Weltgesellschaft ohne Geld

Überlegungen zu einer Perspektive jenseits der Warenform

von Norbert Trenkle

1. Utopismus und emanzipatorische Perspektive

Im Zeitalter postmoderner Desillusionierung mag es geradezu anstößig erscheinen, Gedanken zu einer gesellschaftlichen Perspektive jenseits der Warenform vorzulegen. Handelt es sich dabei nicht um die längst schon »dekonstruierten« Allmachtsphantasien des weißen Mannes? Sind es die letzten Fiebertraume des abendländischen Subjekts, das noch im röchelnden Todeskampf die Welt unter seine universalistischen Großkonzepte zu subsumieren geneigt ist? Es wäre zu einfach, solche Verdächtigungen als bloße Abwehrhaltungen derjenigen abzutun, die sich längst schon mit dem Bestehenden arrangiert haben. Die Skepsis gegenüber Zukunftsentwürfen, die den Anspruch auf Verallgemeinerungsfähigkeit erheben, ist grundsätzlich ernst zu nehmen, auch wenn sie permanent dafür instrumentalisiert wird, jeden Gedanken an eine gesellschaftliche Transformation, die diesen Namen verdient, schon im Vorfeld abzublocken.

In der Geschichte der abendländischen Zivilisation verbinden sich die Entwürfe von einer »besseren Zukunft« seit jeher mit dem Begriff der Utopie. Und hinter diesem Begriff verbarg sich in der Tat häufig genug die rationalistische Vorstellung des Aufklärungssubjekts, die Welt nach einem vorgefertigten Plan in einen phantasierten Idealzustand zu überführen. Natürlich schließt dies ein, dass die Verfasser dieses Plans sich im Besitz einer unumstößlichen Wahrheit wähnen, dass nur sie zu wissen meinen, wie das Glück über die Menschheit gebracht werden kann. Insofern birgt das utopische Denken ein ungeheures latentes Gewaltpotential, und das wurde immer dort manifest, wo die praktische Umsetzung dieser »Pläne« für mehr oder weniger kurze historische Momente möglich schien. Dann nämlich wurde regelmäßig versucht, die unüberbrückbare Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit durch Zwang und damit einhergehende Ideologisierung der Verhältnisse zu schließen. Widerstand gegen die »gute Sache« war ex definitione als schädlich, verderbt oder reaktionär disqualifiziert und konnte daher reinen Gewissens unterdrückt und vernichtet werden. Bekanntlich ist nie so skrupellos gemordet und gefoltert worden, wie im Namen der Weltverbesserung.

Dennoch ist die Art und Weise, in der heute quer durch das politische Spektrum selbstgefällig das Ende der Utopien verkündet wird, ebenso billig wie unappetitlich. Auf der einen Seite hat der eher traditionelle Konservativismus und Liberalismus á la Fest und Dahrendorf das utopische Denken zur Hybris des rechten und linken »Totalitarismus« erklärt, in der offensichtlichen Absicht, die westliche Zivilisation an sich vom Makel der Gewaltsamkeit und des Irrationalismus rituell zu reinigen und den Status quo zu legitimieren. Dabei wird konsequent verdrängt, dass im Utopismus nur zur Kenntlichkeit gelangt, was das Wesen des modernen warenproduzierenden Weltsystems ausmacht: die Subsumtion der Wirklichkeit unter abstrakt-universalistische Kategorien und Normen.

Auf der anderen Seite hat zwar der poststrukturalistische und dekonstruktivistische Diskurs den Zusammenhang zwischen dem Utopismus und den imperialistischen Tendenzen des abendländischen Universalismus herausgearbeitet. Dennoch bleibt auch diese elaboriertere Variante einer Utopiekritik letztlich insofern affirmativ, als sie den der westlichen Moderne zugrundeliegenden Formzusammenhang von Ware und Geld, ohne den es gar keinen universalistischen Diskurs (und keine »Dekonstruktion« dieses Diskurses) geben könnte, systematisch ausblendet und zum Nicht-Thema erklärt. Der scheinbar mutige Verzicht auf jedes Denken des Zusammenhangs gerät so gerade zum Legitimationsdiskurs des Bestehenden, und die Tabuisierung jedes transzendierenden Denkens entpuppt sich als eine besonders subtile »List der Macht«.

Gegenüber diesen derzeit dominanten strukturkonservativen Positionen kann nicht deutlich genug betont werden, dassder Wunsch nach einer Überwindung von Markt und Staat, trotz aller notwendigen Kritik am utopischen Denken, keinesfalls als solcher diskreditiert werden darf. Zu kritisieren ist nicht dieses Bedürfnis nach Emanzipation, sondern die Form, in der es sich äußert. Der Utopismus ist insofern abzulehnen, als er der schlechten Wirklichkeit unvermittelt einen Ideal- oder Wunschzustand gegenübergestellt, dem diese dann »angepasst« werden soll. Gerade wegen dieser Unvermitteltheit aber schleicht sich in das vermeintlich radikal Andere hinterrücks das ganz gewöhnliche Alte in verklärter Form wieder ein und versperrt sich so zugleich einer kritischen Reflexion. Dies macht die Attraktivität vieler »Utopien« aus, denn sie ersparen dem bürgerlichen Bewusstsein die radikale Selbstkritik und erlauben ihm, seine gewohnten Illusionen weiterzupflegen. Paradigmatisch lässt sich dies an der derzeit überaus populären Utopie des Silvio Gesell vom »zinsfreien Geld« zeigen, die nichts anderes transportiert, als den erzbürgerlichen Traum vom Lohn der »ehrlichen Arbeit«.[1] Die Willkürlichkeit dieses Konstrukts, das völlig von den Sachgesetzmäßigkeiten und inneren Zwängen der Geldform abstrahiert, nur um diese selbst von der Kritik auszunehmen, tut seiner Popularität keinen Abbruch, sondern ist im Gegenteil sogar deren Voraussetzung. Denn nur so lässt sich der heimliche Wunsch befriedigen, das Bestehende scheinbar zu überwinden, zugleich aber erbittert daran festzuhalten, ein Wunsch, der gerade in Krisenzeiten der bürgerlichen Gesellschaft eine ungeheure Kraft gewinnt.

