Die Politik der zweiten Haut

Versuche über den Körper

von Roger Behrens

"Die Befreiung des europäischen Individuums erfolgte im Zusammenhang einer allgemeinen kulturellen Umwandlung, die im Innern der Befreiten die Spaltung desto tiefer eingrub, je mehr der physische Zwang von außen nachließ. Der ausgebeutete Körper sollte den Unteren als das Schlechte und der Geist, zu dem die andren Muße hatten, als das Höchste gelten. " (Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, (Frankfurt/M. 1985, S. 207)

Haßliebe gegen den Körper

"Die Haßliebe gegen den Körper färbt alle neuere Kultur. Der Körper wird als Unterlegenes, Versklavtes noch einmal verhöhnt und gestoßen und zugleich als das Verbotene, Verdinglichte, Entfremdete begehrt. Erst Kultur kennt den Körper als Ding, das man besitzen kann, erst in ihr hat er sich vom Geist, dem Inbegriff der Macht und des Kommandos, als der Gegenstand, das tote Ding, ‚corpus‘, unterschieden. " (Ebd. )

Die kritische Philosophie beschreibt den Herausbildungsprozeß der Moderne anhand der beiden Pole, zwischen denen das Konzept der Moderne sich klammert: Geist und Körper. Was die Neuzeit von vorherigen Epochen unterscheidet, ist die Proklamation des Individuums, also eines Menschen, der sich eigenverantwortlich zum gesellschaftlichen Geschehen verhalten kann. Das sollte vorrangig eine Angelegenheit des Verstandes und der Vernunft sein. Individualität hieß ein aufgeklärtes Bewußtsein, sich Urteile zu bilden, die zugleich ohne Einfluß anderer gefällt werden, aber doch Allgemeinheit beanspruchen können, weil ein jeder mit "Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen" (Kant) zu denselben Urteilen gelänge. Vorausgesetzt war dabei allerdings, kraft der Vernunft und des rechten Verstandesgebrauchs auf die Welt Einfluß zu nehmen. Das zumindest nahm der Idealismus insofern an, weil er davon ausging, daß die Gesetze der Vernunft nicht sehr viel verschieden sein können von den Gesetzen der Natur, folglich sich über die Erkenntnis der Natur ein Wissen ergeben würde, das nicht nur Anschauung ist, sondern Praxis. So jedenfalls ist sehr grob der theoriegeschichtliche Faden zu verfolgen, der über Descartes, Kant bis Hegel als Vernunftphilosophie immer wieder — und mit Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft auch immer stärker — in Konflikt mit der sozialen Wirklichkeit gerät, die nämlich weder Natur ist, noch allein nach Prinzipien der Vernunft organisierbar zu sein schien. Bei Bruno noch, aber dann erst wieder bei Hegel regt sich langsam der Verdacht, daß der Prozeß der Vernunftwerdung ein notwendig widersprüchlicher ist. Der Körper drängt sich auf, der gerade erst medizinisch erschlossen wird: Nahrung muß her, sie kann freilich nicht herbeigedacht werden. Der Körper muß produzieren, doch er macht dies nicht frei, sondern unter Zwang. Die große Leistung des Geistes, die Rationalität, erscheint hinsichtlich des Körpers als große Disziplinierung: Das Individuum, das zum Beispiel erst in der Neuzeit gelernt hat, sich den Tag mittels der Uhr verfügbar zu machen, fesselt zugleich rational den Körper an die geregelte Arbeitszeit. Und dann noch dies dazu: Der Körper kann krank werden; obwohl Krankheiten nach und nach medizinisch verstehbar sind, sind sie doch nicht ohne s heilbar. Schließlich: Auch das Organ der Vernunft kann erkranken, zeigt Geistesstörungen und Wahnsinn, ohne Spuren im Organischen zu hinterlassen. Gefühl und Lust kommen hinzu, die irgendwo zwischen Körper und Geist sich abspielen; schon die Sinne — und damit die Sinnlichkeit, die Wahrnehmung und Ästhetik — gaben früh in der Neuzeit Rätsel auf: was ist Wohlgefallen bei einer Berührung, was reizt am Blick? Dachte man erst noch, die Sinnesvermögen wären biologisch gegeben, so war bald klar, daß sie ebenso wie die Sinnesobjekte einem geschichtlichen Entwicklungsprozeß unterworfen sind. Ästhetik ist der Begriff, der diesen Vorgang benennt: Als philosophische Disziplin noch jung, hieß Ästhetik zunächst die Reflexion auf die Wahrnehmung, galt dann den Objekten — dem Schönen — und alsbald mehr und mehr der Kunst. Wenn heute der Begriff scheinbar wahllos in der Reklame wieder auftaucht und von der Badezimmereinrichtung über Eßmanieren bis zum Joghurt alles "ästhetisch" wird, dann ist das ein Anzeichen für die Konsequenzen der neuzeitlichen Dualität von Geist und Körper. Sie drücken sich insgesamt in einer fetischistischen Sorge um den Körper aus. Es läßt sich in der gesamten Moderne stets eine Gegenbewegung der Körperbetonung feststellen, die der Vormachtstellung der Vernunft nie ganz vertraute. Das fängt bei Bruno an, reicht über Leibniz, die französischen Materialisten und die englischen Empiristen, über Herder, Kierkegaard Nietzsche, Heidegger sogar, bis zur Postmoderne der 80er Jahre, die auch in allgemeiner Öffentlichkeit Ausdruck fand: Man diskutierte die Pluralität der Vernunft ebenso wie Aerobic und Fitneß. Alles war noch im Rahmen der billigen Weisheit, in einem gesunden Körper wohne ein gesunder Geist. Die einzelnen Felder körperlicher Praxis schienen noch klar abgegrenzt: hier die Vegetarier und Ökologischen, dort die Punks mit Sicherheitsnadeln, dort der Jazz-Dance und Doping-Skandal im Sport, dort die Urschreitherapie oder Homöopathie — alles im klaren Verhältnis für oder gegen die Herrschaft der Vernunft.

