republik aufgrund der Bedingungen ihrer Gründung nicht ermöglichte: eine ungebrochene Identifizierung mit dem Staat.

Die Verstärkung plebiszitärer Elemente scheint in mehrerlei Hinsicht der politischen Form des zivilgesellschaftlichen Totalitarismus der Bürgergesellschaft gerecht zu werden. Einmal entspricht sie der spannungsgeladenen politischen Kommunikation zwischen Staat und Individuen besser als die „umständliche“ repräsentative Demokratie. Zweitens verspricht sie eine Aufwertung von Politik, eine Aktualisierung der Schlagkräftigkeit und damit Mächtigkeit von Politik. Drittens könnte sie eine Erneuerung von ideologischer Gemeinschaftlichkeit zustande bringen, die im wesentlichen über die Fetischisierung der Führungspersönlichkeit hergestellt wird. Und viertens würde sie ein rasches und flexibles Vorgehen gegen Feindprojektionen versprechen; somit das zentrale Charakteristikum von Politik, über Grenzziehungen identitäre Gemeinschaften und darüber die Krisenhaftigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung zu „bewältigen“, in einem starken Staat vergegenwärtigen. Die Fetischisierung des Staates drohte sich neuerlich zu verdichten. Zwar ist die Grundlage jedes autoritären Staates die Unterordnung im Tausch für den vermeintlichen Schutz vor den Unbillen einer naturgewaltigen Krisenhaftigkeit. In der Fetischisierung der Führungspersönlichkeit als der Vollstreckerin der Sachzwänge entstünde aber bei Strafe des eigenen Unterganges ein spezifischer Sachzwang, der die Bürgergesellschaft über sich hinaustreiben könnte: Den Erwartungen gerecht zu werden und im großen Stile „auszumisten“. Der Widerspruch nämlich, daß der Staat einerseits die Zwänge kapitalistischer Vergesellschaftung repräsentiert und durchsetzt, und andererseits der Schutz vor den unvorhersehbaren Auswirkungen dieser Vergesellschaftung verlangt wird, also für die viel beschworenen „kleinen Leute von der Straße“ in allen Einzelnen einzutreten, existiert in der Erwartung der Führerpersönlichkeit noch nicht. Im Wartestand repräsentiert sie für viele die ersehnte souveräne Einheit und Neutralität des Staates gegenüber der nach vielfältigen Konfliktlinien gespaltenen Gesellschaft. Wird sie einmal praktisch, droht Politik neuerlich ihre höchste Intensität zu erreichen: als unnachgiebige Feindschaft gegen die zu Ausländern sortierten und den von rassistischen und antisemitischen Projektionen betroffenen Menschen. Die Bürgergesellschaft mit ihrem schlank-starken Staat scheint sich indes als jene Form auszubreiten, in der der Widerspruch zwischen Flexibilität und straffer Ordnung für das Reüssieren in der global gewordenen Verwertungskonkurrenz zwar ökonomisch gewinnbringend aufgehoben, aber politisch keineswegs ruhig gestellt ist.  


[1]     Vgl. Pirker, Peter 1999: Zu einem analytischen Begriff des Politischen. Neoliberalismuskritik, Hannah Arendt und der Triumph der Bürgergesellschaft, Wien, Dipl. Arb.

[2]     vgl. Demirovic, Alex 1997: Demokratie und Herrschaft, Münster, S. 156

[3]     Rödel, Ulrich; Frankenberg, Günther; Dubiel, Helmut 1989: Die demokratische Frage, Frankfurt/Main

[4]     ebd. : 137

[5]     vgl. Klein, Peter 1994: Pars pro toto, in: Krisis, Nr. 14, 126

[6]     ebd.

[7]     MEW 23, 99

[8]     Snaider, Natan 1999: Der Konsum der Demokratie oder der demokratische Konsum: für eine neue Bürgerlichkeit, in: IPG, 4/99, 400. In den Cultural Studies war auch mal vom subversiven Konsum die Rede.  

[9]     Arbeitsprogramm des Instituts für Sozialforschung 1997, in: ZfkT, 5/97, 15

[10] vgl. Behrens, Diethard 1997: Elemente einer Demokratietheorie, in: ders. (Hg. ): Politik und soziale Praxis, Freiburg, 35

[11]     Arbeitsprogramm, 15

[12]     Demirovic, a. a. O. , 158

[13]     Solche disziplinierende Kritik gab es von französischen Republikanern und Neoliberalismuskritiken oder von deutschen Liberalen und Linken, die sich vor der „Raffgesellschaft“ ekeln. Vgl. Pirker, a. a. O. 86.

[14]     Breuer, Stefan 1985: Aspekte totaler Vergesellschaftung, Freiburg, 261

[15]     Darauf hat bereits Claudia von Braunmühl 1973  hingewiesen. Braunmühl, Claudia u. a. : Probleme einer materialistischen Staatstheorie, Frankfurt/Main, 52

[16]     Fach, Wolfgang 1997: Die letzte Reform. Über den neuen „öffentlichen Dienst“, in: Grande/Prätorius: Modernisierung des Staates? Baden-Baden, 173

[17]     ebd. 172

[18]     zit. nach Der Standard, 17. /18.7.1999

[19]     Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. 1994: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/ Main, 164

[20]     vgl. Nele, Karl 1998: Arbeit, Ehre, Dienst und Zwang, in: Bahamas, Nr. 27, 39.

[21]     Wingert, zit. nach Hirsch, Joachim 1998: Vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat, Berlin, 131

[22]     Es ist auffallend, daß etwa die Empörung gegen Polizeigewalt für ihre Legitimation immer die „Redlichkeit“ und „Unschuld“ des Betroffenen braucht. Die Unverhältnismäßigkeit von Polizeigewalt bemißt sich scheinbar danach, ob die Betroffenen ein ganz „normales“ Leben führen. Mit „Drogendealern“, die geprügelt werden, mag sich kaum jemand solidarisieren.

[23]     Negri, Antonio 1997: Die Arbeit des Dionysos, Berlin, 133

[24]     Auch in diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß sich der Verdacht nicht nur auf den Staat bezieht, sondern auch und gerade die horizontalen „Bürger-Bürger-Beziehungen“.

[25]     Die Geltung eines Ausnahmezustands im Bereich der Asyl- und Abschiebepraxis, in der „Abwehr“ von MigrantInnen, in der Bekämpfung der „Organisierten Kriminalität“ sowie der Bekämpfung von „Triebtätern“ ist weithin gesellschaftlich akzeptiert und durchgesetzt.

[26]     Nachtmann, Clemens 1999: Autoritärer Staat und Verfall des Gebrauchswerts, in: Bahamas, Nr. 28, 56

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