Insofern greift es zu kurz, phänomenologisch zwischen »antiautoritären und autoritären Utopien« zu unterscheiden, und letztere dann zu verwerfen, wie es etwa Rolf Schwendter in Anlehnung an Bloch tut.[2] Zum einen sind die Unterscheidungskriterien zwangsläufig ziemlich willkürlich, zum anderen aber – und dies ist entscheidend – kann auch und gerade eine vermeintliche »Freiheitsutopie« sehr schnell in Zwang und Gewalt umschlagen, wenn sich die Wirklichkeit nicht so recht in sie einpassen mag und etwa die Suche nach den Sündenböcken beginnt. Dieser ja keinesfalls neuen Kritik an seinem inhärenten Autoritarismus versucht ein Großteil des neueren utopischen Denkens mit einem Rückzug in die völlige Unverbindlichkeit und mit der Demontage jedes übergreifenden Anspruchs zu begegnen. Nur wenige der aus den »neuen sozialen Bewegungen« hervorgegangenen bzw. übriggebliebenen Konzepte beanspruchen noch, in einem umfassenden Sinne für gesellschaftliche Veränderungen zu stehen. Im allgemeinen wird betont, es handle sich halt nur um einen Vorschlag, der gleichberechtigt neben viele andere gestellt werde. Dies ist aber nur ein Ausweichmanöver, denn die Willkürlichkeit der Konstrukte bleibt erhalten, ja sie wird sogar noch ins Extrem getrieben, nur dass nun eben tausenderlei »Utopien« im Angebot sind. Der im utopischen Denken durchaus aufscheinende Wunsch nach einer radikalen gesellschaftlichen Transformation aber wird gleichzeitig auf die Ebene des individuellen Wunschtraums heruntergebrochen und damit de facto neutralisiert. Radikale Gesellschaftskritik gerät so zu einer Frage des persönlichen Geschmacks und der individuellen Vorlieben, denn »Utopie« bedeutet dann nichts weiter, als ein wenig in unverbindlichen und konsequenzlosen Phantasien zu schwelgen (angeleitet vielleicht noch vom Moderator einer »Zukunftswerkstatt«). Diese Sorte von »Utopie« aber unterscheidet sich kaum noch von den Tagträumereien des alltagsgestressten Bankangestellten vom Haus in der Toskana oder dem Urlaub auf dem Malediven.[3]

Nun kann es natürlich nicht darum gehen, eine dieser »Utopien« herauszugreifen und in sektiererischer Manier zum Dogma zu erheben. Der Anspruch, eine grundsätzlich verallgemeinerungsfähige gesellschaftliche Perspektive jenseits von Markt und Staat zu entwickeln, muß seine Legitimation vielmehr in der dezidierten und präzisen Kritik des warenförmigen Fetischismus finden. Das hat wohlgemerkt nichts gemein mit der Beschwörung »objektiver Gesetzmäßigkeiten«, die eine bestimmte Form gesellschaftlicher Organisation erzwingen würden. Im Gegenteil. Darauf konnte sich nur ein Marxismus berufen, der bewusstlos die fetischistischen Zwänge der warenförmigen »Modernisierung« ideologisch reflektierte und praktisch exekutierte. In einem solchen Kontext waren natürlich Überlegungen über mögliche Formen einer zukünftigen Vergesellschaftung prinzipiell überflüssig, denn was objektiv vorherbestimmt schien, brauchte nicht extra noch einmal subjektiv gedacht werden. Dies ist übrigens als Hauptgrund dafür anzusehen, dass zumindest der Mainstream des Marxismus kaum mehr als abstrakte Floskeln über das »Absterben des Staates und des Geldes« in einer nicht weiter bestimmten fernen Zukunft produziert hat. Weitergehende perspektivische Überlegungen wurden mit der Standardformel verworfen, Theorie könne nicht Garküche der Zukunft sein. Auch die weniger objektivistischen Strömungen des Marxismus blieben dem grundsätzlichen Fortschrittsglauben verhaftet und verstanden »Sozialismus« bzw. »Kommunismus« als die lineare Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft. Dort wo zumindest ansatzweise das »Bilderverbot« durchbrochen wurde, so etwa in Engels überaus populärem »Anti-Dühring«, lassen sich die mehr oder weniger umrisshaften Entwürfe jedenfalls als Projektionen oder Verlängerungen der warenförmigen Vergesellschaftung dechiffrieren.[4]

Gegenüber diesen Konzepten der objektiven Ableitbarkeit, verfolgen die hier skizzierten Überlegungen zu einer Perspektive jenseits der Warenform einen grundsätzlich anderen Ansatz. Weder berufen sie sich auf scheinbar objektiv-historische Gesetze des »Fortschritts«, noch suchen sie ihre Legitimation in einem abstrakt-universalistischen und vorgeblich überhistorischen Normengerüst. Meinen Standpunkt gewinne ich vielmehr aus der Analyse und Kritik der inneren Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft selbst. Die Objektivierung der Verhältnisse ist hier also nicht Postulat, sondern gerade umgekehrt Gegenstand der Kritik, wobei diese Kritik – was sich fast von selbst versteht – nicht kontextfrei im leeren Raum schwebt. Sie ist historisch in dem Sinne, als sie vor dem Hintergrund einer realen Zuspitzung der warenförmigen Widersprüche, die zunehmend die Unhaltbarkeit der gegebenen Gesellschaftsformation deutlich sichtbar und spürbar werden lassen, formuliert wird.

Im Rahmen einer so verstandenen und historisch situierten Gesellschaftskritik kann es also nicht um den Entwurf einer »idealen Gesellschaft« gehen. Der Anspruch muß niedriger und damit zugleich höher gehängt werden. Es gilt, den Weg für eine Auseinandersetzung darüber zu öffnen, welche der historisch entstandenen Potentiale emanzipatorisch aufgegriffen und jenseits der bzw. gegen die verdinglichten warenförmigen Zwänge weiterentwickelt werden können und sollen. Dabei versteht es sich eigentlich von selbst, dass eine solche Auseinandersetzung nicht die Prozesse vorwegnehmen kann, die letztlich in der gesellschaftlichen Praxis des Herausarbeitens aus der Warenform (und das heißt, des Herausarbeitens aus der Krise der Warenform mit allen ihren Verwerfungen) entschieden werden müssen. Aber sie ist unabdingbar, um überhaupt wieder eine emanzipatorische Handlungsperspektive zu gewinnen.

Dabei ist immer auch zu bedenken, dass die kapitalistische Vergesellschaftung Vorgaben gemacht hat, die, selbst wenn man wollte, gar nicht einfach beiseite gefegt werden könnten, die andererseits aber auch keinesfalls als objektives Fatum hinzunehmen sind. Sie sind als historische Ausgangsbedingungen und »Hinterlassenschaften« anzuerkennen, die im übrigen durchaus positive Momente und Potentiale enthalten, mit denen man sich kritisch auseinandersetzen muss. Dazu gehört nicht nur die viel beschworene (wenn auch im allgemeinen technizistisch verkürzt gedachte) Produktivkraftentwicklung, sondern insbesondere auch die durchgesetzte Globalisierung. So sehr die gewaltsame und vereinheitlichende Form des warenförmigen Dampfwalzen-Universalismus kritisiert werden muss, so wenig kann und darf es ein Zurück hinter die eine Welt als Bezugsrahmen gesellschaftlicher, kultureller und stofflicher Vermittlungen geben. Dies verbietet sich schon deshalb, weil das »Ökosystem Erde« zwingend globale Absprachen erfordert. Weltweite lebendige Beziehungen zwischen Menschen und Gemeinschaften stellen aber auch einen Wert an sich dar und sind zugleich ein wirksames Heilmittel gegen mögliche gesellschaftliche und kulturelle Verkrustungen. Schließlich aber sind natürlich auch die Menschen selbst, die sich daran machen könnten, die warenförmige Moderne zu überwinden;, durch diese konstituiert und also in ihr befangen. Darüber kann sich niemand unvermittelt hinwegsetzen. Nur in der selbstkritischen Thematisierung dieses Problems und der darin angelegten Widersprüche könnte es letztlich gelingen, den Zirkel der systemischen Selbstaffirmation zu durchbrechen.