Fetischismus des Körpers

In den 90er Jahren verwandelt sich die Sorge um den Körper in einen Fetischismus, der gerne noch postmodern genannt wird, allerdings mit dem postmodern diskutierten Dualitätsproblem von Körper und Geist (Vernunft) nichts zu tun hat. Daß es einmal um Vernunft ging, ist vollends obsolet. Früher getrennte Felder drängen zur Konvergenz; die Bühne für die multiple Zuwendung zum Körper ist die Kultur, genauer gesagt: die für den jungen Menschen zugerichtete, sogenannte Popkultur. Die Ausdehnung des Wortes "Pop" auf alle möglichen lebensweltlichen Bereiche gehört im übrigen selbst schon zu diesem Konvergenzprozeß des Körperlichen. Ausgeschaltet wird bewußt die vermeintlich letzte Einspruchsinstanz des Geistigen gegenüber dem Körper, der nun ganz dem Lustprinzip gehorchen möchte: keine Scham und kein Tabu wird mehr akzeptiert. Der Pop bietet eine Freifläche, auf der gleichzeitig und im selben Raum eine Kultivierung des Körpers stattfindet, wozu etwa gehört: In-Wert-Setzung von Sexualpraktiken, Tätowierungen und Piercings, Dauerbelastungen beim Tanzen oder beim Freizeitsport, Kokettieren mit "Süchten", die gewisse Tätigkeiten erst interessant werden lassen (Internet-Surfen, Extremsportarten, Designerdrogen oder schlicht übermäßiger Konsum bzw. übermäßiges Arbeiten1). Zum Fetischismus des Körpers gehört nun auch: das Reden über ihn beziehungsweise über die verschiedenen Körperpraktiken (und die Einführung gewisser Termini, deren Gehalt dunkel bleibt, wie beispielsweise eben "Körperpraxis"); alle renommierten Journale geben ihre Sondernummern Leib und Körper heraus, alle behandeln den vermeintlich ungewöhnlich behandelten Körper. Der "Zugang zur Welt vermittels des Körpers" (als ob es einen anderen Zugang gibt! ) erhält einen Stellenwert mit geradezu erkenntnistheoretischer Qualität. Als Exempel dafür gilt insbesondere die "Raving Society" der Techno-Kultur, zu der Annette Weber kritisch anmerkt: "Der persönliche Körper ist also ein r Bifurkationspunkt der Technowelt. Er wird heute zum Objekt von strikten Fitneßansprüchen (…), die aus dem verläßlichen Kapital Körper das Möglichste zutage fördern soll[en] (…) Raves nähern sich wie viele neue Sportarten (Trekking, Triathlon, Bungee-Springen, Freeclimbing usw. ) einem ständigen Anspruch an körperliche Höchstanforderungen in der Freizeit (…) Das Lustprinzip wird nicht mehr von einem Realitätsprinzip begrenzt, das Lustprinzip bringt die Kontrolle selbst hervor. "2 Doch selbst die kritischen Beschreibungen — wie hier Webers — fallen der Fetischisierung schon anheim, proklamieren noch eine Körpersorge, ohne es zu wollen. Auch sie haben die alte Gegenüberstellung von Vernunft und Körper hinter sich gelassen (sonst könnte Weber gar nicht auf den theoretischen Gedanken kommen, das Lustprinzip kontrolliere sich selbst — ein Gedanke, der die Konzeption des Realitätsprinzips nach Freud oder Leistungsprinzips nach Marcuse ad absurdum führt) und argumentieren nun in der Dualität eines kontrollierten versus eines selbstmächtigen Körpers. Gerade in der Diskussion um den Pop erhält der Tanz, die Körperbewegung eine besondere Bedeutung. 3

Exzesse des Warenkörpers Körper als Ware Arbeitskraft

"Der Körper ist nicht wieder zurückzuverwandeln in den Leib. Er bleibt die Leiche, auch wenn er noch so sehr ertüchtigt wird. " (Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, S. 209)