2. Der Mythos von der Unverzichtbarkeit des Geldes

Nichts ist in der totalen Welt der Ware wohl selbstverständlicher als die Existenz des Geldes. Die Erfahrung, dass nur wer über Geld verfügt, auch als Subjekt anerkannt wird und Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum erhält, hat sich tief ins Bewusstsein der Menschen eingegraben; und daher rührt schon der einfache Gedanke an die Aufhebung der Warenform an eine fundamentale Angst. Es ist geradeso, als würde jemand vorschlagen, die Atemluft abzustellen. Längst schon erscheint den modernen Geldsubjekten der Zwang, sich immer und überall zu verkaufen, als tiefste Naturnotwendigkeit. Die Idee, gesellschaftlicher Reichtum könnte auch anders als in der Warenform existieren, kommt diesem verrückten Bewusstsein völlig verrückt vor. Selbst kritisch denkende Menschen wehren einen solchen Gedanken im allgemeinen als geradezu hirnverbrannt ab und erheben fast schon reflexhaft den Vorwurf (meist unter Verweis auf Stalin und Pol Pot), hier wolle jemand entweder zur bäuerlich-kargen Dorfwirtschaft zurück oder strebe gar eine totalitaristische »Diktatur über die Bedürfnisse« an.

In dieser Hinsicht unterscheiden sich heute traditionelle Linke und Konservative um keinen Deut – nur dass bei ersteren die Abwehrreaktionen meist vehementer ausfallen. Nicht nur die FAZ erhebt den Verdacht: »Hinter Kurz’ abstrakter Rede von der sinnlichen Vernunft verbirgt sich letztlich ein unausgesprochenes Plädoyer für eine Rückkehr zur dörflichen Naturalwirtschaft« (FAZ, 8.10.91). Auch Elmar Altvater, der sich ja immerhin noch den Rest eines kritischen Anspruchs bewahrt hat, hält die Vorstellung von einer nicht-monetären Vergesellschaftung für absurd und zugleich gefährlich: »Eine Weltgesellschaft ohne Waren und Geld ist nicht zu haben… Die nicht warenförmige Weltgesellschaft ist ein Projekt des Kollapses, nicht der Moderne«, schreibt er gegen mich gewandt in den blättern des iz3w (Nr. 191, Aug./Sep.93).

Altvaters Argumentation transportiert die gängigen Stereotype: Geld und Warentausch gelten ihm als einzig mögliche Medien von Vergesellschaftung, und daher kann deren Aufhebung nur die radikale Entgesellschaftung bedeuten, also die Zersplitterung der Welt in kleine, weitgehend autarke bäuerlich-handwerkliche Einheiten, die Aufgabe des erreichten Produktivkraftniveaus und die Rückkehr zu einer vorindustriellen Güter- und Bedürfnisarmut. Diese Gleichsetzung von Warenproduktion und Vergesellschaftung aus der Perspektive des vermeintlichen historischen Siegers blamiert sich aber längst schon an der harten Wirklichkeit des globalen Marktsystems. Denn die Zeiten, in denen es so aussah, als sei es zumindest in den Zentren des Weltmarkts gelungen, eine in sich stabiles Universum kapitalistischer Vergesellschaftung zu schaffen, sind endgültig vorbei. Konnte das System der Warenproduktion in seiner Aufstiegsphase noch eine hohe integrative Kraft entfalten, so entwickelt es jetzt aus seinen inneren Widersprüchen heraus ungeheure zentrifugale Kräfte, die immer größere Bevölkerungsmassen vom warenförmigen Reichtum ausschließen, im weitweiten Maßstab Staatlichkeit zersetzen und damit zugleich auch erreichte zivilisatorische Errungenschaften zerstören. Der Spieß kann also umgedreht werden: Nicht die Aufhebung der Warenproduktion; sondern ihre Fortführung bedeutet den barbarischen Kollaps von Vergesellschaftung und die Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen überhaupt.

Dies ist also der Hintergrund, vor dem die Frage nach einer Perspektive nicht-warenförmiger Vergesellschaftung gestellt werden muss, womit freilich diese selbst noch nicht weiter konkretisiert worden ist. Betrachten wir aber zunächst noch einmal das zentrale Argument für die angebliche Unverzichtbarkeit der monetären Vermittlung, der soziale und stoffliche Zusammenhang sei in einer »industrialisierten und arbeitsteiligen Gesellschaft« so unübersichtlich, dass es eines »Instruments« zur »Komplexitätsreduktion« bedürfe. Erscheint diese Behauptung auf den ersten Blick völlig evident, so ist dies bloß ihrem tautologischen Charakter geschuldet. Vorausgesetzt wird nämlich der durch die Warenform konstituierte Gesellschaftszusammenhang so wie er ist, um dann für eben diesen die Notwendigkeit des Geldes zu konstatieren – wie wahr! Tatsächlich aber zeigt schon die Art und Weise der monetären »Komplexitätsreduktion«, dass das Geld keinesfalls bloß ein praktisches und neutrales »Medium« ist.

Erstens ist das, was das warenfetischistische Bewusstsein an der »Leistung« des Geldes so sehr bewundert, gleichbedeutend mit der eindimensionalen Zurichtung der Welt, mit ihrer Subsumtion unter das universalistische Prinzip der reinen Quantität und mit der Abstraktion von allen konkret-sinnlichen Dimensionen des Lebenszusammenhangs. Diese strukturell auf rassistischen und sexistischen »Abspaltungen« beruhende Durchrationalisierung der Welt ist nicht nur ungeheuer gewaltsam und destruktiv, zugleich führt sie sich auch permanent selbst ad absurdum. Dem immanenten Drang, alle Lebensäußerungen in ihrer Systemrationalität abzubilden, ist die kapitalistische Gesellschaft in den Gewinnerstaaten des Weltmarkts mit einer Ausdifferenzierung von gesellschaftlichen Funktionssphären gefolgt, die das Verdrängte, Defizitäre und Ausgeblendete, das nicht mehr im abgespaltenen Raum des Privaten befriedet und befriedigt werden kann, warenförmig und institutionell integrieren sollen. Das betrifft insbesondere den enorm gewachsenen Sozialarbeits- und Therapiesektor, das Gesundheitswesen sowie die Freizeit-, Unterhaltungs-, Kultur- und Tourismusindustrie. Schließlich aber ist auch die Ausweitung und Ausdifferenzierung des öffentlichen Verwaltungs-, Sicherheits- und Rechtsapparats sowie des sogenannten Umweltschutzes Ausdruck dieser Entwicklung.