Befürworter wie Gegner beschreiben das Neue der Körperlichkeit als das Exzessive. Ausgerechnet das Exzessive ist nun das letzte explizit theoretische Moment in der Auseinandersetzung um den Körper: man wittert Nietzscheanisch das Dionysische der neuen Körperkultur und entdeckt pseudokulturhistorisch einen Körperkult, der in der Menschheitsgeschichte einzigartig ist, was zugleich als Rechtfertigung auszureichen scheint, um auch den positiven Wert der exzessiven Körperlichkeit zu begründen. Allerdings ist gerade die Exzessivität der Behandlung des Körpers nicht neu. Gegenwärtig scheint sich nur in der Freizeit zu verlängern, was von jeher dem Körper ökonomisch widerfuhr: möglichst ohne Verlust und Rest Arbeitskraft zu liefern. Über die Freizeit vermittelt, und als lustbringende Exzessivität umgemünzt, derart den Körper ökonomisch gefügig zu machen, bringt vorrangig nicht den Körper unter Kontrolle, sondern den dazugehörigen Geist: ob vermittels sogenannter Grenzerfahrungen oder als tanzende Subversion richtet sich der Zwang, ein vermeintlich reflektiertes Verhältnis zu seinem Körper zu haben, gegen Reflexion insgesamt. Die studentische Alltagssprache hat dafür schon das "Denken aus dem Bauch heraus" erfunden. Die Individualität eines Menschen will sich heute ausschließlich über seinen Körper definieren. Auch gewisse Attribute, die für Intelligenz oder Wissen einstehen, gelten als Charakteristik des Körpers. Körper ist dabei bloß eine Oberfläche, an der Individuelles variabel gehalten wird: der Schriftsteller, die Schauspielerin sitzen gleichwertig neben dem Extremsportler und dem gepiercten Girlie; sie sind unterschiedslos geworden und könnten eins sein. Individualität heißt heute zweierlei und deutet jeweils auf das Gegenteil, die Abwesenheit und das Mißlingen von Individualität. Einerseits ist der Individualismus, das Jeder-für-Sich, ein Prozeß der Entsolidarisierung; andererseits ist eben die Individualität gemeint, die sich selbstbekennerisch nur noch in wechselnden Moden ausdrückt: je extremer, je exzessiver, je individueller. Doch sowenig dies mit Individualität zu tun hat, sowenig greift hier Obsessives, wie man es gerne hätte; statt der Obsession eine Qualität zurückzugeben, wird sie bloß quantitativ erweitert. Das Ziel ist nicht Lust, sondern ihre Maßlosigkeit: Die Ekstase, die manche nun beim sogenannten Raven, dem Tanzen zu Technomusik, erfahren wollen, soll unmittelbar ans Primitive appellieren — allein, diese Ekstase funktioniert im Gegensatz zum mythischen Tanz nur vermittels einer ungeheuerlichen technischen Apparatur, Geld- und Zeitaufwand. Das exzessive in diesen Ritualen ist so oberflächlich, wie der Körper selbst nur auf Oberfläche reduziert ist.

Nachtrag: Eine Hamburger Diskothek ist für gelungene Parties stadtbekannt, obwohl stets nur geladene Gäste — Serienschauspieler und Models, dazu die üblichen "Kinder aus Gutem Hause" — Eintritt erhalten; die Kleiderordnung und die Verhaltensregeln sind streng. Veranstaltet werden die gelungenen Parties von einem ebenso stadtbekannten Partymacher, der schon mehrere Gerichtsverhandlungen wegen sexueller Nötigung und dergleichen erfolgreich hinter sich gebracht hat. Ob die Party gelingt oder nicht, hängt meist bloß vom Namen ab, unter dem sie stattfindet. Der Spielraum für Raffinessen ist begrenzt: diesmal soll die schon längst obligate Truppe von Gogo-Girls, die sonst in Latex- oder Spitzenwäsche vortanzen, barbrüstig auftreten. Ein Fernsehsender — der solche Veranstaltungen stadtbekannt macht — interviewt später zwei der jungen Vortänzerinnen: sie sind sehr zufrieden, denn es hat ihnen nicht nur "echt Spaß" gemacht, sondern sie konnten auch endlich einmal "frei heraus" sie "selber" sein. Alles war "toll", was auch der Schweiß auf den Brüsten bezeugte (Großaufnahme) — nur waren sie "echt genervt von den Typen, die einen immer nur anstarren, als sei man ein Objekt". Eine andere Frau wird gefragt, was denn ihr Freund dazu sagt: der sei nun "nicht begeistert", aber für sie ist es "ein ganz normaler Job" — sie "regt sich über seine Arbeit ja auch nicht auf".

Anatomie und Inszenierung des Selbst

Die Philosophie Michel Foucaults scheint für die fetischistische Sorge um den Körper typisch zu sein. Terry Eagleton hat den Verdacht geäußert, daß bei Foucault und anderen "eine bestimmte Art der Meditation über den Körper, über seine Oberflächen und Lüste, über seine Reizzonen und die Techniken im Umgang mit ihnen zu einer ganz angenehmen Entfernung des politischen Engagements aus einem weniger unmittelbar körperlichen Bereich beigetragen hat, ja sogar als Ersatz für eine Art Ethik diente. "4 Auch Helmut Thielen kommt zu einer ähnlichen Einschätzung, auch auf Foucaults eigene "Körperpraktik" Bezug nehmend: "Homoerotischer Sadomasochismus gilt nun als letzte Bastion des Ich, das sich selbst erfindet, gerade indem es über Vorstufen von Qual, Demütigung und Verletzung seinen Tod herbeiführt und genießt (…) Was Foucault am Ende propagiert hat, das könnte die Selbstüberwältigung und Zerstörung der Person in der Mechanik eines demokratischen Sexualfaschismus genannt werden. "5 Es soll hier nicht der Ort sein, diese Urteile über Foucault abzuwägen. Doch: weshalb wird ausgerechnet diese Körperorientierung Foucaults zum Streitpunkt? Immer war — neben der Machtproblematik — der Körper Foucaults großes Thema; stets war er den Disziplinierungen, die ihn fesselten oder ihm scheinbar Freiheit gaben, auf der Spur. Kann es sein, wie Thielen ja implizit vorwirft, daß ausgerechnet der Disziplinierungskritiker Foucault am Ende selbst eine überwältigende Disziplinierung vorschlägt? Foucaults Philosophie steht in ihrer Entwicklung paradigmatisch für die Fetischisierung der Körperlichkeit. Er schrieb in den 70er Jahren über Gefängnisse, Psychiatrien und Kliniken — drei exklusive Orte des Körpers im Kapitalismus. Sollte das am Ende weniger mit dem Körper zu tun haben als die sexualorientierte Selbstinszenierung?