Dieser Versuch, die Strukturdefizite mit einem immer höheren Aufwand immanent zu kompensieren, stößt aber nicht nur überall an die Grenzen der Finanzierbarkeit (wie sich gerade jetzt in der Zuspitzung der Krise deutlich zeigt). Selbst bei ausreichender monetärer Versorgung wäre die systemische Ausdifferenzierung kein Weg, die betreffenden Probleme zu lösen. Denn das Ausgeblendete wird selbst nur wieder auf der Systemebene abgebildet, und damit wiederholt und multipliziert sich der Ausblendungsprozess. Der Mangel wird also nicht behoben, sondern immer nur vorläufig zugeschüttet.[5] Hinzu kommt noch, daß die enorme Anzahl von aufeinander bezogenen und gleichzeitig gegeneinander verselbständigten Sphären bzw. »Subsystemen« selbst zum Funktionsproblem wird, weil diese sich zunehmend wechselseitig behindern und blockieren.[6] Mit anderen Worten, von der komplexitätsreduzierenden Magie des Geldes ist hier nicht mehr viel zu erkennen.

Zweitens aber resultiert auch auf der Ebene des gesellschaftlichen Produktions- und Distributionsprozesses selbst die hochkomplexe überregionale Arbeitsteilung keinesfalls aus den Sachnotwendigkeiten des hohen Produktivkraftniveaus. Die extrem ressourcenverschlingende Globalisierung der Stoffflüsse und Produktionsprozesse ist vielmehr einzig und allein Produkt der betriebswirtschaftlichen Logik. Längst ist ja bekannt, daß es auf dem heutigen Niveau der Produktivkraftentwicklung nicht nur möglich, sondern auch technisch sinnvoll wäre, die Produktionskreisläufe zu entzerren und zu dezentralisieren. Die Erwartungen, die in die neuen Informations-, Kommunikations- und Automatisierungstechnologien gesetzt wurden, waren in dieser Hinsicht oft geradezu euphorisch. Nicht wenige Soziologen und »Zukunftsforscher« begrüßten sie ausdrücklich in der Hoffnung, sie würden neben einer »Requalifizierung der Arbeit« auch eine Regionalisierung der Ökonomie nach sich ziehen.[7] Allerdings vergaßen sie dabei eine Kleinigkeit, nämlich die Zwangsgesetze des Marktes. »Dezentralisierung« heißt nämlich vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt aus gerade das Gegenteil davon, die Güter dort zu produzieren, wo sie benötigt werden. Es bedeutet vielmehr die Zerlegung der Produktionsvorgänge, die Auslagerung von Funktionen und die Organisation des bisher betrieblichen Prozesses im Weltmaßstab. Die verschiedenen Teilkomponenten eines Produkts entstehen also an weit auseinanderliegenden Orten, werden über aufwendige Transportwege in zentralen Montagefabriken wieder zusammengeführt und von dort als verkaufsfähige Ware wieder in die weitweiten Vertriebskanäle gelenkt.

Die betriebswirtschaftliche »Dezentralisierung« kommt daher vom Standpunkt der Regionen aus einer Hyperzentralisierung gleich. Zwar sind Megastandorte, wie etwa noch das Wolfsburger Werk des Volkswagenkonzerns, zunehmend dysfunktional, doch an ihre Stelle tritt ein den gesamten Globus umfassender virtueller Gesamtstandort. Die nach Kostengesichtspunkten weiträumig ausgegliederten arbeitsteiligen Funktionen werden im Hinblick auf den Verwertungszweck aufeinander abgestimmt und einem einzigen (und immer schnelleren) Fabriktakt unterworfen. Und da dies der Trend ist, dem letztlich alle Unternehmen folgen müssen, werden die weitweiten stofflichen Verflechtungen immer undurchschaubarer. Die einzelnen betriebswirtschaftlich gewebten Netze verschlingen sich ineinander zu einem unentwirrbaren Gestrüpp, durch das die Einzelunternehmen nur noch im Blindflug steuern können, gelenkt einzig und allein von Preisimpulsen, die wie flüchtige Funksignale auf ihrem Kosten- und Ertragsrechnungsradar aufblitzen. Sie haben nicht nur kein Interesse daran, die stofflichen Beziehungen eines einzelnen Produktionsvorgangs einschließlich alter vor- und nachgelagerten Effekte zu rekapitulieren, es ist auch unter den gegebenen Bedingungen beim bestem Willen und selbst mit Hilfe aufwendiger elektronischer Informations- und Kontrollsysteme kaum noch möglich.[8]

Drittens ist die warenförmige Gesellschaft nicht nur aus der Gesamtperspektive und also an sich selbst auf spezifisch eindimensionale Weise überkomplex, sie ist es auch und vor allem für die atomisierten Individuen, denen ihr eigener sozialer Zusammenhang als fremde, äußerliche Macht gegenübertritt. Wie sie sich darin zurechtfinden und ihr Leben organisieren, ist ihre Privatangelegenheit; und dies wird natürlich immer schwieriger, je mehr die »zweite Natur« zum undurchschaubaren Dschungel verwächst. Die wachsende Indifferenz der einzelnen gegenüber dem gesellschaftlichen Ganzen ist daher selbst ein Strukturphänomen. Wie und wo die Dinge entstanden sind, die die Menschen tagtäglich konsumieren, darf sie unter den gegebenen Bedingungen gar nicht allzu sehr bekümmern, wenn sie sich nicht im ständig abverlangten »Funktionieren« lähmen wollen. Selbst aber wo sie versuchen, einen Einblick zu gewinnen, müssen sie an der gesetzten Aufgabe verzweifeln. Denn erstens können sie allerhöchstens winzige Ausschnitte selbst einzelner stofflicher Bezüge überhaupt ansatzweise nachvollziehen, und zweitens sind die Möglichkeiten praktischer Einflussnahme höchst begrenzt.[9] Gerade der Individualisierungsschub der letzten Jahrzehnte, die Ausdünnung der lebensweltlichen Zusammenhänge und die Delegation der meisten lebenswichtigen Funktionen ans gesellschaftliche Aggregat hat den Druck auf die einzelnen ungeheuer verstärkt. Es gibt kein Entrinnen mehr vor dem ständigen Zwang zu kaufen und sich zu verkaufen. Zugleich bekommen die atomisierten Individuen aber auch immer direkter die Irrationalitäten der kapitalistischen Moderne buchstäblich am eigenen Leibe zu spüren, und müssen versuchen, diese in irgendeiner Weise individuell zu kompensieren: angefangen mit der täglichen Bewältigung des mörderischen Straßenverkehrs über die Sorge um die von Stress und allgegenwärtigen Giften bedrohte körperliche und psychische Gesundheit bis hin zur Kinderbetreuung inmitten einer strukturell kinderfeindlichen Welt, um nur ein paar Beispiele zu nennen. So kommt es zu dem Paradoxon, dass gerade der immer härter werdende Kampf mit den Widersinnigkeiten des monetär konstituierten und strukturierten Alltags es für die einzelnen unvorstellbar erscheinen lässt, ohne das gewohnte »komplexitätsreduzierende Mittel« auszukommen; und zwar obwohl sie zunehmend um Destruktivität des gesellschaftlichen Zusammenhangs und damit auch ihres eigenen Tuns wissen. Dies aber ist nicht einfach »falsche Wahrnehmung«, sondern Reflex einer fetischistischen Wirklichkeit.

Die angebliche Unverzichtbarkeit des Geldes aufgrund seiner »komplexitätsreduzierenden Leistung« entpuppt sich also als ziemlich fade Ideologie. Dagegen ist zu halten, dass es tatsächlich darauf ankommt, die systemspezifische Überkomplexität der kapitalistischen Gesellschaft, die Ausdruck ihrer Verrücktheit und Unhaltbarkeit ist, zu beseitigen. Doch dies läßt sich gerade nicht durch die gewaltsame Abbildung aller Probleme auf der Ebene des Systems erreichen, sondern nur durch die Aufhebung der warenförmigen Eindimensionalität und durch die radikale Umstülpung des stofflichen Vernetzungszusammenhangs. Anders ausgedrückt: Es geht nicht einfach um »Komplexitätsreduktion«, sondern vielmehr um die Entwicklung von neuen Formen gesellschaftlicher Komplexität, die wirkliche qualitative Vielfalt zulassen und zugleich nicht die blinde Herrschaft des sozialen Zusammenhangs über die Individuen implizieren. Was dies bedeuten kann, dazu möchte ich nun einige Überlegungen vorstellen.

3. Gesellschaftliche Produktivkraft und emanzipatorische Potentiale

Im Zeitalter des Fordismus mochte es noch so erscheinen, als sei die zentralisierte Massenproduktion auf Basis der Fließbandtechnologie und, damit einhergehend, die monostrukturelle Zurichtung ganzer Regionen conditio sine qua non hoher gesellschaftlicher Produktivität. Und dies kann sicher als einer der Gründe dafür gelten, weshalb sich die bisherige Kritik an der zentralisierten Produktionsweise im allgemeinen auch mit einer Kritik am erreichten Niveau der Produktivkraftentwicklung und Vergesellschaftung überhaupt verband. Eine Dezentralisierung der Lebenszusammenhänge war vor diesem Hintergrund konsequenterweise nur vorstellbar als Rückkehr zur bäuerlich-handwerklichen Lebensweise unter weitgehendem Verzicht auf moderne Naturwissenschaft und Technik. Der einfache »Trick« der insbesondere vor zehn bis fünfzehn Jahren ziemlich populären fundamentalökologischen und subsistenzwirtschaftlichen Position bestand also darin, das absurde Schreckensbild, das die Apologeten des Marktes immer an die Wand malten, positiv zu besetzen. Beide konträren Positionen transportieren aber ein grundlegendes Missverständnis. Sie setzen die kapitalistisch entwickelte Produktivkraft und die spezifische Gestalt der herrschenden Produktionsverhältnisse unmittelbar identisch und können daher beides nur entweder pauschal ablehnen oder affirmieren. Verstehen wir aber unter gesellschaftlicher Produktivkraft zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger als das jeweils historisch zu bestimmende allgemein menschliche Vermögen zur Naturaneignung, dann muss das Urteil differenzierter ausfallen. Natürlich bleibt die Zwangsform des Werts ihren Inhalten nicht äußerlich. Sie prägt nicht nur die technisch-organisatorischen Anwendungen der Naturwissenschaft, sondern konstituiert auch die naturwissenschaftliche Erkenntnisform selbst.[10] Und doch hat der Kapitalismus auch (und vielleicht gerade) auf dieser Ebene eine ganze Reihe von Potenzialen hervorgebracht, die nicht einfach nur Mittel von Herrschaft, Destruktion und Entfremdung sind. Hieran festzuhalten hat nichts mit teleologischer Fortschrittsgläubigkeit zu tun, sondern ist ein Appell dafür, unvoreingenommen zu untersuchen, welche dieser Potentiale jenseits der warenförmigen Zwangsgesetze in einem emanzipatorischen Sinne weiterentwickelt werden können und weiche abzulehnen sind.

Dabei dürfen natürlich nicht nur jene Techniken und naturwissenschaftliche Anwendungen in den Blick genommen werden, die sich im kapitalistischen Verwertungsprozess durchgesetzt haben, sondern viel stärker noch jene Alternativen, die sich nicht am Markt behaupten konnten oder an den Rand gedrängt wurden und werden. Exemplarisch möchte ich hier auf die Durchsetzung des Individualverkehrs einerseits und des fossilen Energieverbrauchs andererseits verweisen. Wenn die Eisenbahn zunehmend in die Defensive geriet und Ansätze zur Nutzung der Solarenergie, die es bereits im 19. Jahrhundert gab, nicht weitergeführt wurden, so kann dies nicht aus den Sachzwängen des »Techniksystems« erklärt werden, sondern nur aus der fetischistischen Konstituiertheit der warenförmigen Gesellschaft (in der idiotischen Vergötterung des Autos drückt sich dies besonders deutlich aus). Ein determiniertes Verhältnis zwischen der Produktivkraftentwicklung und ihrer Konkretisierung im stofflich-gesellschaftlichen Apparat besteht hier nicht. Vielmehr gab und gibt es fast immer unterschiedliche Anwendungsoptionen auf dem Niveau des jeweils gegebenen Erkenntnisstandes, zwischen denen entschieden werden kann – und das schließt natürlich auch die Möglichkeit ein, ein ganzes Spektrum von Optionen grundsätzlich zu verwerfen. Dieser »Entscheidungsprozess« vollzieht sich allerdings unter den Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft blind, nach den Gesetzmäßigkeiten der Konkurrenz und des Marktes. Deshalb konnten sich die vielen in den letzten Jahrzehnten entwickelten »Alternativkonzepte« im Bereich der Energieerzeugung, der Landwirtschaft, der Stadt- und Verkehrsplanung etc. auch nie in breitem Maßstab durchsetzen, denn sie sind allesamt nicht oder nur bedingt kompatibel mit der herrschenden Systemlogik. Dennoch oder vielmehr gerade deshalb verweisen sie aber ganz konkret auf unausgeschöpfte Potenzen der Produktivkraftanwendung.