Was den sozialen Kampf um eine bessere Gesundheitsversorgung vom privaten Kampf um die Anerkennung einer gewissen "Ästhetik der Existenz" unterscheidet, ist zunächst das mögliche Resultat: zielt der soziale Kampf auf die Veränderung der Bedingungen, so möchte der private sie nur um Toleranz erweitert wissen. Foucault sieht dies freilich nicht als Verschiebung, sondern als Transformation: ihm geht es nicht nur um die medizinische Versorgung, sondern um die medizinische Norm; Medizin macht nicht nur gesund, sondern definiert Gesundheit auch. Anhand der sozialgeschichtlichen Herausbildung des Krankheitsbildes der sexuellen Perversion hat Foucault gezeigt, inwiefern ab einer bestimmten Stufe sozusagen zwei Modelle des körperlichen Wohlbefindens in Konkurrenz treten. 6 Doch unternimmt Foucault diesen Transformationsversuch zweier politischer Ebenen — die sich ja durchaus in der Geschichte der europäischen Linken widerspiegeln — als Poststrukturalist und bleibt damit, wie er selber sagt, positivistisch an der Erscheinungsebene (die Stichworte sind immer wieder Machtstrukturen, Dispositive der Macht, Normierungs- und Disziplinierungsmacht). Daß diese Strukturen wesensmäßig durch einen Fetischismus vernetzt sind, der sowohl die Warenförmigkeit des Bewußtseins (Verdinglichung) wie auch des Seins (Warenproduktion, Entfremdung) nach sich zieht, bleibt bei Foucault unaufgeklärt. Foucaults Körperpolitik hebt das traditionelle bürgerliche Politikverständnis nicht auf, sondern ignoriert es bloß. Der Einsatz für das körperliche Wohlbefinden im Kapitalismus kann nur Erfolg haben, wenn es konkrete Folgen — den Eingriff ins medizinische System, Krankenkassen, Gesundheitsprävention, Public Health — bedingt; die Verschiebung des Interesses körperlichen Wohlbefindens von der medizinischen Pflege zum Freiraum der ästhetischen Inszenierung des Selbst kritisiert zwar partiell an der Medizin ihre sozialhygienische Normierungsmacht, setzt ihr jedoch nichts entgegen, was Folgen zeitigen würde. Eben diese Folgenlosigkeit der ästhetisch-inszenatorischen Körperpolitik kennzeichnet die kulthafte Zuwendung zum Körper, den Fetischismus.

Arbeitsteilung des Körpers

Grob ließe sich sagen, der Körper ist in der Neuzeit durch drei Felder bestimmt und in drei Felder sortiert. Es gibt erstens ein phänomenologisch-hermeneutisches Feld, zweitens ein medizinisch-psychosomatisches und drittens ein ästhetisch-politisches Feld. Die wissenschaftliche Arbeitsteilung hat in der Moderne auch den Körper geteilt. Die drei Felder sind Experten unterschiedlicher Kompetenzbereiche zugeordnet: Philosophen, Soziologen und Ethnologen untersuchen den Körper semiotisch, die Mediziner und die Juristen untersuchen ihn anatomisch — und diejenigen, die im Sektor zur allgemeinen Verhübschung des Lebens angestellt sind, vom Künstler bis zum Politiker, beschreiben den Körper pornografisch. So ist es möglich, am Körper die bürgerliche Doppelmoral zu erproben. Heute haben sich in der Verschränkung der Felder auch die Kompetenzen verschränkt (freilich ohne Arbeitsteilung aufzuheben). Piercings können vom Arzt vorgenommen werden, oder der fachkundige Tätowierer weiß um den kulturgeschichtlichen Hintergrund erster Südseetatoos besser Bescheid als der Ethnologe. Foucaults Gedanke aus den 70er Jahren, daß eine medizinische Norm die Rechtsnorm abgelöst habe und zum Leitprinzip wurde, ist von ihm selbst zwar im Konzept der Biomacht weiterverfolgt worden, hat dabei jedoch die politische Brisanz eingebüßt. Ist heute von der Unterdrückung des Körpers die Rede, dann meint man den Ausschluß bestimmter Körpertypen. Zumeist wird das kanalisiert auf die Macht der Schönheit im weitesten Sinne — dies ist zugleich eine zusätzliche Kanonisierung der drei Körperfelder auf den ästhetisch-politischen Aspekt: in den Medien hat so auch die Thematisierung der Schönheit Vorrang. Zu den Lieblingsthemen gehört etwa das schwere Berufsleben der Models; der Großteil der Berichte über den Medizinbetrieb dreht sich um Schönheitsoperationen; zusammen mit anderen biologistischen Theorien verbreiten sich auch zunehmend solche, die dem schönen Menschen mehr Lebensqualität und Berufschancen versprechen; Modeillustrierte für Frauen haben sich in ihrer Gesamtaufmachung langsam an die sogenannten Herrenmagazine angepaßt und geizen nicht mit nackten Frauenkörpern, die den neuesten Tabubruch illustrieren. — Die Kanonisierung und Verschränkung der Körperfelder erzeugt ein Rumoren, das nur oberflächlich subversiv ist. Neu an der gegenwärtigen Situation dürfte höchstens eines sein: die Massivität, mit der in der Inszenierung des Körpers zugleich von allen somatischen Regungen mehr und mehr abgelenkt wird. Die zumal im Pop florierende Politik des Körpers entpuppt sich als Politik einer bloß zweiten Haut, die den Körper eigentlich außen vor läßt. Das heißt, man kann diese Form der Körperpolitik nicht losgelöst von der Abwesenheit einer Körperpolitik betrachten, die sich um die Grundrechte des Körpers (Menschen) zu kümmern hätte: immerhin inszenieren Hunderttausende von Ravern bei der Love Parade eine Körperlichkeit, die im krassesten Gegensatz steht zum Zusammenbruch des sozial-medizinischen Versorgungssystems des Körpers. Was "Körper" unter kapitalistischen Bedingungen heißt, offenbart sich nach wie vor primär im medizinischen Bereich (weil es hier um die Grundbefindlichkeit, also Krankheit, Heilung, Gesundheit geht). Maßgeblich sind dabei zwei Sätze, die sich unmittelbar aus der medizinischen Verwaltung des Menschen im Kapitalismus ergeben: erstens körperliches Wohlbefinden kostet Geld; zweitens das Körperideal definiert sich sozialhygienisch nach Anforderungen des Marktes. Diese beiden Sätze transformieren sich in die Bezirke der Kultur: Jede Form der Körperlichkeit ist innerhalb der (Pop-) Kultur, sei es nun regressiv oder "subversiv", mit einem enormen Kostenaufwand verbunden. Die Verschleierung dieser Tatsache deckt sich mit dem Schweigen darüber, daß das Tragen von Markenkleidung denselben Stellenwert wie Zahnersatz haben wird. An sadomasochistischen Sexualpraktiken ist nicht das Spiel von Schmerz und Unterwerfung fragwürdig, sondern daß die stilgerechte Ausstattung dafür, bei den Lackstiefeln angefangen, extrem kostenintensiv ist. Die Modeindustrie hat sich schon darauf eingestellt: Hosen und Hemden werden nicht länger als Luxus präsentiert, die Models nicht länger als makellose Schönheiten vorgeführt, sondern alles wird im Make-up des Morbiden inszeniert; bis zur Jeanswerbung, auf der die proletarische Küche nachgestellt ist: verwahrloste Kinder, betrunkener Vater und keifende Mutter als Stereotypen der Armut, die noch zur profitablen Mode werden soll, bevor das Profitsystem daran zerbricht.