Schließlich ist aber auch gerade in den letzten Jahrzehnten innerhalb und außerhalb der Naturwissenschaften eine Kritik des naturwissenschaftlichen Weitbildes herangewachsen, die überkommene Paradigmen und Sichtweisen über den Haufen geworfen hat und auch die Art und Weise des äußerlich-instrumentellen Naturbezugs überhaupt in Frage stellt. Die wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung hat also durchaus auch eine grundsätzliche Fähigkeit zur Selbstdistanz und Selbstreflexion hervorgebracht. Auch dies verweist auf die prinzipielle Möglichkeit, die moderne Naturwissenschaft aus dem Kontext der Warenform herauszulösen, und an dem Wissen, das sie zweifelsohne hervorgebracht hat, kritisch anzuknüpfen, ohne sich aber blind und bedingungslos ihrer Weltsicht auszuliefern. Das sollte nun allerdings keinen Anlass zur Selbstberuhigung abgeben, denn erstens dürfte die Selbstkritik der modernen Naturwissenschaft erst am Anfang stehen, und zweitens wird sie folgenlos bleiben, wenn sie sich nicht mit einer theoretischen und praktischen Kritik des gesellschaftlichen Formzusammenhangs verbindet.

4. Dezentralisierung der stofflich-gesellschaftlichen Bezüge

Grundsätzlich wären also in jeder Phase der kapitalistischen Entwicklung (auch in der fordistischen) jenseits der Verwertungszwänge »alternative« Anwendungen der gesellschaftlichen Produktivkraft zumindest denkbar gewesen. Mit der Durchsetzung der »mikroelektronischen Revolution« aber tritt der Widerspruch zwischen Produktivkraft und warenförmigen Produktionsverhältnissen auch auf der Erscheinungsebene offen zutage. So lässt sich insbesondere kein »technischer Sachzwang« mehr dafür ins Feld führen, dass die neu geschaffenen Potentiale der Dezentralisierung geradezu in ihr Gegenteil verkehrt werden. Dies musste sogar Otto Ullrich, einer der wichtigsten Vertreter der fundamentalökologischen Produktivkraftkritik, bereits 1979 in seinem Buch »Weltniveau« zugestehen: »Die Elemente dieser Technologie (der Mikroelektronik; N.T.) führen weder sachnotwendig in eine Sackgasse, noch zwingen sie zu einer zentralmachtorientierten Vergesellschaftung, da gerade sie auch in kleinen, dezentralen und autonomen Einheiten zu verwenden sind. Die Probleme, die mit dieser Technologie entstehen können, sind Anwendungsprobleme, und die Probleme, die mit ihr heute bei uns bestehen, beruhen ausschließlich auf den gesellschaftlichen Verhältnissen, vor allem auf der kapitalistisch-industriellen Produktionsweise«.[11]

Die Grundfrage lautet nun natürlich, welchen Charakter eine auf dem erreichten Produktivkraftniveau ansetzende nicht-warenförmige Dezentralisierung der stofflichen Bezüge haben könnte. Dabei lässt sich sicherlich an einigen im Rahmen der Alternativ- und Ökologie-Debatte entwickelten Ansätzen und Konzepten zu Bereichen wie Energieversorgung, Landwirtschaft, Verkehrswesen, Siedlungsarchitektur und dergleichen kritisch anknüpfen. Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang vor allem auch die eher pragmatisch orientierte angloamerikanische Sustainability-Debatte, die in den letzten Jahren zunehmend auch in Deutschland zur Kenntnis genommen wurde,[12] weil sie sich darum bemüht, die eher verstreuten Einzelerkenntnisse in Gesamtkonzeptionen der Stadt- und Regionalentwicklung zu integrieren.

Fast alle dieser Konzeptionen laufen darauf hinaus, einen großen oder sogar den größten Teil der »verbrauchsnahen« stofflichen Bezüge dezentral auf der Ebene der Region, der Stadt oder der näheren Wohnumgebung anzusiedeln – was natürlich eine speziell darauf abgestimmte überregionale Infrastruktur voraussetzt.[13] Wir hätten uns demnach den gesellschaftlichen Stoffwechselzusammenhang als ein gestaffeltes System aufeinanderbezogener lokaler, regionaler und überregionaler Kreisläufe vorzustellen, bildlich gesprochen vielleicht wie eine stufenförmig aufgebaute Pyramide, bei der die Dichte der stofflichen Verflechtungen mit zunehmender Höhe abnimmt (dies ganz im Gegensatz zum warenförmigen Gesellschaftsmoloch, dessen Struktur eher einer auf dem Kopf stehenden Pyramide entspricht). In der Sprache der Kybernetik könnte man eine solche Struktur auch als »verschachtelte Systemhierarchie« bezeichnen, bei der die einzelnen Bereiche »intern stark verknüpft« sind, während »der Vernetzungsgrad zwischen diesen Bereichen nur aus wenigen, ausgewählten Beziehungen« besteht.[14]

Die entscheidende qualitative Veränderung gegenüber der warenförmigen Megastruktur bestünde im gewaltigen Autonomiegewinn der Orte und Regionen, die wieder den direkten Zugriff auf wichtige Teile ihrer stofflichen Bezüge erlangten. Dabei darf allerdings Autonomie nicht mit Autarkie verwechselt werden. Vielmehr würde eine solche Form der Dezentralisierung sogar zwingend eine im Weltmaßstab ausdifferenzierte technologische, kommunikative, wissenschaftliche und organisatorische Vernetzung voraussetzen. Durch ihren abgestuften und nicht-zentralistischen Charakter würde diese jedoch keine universelle Angleichung der Lebensverhältnisse erzwingen, sondern wäre viel eher als logistische Basis für die Entwicklung wirklicher Vielfalt zu verstehen. Erst eine solche Vernetzung auf der Höhe des Produktivkraftniveaus würde den Kommunen und Regionen, ganz im Gegensatz zu subsistenzwirtschaftlichen Vorstellungen, die notwendigen Spiel- und Freiräume in der Gestaltung ihrer Lebenszusammenhänge eröffnen. Denn wenn die historisch geschaffenen produktiven Potenzen nicht ausgeschöpft und selbstreflexiv entfaltet, sondern einfach aufgegeben werden, schrumpft auch das Spektrum der Wahlmöglichkeiten, und damit kehrt auch die Enge prä-warenförmiger Formationen zurück.

Welche Funktionen im einzelnen auf weichen Ebenen der Vergesellschaftung anzusiedeln sind, lässt sich natürlich nicht im einzelnen präjudizieren. Dies wird in freien und allgemeinen Absprachen vereinbart werden müssen. Solche Vereinbarugen werden sich ihrerseits sicherlich an genauen Untersuchungen der stofflich-gesellschaftlichen Bezüge [15] (wie sie bisher nur in Ansätzen vorliegen) ebenso wie praktischen Erfahrungen mit der dezentralen Vernetzung orientieren. Dennoch aber werden sie keinesfalls technisch-neutralen Charakter haben können, sondern notwendigerweise auch bewusste Wertungen und Gewichtungen implizieren. Dementsprechend wird eine radikale Umstülpung des gesellschaftlichen Stoffwechselzusammenhangs zunächst einmal das großangelegte »Ausmisten« von Produktionsprozessen und sonstigen stofflichen Bezügen, die nur dem kapitalistischen Formzusammenhang geschuldet sind, bedeuten. Und dies schließt natürlich auch ein (selbst)kritisches Durchleuchten der warenförmig konstituierten Bedürfnisstruktur ein.

Ohne diesbezüglich allzu viel vorwegzunehmen, kann festgehalten werden, dass es technisch längst möglich ist, die meisten der direkten Gebrauchsgüter vor Ort zu produzieren, wenn die entsprechenden Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Den Beweis dafür liefert die flexible Automation, wie sie in Kernbereichen der kapitalistischen Warenproduktion gang und gäbe ist. Die elektronisch gesteuerten Roboter, Wergzeugmaschinen, Lasergeräte etc., die nicht mehr starr auf bestimmte standardisierte Arbeitsgänge festgelegt sind, lassen sich für die unterschiedlichsten Operationen und Produktionsvorgänge programmieren. Immer mehr wird die Software, d.h. das beliebig reproduzierbare und ohne Transportaufwand überall verfügbare Wissen, zum entscheidenden Faktor. Wie weit diese Entwicklung gediehen ist, zeigt sich am wachsenden Einsatz von Industrierobotern auch in mittelständischen Betrieben. »Inzwischen lohnt sich die Automation selbst in der Kleinserienfertigung bis runter zur Losgröße eins«, lautet die Quintessenzeines Berichts der Wirtschaftswoche (19.4.94) zur Hannover Messe 1994. Die dezentralisierte Nutzung der neuen Technologien zur Herstellung vielfältiger Gebrauchsgüter für die jeweilige Region oder Stadt läge also in der Logik der Sache.[16]

Voraussetzung dafür wäre eine gut entwickelte und den Verhältnissen angepasste Verkehrs- und Kommunikationsstruktur sowie, auf übergreifender Ebene der Vergesellschaftung, ein gestaffeltes System vorgelagerter Produktionsaggregate, die nicht dezentralisiert werden können oder sollen. Das betrifft wohl vor allem die Produktion von Produktionsmitteln, aber auch den größten Teil der Grundstoffindustrie und eine ganze Reihe von Vorprodukten. So dürfte es wohl kaum sinnvoll sein, wenn jede Region oder Kommune ihre eigene Fabrik für Industrieroboter oder Traktoren unterhielte, ebenso wenig wie ein eigenes Stahlwerk oder eine auf Eigenbedarf orientierte Kunststoff- oder Chemieproduktion. Auch die Herstellung von großen Transportmitteln oder Spezialprodukten sowie von bestimmten standardisierten Massenprodukten (wie etwa Solarzellen oder Computerchips) ist wohl eher auf höheren Ebenen der gesellschaftlichen Vernetzung anzusiedeln.

Es kann kaum unterschätzt werden, welche Implikationen eine solche radikale Umstülpung des stofflichen Zusammenhangs hätte. Eine wichtige Konsequenz wäre beispielsweise die völlige Umstrukturierung des Verkehrswesens. Nicht nur entfiele der größte Teil des Transportbedarfs, der einzig und allein auf die Globalisierung der verwertungsorientierten Produktionsaggregate und auf den weitweiten Vertrieb standardisierter Massenwaren zurückgeht [17], auch das absolute Primat der Geschwindigkeit wäre gebrochen. Wenn heute beim Transport eines Fertigungsmaterials von Punkt A nach Punkt B jede Minute zählt und deshalb Berge und Täler eingeebnet werden, um sie LKW- und ICE-gerecht zu gestalten, dann entspringt dies keiner stofflichen Notwendigkeit. Hierin drückt sich vielmehr der herrschende Zwang zur optimalen Kapitalverwertung aus, der sich im übrigen so tief ins Bewusstsein der Menschen eingegraben hat, dass selbst noch in der »Freizeit« jede Minute zählt. Umgekehrt braucht nun freilich nicht die Langsamkeit zum neuen Dogma erhoben zu werden. Vielmehr ginge es darum, sach- und situationsadäquate Formen der Fortbewegung zu ermöglichen. So spricht beispielsweise nichts Prinzipielles gegen bequemes und auch schnelles Zugfahren, doch ist es idiotisch, wegen des »Gewinns« von zwei oder drei Stunden ganze Landschaften zu zerstören.

Eine Umstrukturierung des Verkehrs müsste schon aus ökologischen Gründen die radikale Reduzierung oder sogar völlige Beseitigung des Auto- und Flugzeugverkehrs einschließen, einhergehend mit dem Ausbau des Bahnnetzes und anderer unproblematischer Formen des Gemeinschaftsverkehrs.[18] Vom Standpunkt des warenförmigen Bewusstseins aus mag dies als Eingriff in die individuelle (hier ganz buchstäblich zu nehmende) Autonomie erscheinen. Doch tatsächlich brächte es neben der notwendigen Entlastung der Biosphäre einen geradezu unschätzbaren Gewinn an Lebensqualität, führt man sich nur einmal die Unwirtlichkeit der autogesellschaftlich zugerichteten Städte und Landschaften vor Auge. Der allgemeine Verzicht auf das Auto müsste ja keinesfalls das Ende der individuellen Bewegungsmöglichkeit bedeuten, allerdings würde diese nicht mehr abstrakt als Wert an sich gelten (als »freie Fahrt für freie Bürger«, die ja bekanntlich im Stau endet), sondern wäre als ein Aspekt in integrierten Gesamtkonzeptionen von Regional-, Stadt- und Verkehrsentwicklung zu berücksichtigen.

Wenn nun der überregionale Transport von Produkten in einer postmonetären dezentral vernetzten Welt sicherlich auf ein Mindestmaß reduziert werden kann, so dürfte andererseits der Austausch von Wissen und Informationen eine durchaus wichtige Rolle spielen. Schon Keynes hat sich darüber mokiert, dass dänische Kekse unter großem Aufwand über den Atlantischen Ozean in die USA geschafft werden, während zugleich amerikanische Backwaren in umgekehrter Richtung unterwegs sind. Warum, so fragt er (allerdings immer das Bild weitgehend geschlossener Volkswirtschaften vor Augen), tauschen Dänen und US-Amerikaner nicht einfach die Rezepte aus und backen die verschiedenen Kekssorten vor Ort? Keynes verdrängt allerdings, dass im Marktsystem ein Wissensvorsprung immer auch ein Konkurrenzvorteil ist, den niemand aus der Hand geben wird – obwohl dies aufs stoffliche Ganze gesehen rationeller wäre. Und selbst wenn »Rezepte« ausgetauscht werden, geschieht dies natürlich immer nur auf dem Wege monetärer Verrechnung unter Ausschluss aller Nicht-Zahlungsfähigen. So wird selbst noch das Wissen, das gesellschaftliches Produkt schlechthin ist und seinem Charakter nach individuell gar nicht zugerechnet werden kann, durch das Nadelöhr des Geldes hindurch gepresst. Erst die Aufhebung der absurden Kategorie des »geistigen Eigentums« würde den allseitigen und freien Austausch von Wissen und Erfahrungen und eine überregionale kooperative Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Potenzen ermöglichen. Ein Zwang zur ständigen eindimensionalen Produktivitätsentwicklung und zu einer vereinheitlichten Zurichtung der Welt wäre ohne die Marktvermittlung aber nicht gesetzt. Die dezentralen Einheiten könnten dann vielmehr selektiv auf bestimmte Ausschnitte des »Weltwissens« zugreifen und in einer ihrem lokalen und regionalen Kontext adäquaten Weise nutzen und fortentwickeln. Vielfalt und Verschiedenheit ständen so keinesfalls im Gegensatz zu einer allgemeinen Verfügbarkeit des globalen Wissens und Erfahrungsschatzes.