Es gibt genügend Indizien, daß das Zusammenbringen der drei Felder des Körpers keine Konstruktion ist. Manche davon haben den Charakter von Zufälligkeit. Tim Köhler schreibt in seiner Dokumentation Die Maschine kann nicht fühlen, ob der Mensch atmen will, ein Bericht über seine Erfahrungen als Krankenpfleger: Das Krankenhaus ist "eine Institution, in der wir fast alle geboren werden und in der zwei von drei Menschen in Deutschland sterben", es hat "die inhumane Eigengesetzlichkeit der totalen Institution" mit einer "feudalistisch anmutenden Hierarchie". "Die Patienten sind in der Regel wehrlos. Das moderne Krankenhaus ist intransparent und kennt keine Kontrollmechanismen (…) die Schweigepflicht, der jeder Mitarbeiter unterliegt, schützt mehr den Apparat als den Kranken. Er ist der letzte, der Einblick in seine Akten erhält. "7 Davon etwas über den Status des Körpers im "Pop in der Kontrollgesellschaft" (Holtert/Terkessidis) abzuleiten, scheint gewagt; allein: auf dem Umschlag von Köhlers Buch findet sich eine Fotografie, die eine Operation zeigt. Durch verschiedene Apparate hindurch sieht man Ärzte und Assistenten — den Patienten sieht man nicht; es könnte sich auch um einen Arbeitsvorgang im Bereich der Mikroelektronik handeln. Das Foto ist von einem der derzeit gefragtesten Modefotografen, der auch schon in der „Spex“ seine Arbeiten präsentierte, Wolfgang Tillmanns. Über sich und die Fotografin Nan Goldin schreibt Tillmanns: "Wir wollen beide positive Bilder von Menschen schaffen (…) In den vermeintlich heruntergekommenen, leeren Wohnungen wohnen Menschen, die ein erfülltes Leben führen. "8 Paßt das zum Umschlagsbild des Krankenhausberichts Köhlers? — Die Antwort liegt in der humanwissenschaftlichen Ideologie des Idealmenschen. Die Medizin liefert, so Cornelius Borck, für alle sozialen Bereiche gültig, die "primär naturwissenschaftliche Selbstrepräsentation des Menschen. "9

Medizin und ästhetische Körperkultur gehören zusammen; mit der Verwahrung des Körpers im Krankenhaus und der Technoveranstaltung benennt man die Spannweite des Zusammenhangs, die sich geschickt durch voneinander isolierte Institutionen definiert. Mehr Widerstand regt sich bei den aufgebrachten Ravern gegen das Drogenverbot als gegen die Erhöhung der Selbstkosten beim Medikamentenkauf. Zur modernen fetischistischen Körperlichkeit gehört, dem Körper etwas Gutes zu tun, etwa "körperbewußt" das Sonnenbad im Urlaub zu genießen; um vom Liegen in der Sonne nicht Hautkrebs zu bekommen, werden diverse Cremes empfohlen — auf die Bräunung, die Erholung verspricht, soll niemand verzichten. Wer dennoch an Hautkrebs erkrankt — und diesbezüglich Vorsorgeuntersuchungen neuerdings selbst zahlen muß — hat selbst Schuld und scheidet aus. Dies mit wachsendem Individualismus zu begründen, der am Ende jeden seinem Schicksal überläßt, kopiert nur die Farce, die dem System zugrunde liegt. Wie sehr dies ins Groteske reicht, zeigt wahrscheinlich das Transportwesen, der Individualverkehr am deutlichsten (worin sich freilich auch einiges vom Verhältnis zum Körper, zu seinen Fortbewegungsfunktionen und dergleichen darstellt): Ist vor einigen Jahren das Auto noch funktionsgerecht gepriesen worden, um schnell von Punkt A zu Punkt B zu gelangen, so dominiert derzeit die Reklame für das "Fahrvergnügen", für das ziellose Vor-sich-hin-Fahren, und vor allem die Reklame für die Minimierung des Todesrisikos bei Unfällen, die als unvermeidlich gehandelt werden: ABS, Air Bags, Seitenaufprallschutz etc. Die Werbung repräsentiert vollständigen Widersinn: verunglückende Autos, die mit Stahlbirnen auf Haltbarkeit geprüft werden, immer wieder Air Bags, gebrochen durch die Konsumentin, die den Wagen mit männlichen Sexualattributen präsentiert und offenbar nur fährt, um während der Fahrt die angeblich kostenlosen Extras auszuprobieren. Nach derselben Masche wird der menschliche Körper behandelt: nicht die drohende Gefahr wird reduziert, sondern das Risiko, darin umzukommen. Die Beispiele, die sofort in den Sinn kommen, haben dabei immer etwas absurd Banales: das gilt für das Rauchen, den Alkohol, aber auch für das laute Musikhören und -machen. Die medizinische Norm wird dabei von ihren eigenen fetischisierten Formen bisweilen überholt: "Rauchen macht Küsse so sexy" — dieser alte Spruch gegen den Nikotingenuß, ist in der Zeit, wo das Image des rauchenden Abenteuers an Glaubwürdigkeit verliert, zum Grundmuster der Zigarettenwerbung geworden: Sinnlichkeit, Sexualität und Tod.

Regelkreislauf — Körper — Mode

"Man kann vom Körper nicht loskommen und preist ihn, wo man ihn nicht schlagen darf (…) Die jüdische Tradition vermittelt die Scheu, einen Menschen mit dem Meterstab zu messen, weil man die Toten messe — für den Sarg. Das ist es, woran die Manipulatoren des Körpers ihre Freude haben. Sie messen den anderen, ohne es zu wissen, mit dem Blick des Sargmachers. Sie verraten sich, wenn sie das Resultat aussprechen: sie nennen den Menschen lang, kurz, fett und schwer" (Adorno/ Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, S. 210).

"Und diese dialektische Durchdringung und Vergegenwärtigung vergangener Zusammenhänge ist die Probe auf die Wahrheit des gegenwärtigen Handelns. Das heißt: sie bringen den Sprengstoff, der im Gewesenen liegt (und dessen eigentliche Figur die Mode ist) zur Entzündung. So an das Gewesene herangehen, das heißt nicht wie bisher es auf historische, sondern auf politische Art, in politischen Kategorien, behandeln" (Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Frankfurt/M. 1991, S. 495).

Borck spricht von einem Paradigmenwechsel in der Medizin: sie hat sich zur Biokybernetik gewandelt. Verabschiedet habe die Medizin eine Prothesenideologie, das heißt den Glauben an ihre Omnipotenz, den Körper wie in einer Autoreparaturwerkstatt wieder herstellen zu können; kaputte Teile werden ausgetauscht. Statt dessen setzt die Biokybernetik auf den Regelkreislauf; einerseits verwissenschaftlicht damit der medizinische Eingriff, Routine nimmt zu, andererseits nimmt die Einflußmöglichkeit des Patienten ab. "Lebensqualität" werde zum "Kriterium der Beurteilung therapeutischer Maßnahmen. 10 Schließlich kommt Borck zu dem Schluß: "Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens sowie die Einführung prädikativer Medizin einerseits und die Idealisierung des Körpers und seiner Gesundheit durch Bodybuilding und Körperkultur andererseits gehen hierbei Hand in Hand (…) Medikalisierung der Gesellschaft und Fetischisierung von Körper und Gesundheit sind zwei Facetten derselben Universalisierung einer Gesund/Krank-Dichotomie in der Therapiegesellschaft. "11 — Die Biokybernetik der Medizin trifft auf eine Fetischisierung von Körper und Gesundheit, die sich im Bewußtsein der Menschen durchgesetzt hat; der Fetisch des eigenen Körpers steht am Ende der bürgerlichen Fetischisierung der Vernunft. Wie die Vernunft gerinnt der Körper zum Etikett für das, was gesellschaftlich mißlingt. Die Individualität, die Vernunft wie Körper verspricht, die nur wäre, wenn Geist und Körper in der Einheit von Leib und Seele sich wieder versöhnen, ist nicht.

Die Moderne treibt zum fetischisierten Körper schon da, wo sie ihn negiert. Der Begriff des Fetischs ist dabei in dreifacher Bedeutung zu reflektieren: er ist erstens — ethnologisch verstanden — überhöhter Naturgegenstand, dem mythische Qualitäten zugesprochen werden; er ist zweitens — psychoanalytisch interpretiert — isoliertes Sexualobjekt, auf das sich die Libido reduziert; er ist drittens — nach Marx — Warenfetisch, wonach die Tatsache der Warenproduktion selbst als natürlich erscheint, also das Faktum, daß Waren produziert werden, eben nicht durchschaut wird. Die ethnologische und die psychoanalytische Dimension ist vom Kontext des Warenfetischismus nicht trennbar. Valerie Steele hat in ihrem Buch Fetisch. Mode, Sex und Macht die Problematik noch hinsichtlich des Faktors der Mode ergänzt. Die medizinische Biokybernetik, sofern sie ein Menschenbild definiert, ist zugleich eine mit Sexualitätsmustern operierende Ideologie. "Nach und nach richteten die Menschen ihr Denken auf sexuelle Identitäten statt wie vormals auf sexuelle Handlungen. Die Entwicklung des Kapitalismus und die Urbanisierung in Europa schufen eine Umgebung, in der ‚Fetischisten‘ sich allererst als solche wahrnehmen und untereinander Kontakt aufnehmen konnten. "12 Was Steele mit Blick auf den Sexualfetischismus schreibt (Lack, Leder etc. ) gilt allgemein: der Kapitalismus mit der Folge der Verstädterung brachte keine andere Realität von Individualität als die fetischistische hervor. Der Sexualfetisch bildet nur eine sinnlich sehr greifbare, zudem männlich dominierte Variante aus. Er ist erst in zweiter Instanz die direkte, naturhaft erscheinende Bindung des sexuellen Wunsches an ein Objekt (zum Beispiel Stiefel oder Unterwäsche) und in erster Instanz vermittelt über die Warenförmigkeit. (Steele verkennt dies, wenn sie fragt, weshalb bestimmte Moden oder modische Accessoires zu Sexualfetischen werden konnten; die Mode als solche repräsentiert einen Fetisch und die Frage wäre nicht zwischen der Verbindung von Sexualität und Fetisch zu verhandeln, sondern zwischen Sexualität und Ware. ) Sexualisierung bildet eine Strategie der Ableitung; der sexualisierte Körper ist dabei genau ein um die Körperlichkeit entledigtes Objekt. In den Diskussionen um die Sexualisierung und Sexuierung des weiblichen Körpers ist darauf hingewiesen und somit die Bindung von kultureller und medizinischer Normierung verdeutlicht worden. Linda Singer spricht von "zwei Basisstrategien im Spätkapitalismus": diese "are condensation and displacement, which correspondend to genital and commodity fetishism. As a consequence of its success, late capitalism has largely succeeded in establishing the articulation of needs and desires along to basic axes — genital gratification and satisfaction through consumption. These two elements converge in the construct of leisure, that sphere of time which is not work. "13 Mit der unterdrückten Sexualität des einzelnen hat das nichts zu tun. Dennoch kann die eigene unterdrückte Sexualität vollständig darauf projiziert werden, sogar in einem Umfang, daß die Unterdrückung für überwunden gilt.

Wie Steele zeigt, ist der Fetischismus — als männliche Norm, wie sie sagt — im letzten Jahrhundert in Mode gekommen, gekoppelt an eine bohemistische Kultur. In diesem Jahrhundert überschreitet er die Tabugrenzen und bricht in die Mode ein, sofern auch der Bohemismus zum Massenphänomen wird. 14 Als Beispiel mag hier gelten, was Steele ausführlich behandelt, daß die Unterwäsche, insbesondere Dessous für Frauen, aber zunehmend auch Herrenunterwäsche, die Laufstege erobert und zur Oberbekleidung transformiert wird, ohne den Charakter eines "erotischen" Kleidungsstücks zu verlieren. Franz Schandl bemerkte zur "Dialektik der Dessous", daß "Sexual- und Warenästhetik konvergieren (…) Werbung und Mode sind nicht bloß Beiwerk, sie sind die auffrisierten Zusatzmotoren von Produktion und Produktivkraftentwicklung geworden. "15 Inwieweit der Prozeß der Sexualisierung des Körpers nicht nur eine Entkörperlichung, sondern auch eine Desexualisierung bedeutet, entgegen dem Versprechen, den Körper und den Sex zu retten, hat Walter Benjamin durch seine luzide Analyse des Zusammenhangs von Mode und Ware gezeigt, auf dessen Basis sich die Vernetzung des Komplexes von Körper, Sex und in gewisser Hinsicht auch schon "Pop" im 19. Jahrhundert herausbildete. "Jede Generation erlebt die Moden der gerade verflossenen als das gründlichste Antiaphrodisiacum, das sich denken läßt (…) Es ist in jeder Mode etwas von bitterer Satire auf Liebe, in jeder sind Perversionen auf das rücksichtsloseste angelegt. Jede steht im Widerstreit mit dem Organischen. Jede verkuppelt den lebendigen Leib der organischen Welt. An dem Lebenden nimmt die Mode die Rechte der Leiche wahr. Der Fetischismus, der dem Sex-appeal des Anorganischen unterliegt, ist ihr Lebensnerv. "16 Und weiter: "Im Fetischismus legt der Sexus die Schranken zwischen organischer und anorganischer Welt nieder. Kleidung und Schmuck stehen mit ihm im Bunde. "17

Der Körper, den man durch diverse Strategien und Programme als das letzte, wenn nicht stärkste Bollwerk gegen die Unterdrückung behaupten möchte, in dem man nach dem Abschied einer auf Reflexion basierenden Kritik nun die Strategien der "ästhetischen Erfahrung" und des "Kreativen" verorten möchte, negiert alle diese politischen Aufladungsprozesse an sich: als Körper ist er nichts weiter als der Rest des Leibes, als die Hülle der Charaktermaske des Subjekts. Was man Körper nennt und glaubt als konkrete Leiblichkeit, als Wirklichkeit positiv verfügbar zu haben (im Tanz, in der ästhetischen Inszenierung, in der Mode), ist nur ein s Surrogat jener Abstraktion, die sich im gesellschaftlichen Gesamtgefüge vom Gebrauchswert zum Tauschwert vollzieht: die sinnlichen Besonderheiten seines Gebrauchswerts werden im Tausch ausgelöscht; gegen den Leib ist der Tauschwert objektiv gleichgültig — daß der Leib als Körper lediglich erscheint, macht ihn nicht zum Körper des je einzelnen selbst, sondern nur zur personifizierten Sache. Die Mode ist nicht eine besondere Strategie der Rettung, sondern die allgemeine Erscheinungsweise des Körpers. Zu Beginn der neuzeitlichen Trennung von Geist und Körper steht die Idee, wie Adorno und Horkheimer sagen, "der ausgebeutete Körper sollte den Unteren als das Schlechte und der Geist, zu dem die anderen Muße hatten, als das Höchste gelten. " Der Körper war das Schlechte, weil er sich an der disziplinierten Arbeit, an der Produktion auszurichten hatte. Nun soll er zum Höheren aufgewertet werden, in der Freizeit. Aber das Modell des Körpers ist kein anderes als das der Arbeit. Am Ende der Arbeitsgesellschaft wird der Produktionsprozeß nicht nur in der Industrie simuliert, sondern auch in der Sphäre der Reproduktion, die einmal frei sein sollte von Arbeit. Nicht Muße gönnt man dem Körper, sondern fortwährende Geschäftigkeit spannt ihn ein: er muß tanzen, konsumieren, sich ausleben, wild sein. Vor allem die fetischistische Sexualität, die ja darauf gründet, an Körperteilen oder körperfremden Objekten Lust zu empfinden, ahmt damit nach, daß Arbeit im Kapitalismus stets nur der benötigte Handgriff, die vom menschlichen Arbeitsvermögen abgeschiedene Arbeitskraft war. Der Körper ist immer nur ein Teil des Leibes. n

    Mag. Roger Behrens ist Philosoph und Publizist. Er lebt in Hamburg.

Literaturhinweise

    Tim Köhler, Die Maschine kann nicht fühlen, ob der Mensch atmen will. Reportagen aus dem Krankenhaus, Rotbuch Verlag: Hamburg 1997, 142 S. , 16,90 DM.

    Cornelius Borck (Hg. ), Anatomien medizinischen Wissens. Medizin — Macht — Moleküle, Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt/M. 1996, 366 S. , 26,90 DM.

    Valerie Steele, Fetisch. Mode, Sex und Macht, aus dem Amerikanischem von Walter-Berndt Fischer, Berlin Verlag: Berlin 1996, 238 S. m. Abb. , 29,80 DM.

    Michael Schneider, Neurose und Klassenkampf. Materialistische Kritik und Versuch einer emanzipativen Neubegründung der Psychoanalyse, Reinbek bei Hamburg 1973, bes. Teil 3.

    Wolfgang Fritz Haug, Kritik der Warenästhetik, Frankfurt/M. 1972.

    Reimut Reiche, Sexualität und Klassenkampf. Zur Abwehr repressiver Entsublimierung, Frankfurt/M. 1971.

Anmerkungen

    1 Vom Alkoholismus — eine Krankheit — hat man ethymologische und sachliche Absurditäten abgeleitet, die den Alkoholismus genauso bagatellisieren wie die vermeintlichen Suchtursachen — die Arbeitssucht des Workaholics und die Sexsucht des Sexaholics gelten als Süchte, also Verhaltensweisen, bei denen das "gesunde Mittelmaß" nicht mehr eingehalten werden kann. Was ist beim Sex oder der Arbeit aber der Normalzustand? Der Terminus "Workaholic" ist ein ebenso verniedlichendes Wort wie "Angestellter", "Beschäftigter" oder "Arbeitnehmer". Arbeitssucht als Leistungssucht steht zudem der Sexsucht als angeblicher Lustsucht merkwürdig diametral gegenüber: doch daß man (und vorwiegend: Mann) als "sexsüchtig" deklariert wird, verlangt offenbar weniger eine übermäßige Lustorientierung als vielmehr eine Pervertierung der Sexualität in ein (quasi) Lohnarbeitsverhältnis.

    2 Annette Weber, Miniaturstaat Rave-Nation. Konservatismus im Kontext der Techno-Community, in: Tom Holert/Mark Terkessidis, Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft, Amsterdam/Berlin 1996, S. 52f.

    3 Dazu gehört etwa, daß Diedrich Diederichsen im selben Band in seinem Beitrag "Stimmbänder und Abstimmungen. Pop und Parlamentarismus" das subversive Potential im Pop in einer "Nähe zum Maschinellen", nämlich einer "Mimesis ans Verhärtete" sieht, wo "eben gerade Sexualität und Körperlichkeit jenseits ihrer authentizistischen Verwertbarkeit" entstünden (S. 112). Solche affirmativen Beurteilungen des Tanzens als Subversion finden sich interessanterweise sonst nur in der Religionspädagogik, vgl. exemplarisch mit Literaturhinweisen: Jutta Krauß-Siemann, Mystik als religionspädagogisches Thema. Reflexionen auch unter sozialethischen Perspektiven, in: „Der Evangelische Erzieher. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie“, Heft 1/März 1997, S. 45ff.

    4 Terry Eagleton, Ästhetik. Die Geschichte ihrer Ideologie, Stuttgart/Weimar 1994, S. 7.

    5 Helmut Thielen, Diskurs und Widerstand. Philosophie der gesellschaftlichen Praxis, Bad Honnef 1995, S. 85.

    6 In Konkurrenz treten das triebenthemmte, zwar "perverse", aber lustbetonte Sexualleben und das triebkontrollierte und deshalb "gesunde" Sexualleben.

    7 Tim Köhler, Die Maschine kann nicht fühlen, ob der Mensch atmen will. Reportagen aus dem Krankenhaus, Hamburg 1997, S. 11f.

    8 Wolfgang Tillmanns, Ich bin dein Spiegel, in: „Die Zeit — Magazin“, 6/1997, S. 18.

    9 Cornelius Borck (Hg. ), Anatomien medizinischen Wissens-Medizin-Macht-Moleküle, Frankfurt/M. 1996, S. 37.

    10 Vgl. ebd, S. 22ff.

    11 Ebd. , S. 29.

    12 Valerie Steele, Fetisch. Mode, Sex und Macht, Berlin 199, S. 31.

    13 Linda Singer, Erotic Welfare. Sexual Theory and Politics in the Age of Epidemic, hg. von Judith Butler und Maureen MacGrogan, N. Y. /London 1993, S. 36.

    14 Vgl. Tobia Bezzola, Massenbohemisierung und bohemische Massenkultur, in: „17°C — Zeitschrift für den Rest“, Nr. 10, April/Mai/Juni 1995, S. 85ff.

    15 Franz Schandl, Dialektik der Dessous, in: „Die Presse“, 31.12.95/1.1.96.

    16 Walter Benjamin, Das Passagen-Werk (Bd. 1), Frankfurt/M. 1991, S. 130.

    17 Ebd. , S. 118.

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