5. Die unaufgelösten Widersprüche der marxistischen Planungsdebatte

Sind Gedanken über eine Dezentralisierung des gesellschaftlichen Stoffwechselzusammenhangs heute durchaus salonfähig, so ist der alte emanzipatorische Anspruch, einer freien und allgemeinen Absprache über die gesellschaftlichen Angelegenheiten ohne die Dazwischenkunft des Marktes gewaltig in Verruf geraten. Nicht nur der Zusammenbruch des sogenannten Realsozialismus, sondern ebenso das Versagen der keynesianischen Interventionspolitik im Westen und viele Einzelbeispiele, wie etwa die unsägliche EU-Agrarpolitik, gelten als eindrucksvolle Beweise für die Unmöglichkeit gesellschaftlicher bzw. ökonomischer Planung. Nun lässt sich dagegen zunächst einmal einwenden, dass sich der Markt als angeblich »rationale Steuerungsinstanz« – milde ausgedrückt – ja auch nicht gerade bewährt hat. Angesichts der Verwüstungen, die er anrichtet, müssen die Forderungen nach politisch-staatlicher Regulation (etwa in Gestalt einer »ökologischen Steuerreform«) geradezu in Schutz genommen werden. Doch der Streit zwischen neoliberalen Marktanbetern und neokeynesianischen Regulationsaposteln bleibt in unauflöslichen Widersprüchen verwickelt, denn er überschreitet nie den – als selbstverständlich vorausgesetzten -gemeinsamen Bezugsrahmen des warenproduzierenden Systems. Und nicht zufällig handelt es sich dabei um die gleichen Widersprüche, an denen auch alle bisherigen Planungsversuche gescheitert sind.

Die bewusste Steuerung des seinem Wesen nach bewusstlosen Prozesses der Selbstbewegung des Geldes ist nämlich ein Widerspruch in sich, und dieser machte sich sowohl in den theoretischen Planungskonzeptionen als auch insbesondere in der Planungspraxis immer wieder schmerzhaft bemerkbar. Es würde hier zu weit führen, dem ausführlich nachzugehen, [19] doch sollen zumindest die beiden zentralen Grundprobleme kurz beleuchtet werden, mit denen sich die gesamte marxistische Planungsdebatte von Anfang an herumschlug, [20] ohne sie je befriedigend lösen zu können: Erstens das Problem des »Herunterrechnens« von »Arbeitsquanten« auf das einzelne Produkt und zweitens die Frage, nach der Auflösung des als selbstverständlich vorausgesetzten Gegensatzes von Produzenten und Konsumenten. Das Problem des »Herunterrechnens« fand vor allem über den sogenannten »Anti-Dühring« von Friedrich Engels Eingang in die marxistische Planungsdebatte. Fast alle späteren marxistischen Sozialismuskonzeptionen haben sich an diese Schrift angelehnt. Engels versucht hier, die Einwände tatsächlicher und potentieller Planungsgegner, die auf der Unverzichtbarkeit von Arbeitswert und Geld beharren, weil nur darüber eine exakte Zurechnung von Leistungseinheiten auf das einzelne Produkt und den einzelnen Produzenten bzw. Arbeiter möglich sei, mit den folgenden berühmt gewordenen und tausendfach zitierten Sätzen vom Tisch zu fegen: »Die Gesellschaft kann einfach berechnen, wie viel Arbeitsstunden in einer Dampfmaschine, einem Hektoliter Weizen der letzten Ernte usw. stecken. Es kann ihr also nicht einfallen, die in den Produkten niedergelegten Arbeitsquanten, die sie alsdann direkt und absolut kennt, noch fernerhin in einem nur relativen, schwankenden, unzulänglichen, früher als Notbehelf unvermeidlichen Maß, in einem dritten Produkt auszudrücken, und nicht in ihrem natürlichen, angemessenen absoluten Maß, der Zeit… Die Gesellschaft schreibt also unter obiger Voraussetzung den Produkten keinen Wert zu.«[21] Diese Vorstellung ist nicht nur im eher technischen Sinne von Planung naiv zu nennen (worauf ich gleich noch eingehen werde), sie fällt vor allem auch geradezu kläglich hinter das Reflexionsniveau der von Marx geleisteten (wenn auch in seinem Werk nicht durchgängigen) Wert- und Warenformkritik zurück. Denn wenn der Wert als die Darstellung abstrakter Arbeit an einem Produkt gefasst werden kann, dann zielt Engels’ Vorstellung keinesfalls auf eine Aufhebung des Werts, sondern lediglich auf die angeblich »exaktere« Berechnung der Wertsumme. Seine Kritik richtet sich also nicht gegen den über die Wertform vollzogenen Abstraktionsvorgang als solchen, sondern dagegen, dass der Wert die ihm zukommende Funktion nur »unzulänglich« verrichte.[22] Was Engels dagegensetzt, ist nichts anderes als eben die paradoxe Forderung, die Gesellschaft solle den bisher bewusstlos hinter ihrem Rücken sich durchsetzenden und sie blind beherrschenden Prozess der Wertbildung »bewusst« nachvollziehen.

Der hier zunächst auf der grundsätzlichen Ebene der gesellschaftlichen Form verortete Selbstwiderspruch von Engels’ Vorstellung tritt natürlich auch auf der Ebene der gesellschaftlichen und ökonomischen Praxis in Erscheinung. Hier stellt er sich zunächst als eher funktionelles Problem dar, nämlich als Schwierigkeit, das »Herunterrechnen« praktisch zu bewerkstelligen. Zweifellos bedarf es dazu einer Planungszentrale, auch wenn dies insbesondere von den rätekommunistischen Anhängern der Planung auf Basis von »Arbeitsquanten« vehement geleugnet wurde.[23] Denn es muss ja eine Instanz geben, bei der die gesamten Informationen zusammenlaufen, und die den einheitlichen Maßstab definiert, an dem sich die einzelnen Produkte zu messen haben. Es liegt in der Logik der Sache, dass sich diese Instanz über die Gesellschaft erhebt und ihr als sie beherrschende, scheinbar äußerliche Macht gegenübertritt, denn sie übernimmt hier ja Funktionen, die in einer »normalen Warenproduktion« von Geld und Markt erfüllt werden. Zwar erhalten die Waren auf dem Markt, soweit ist Engels und Co. Recht zu geben, in der Tat nicht einfach ihren Wert zugeschrieben, d.h. der Preis drückt nicht die in der Produktion der einzelnen Ware aufgewandte »Arbeitsmenge« aus. Vielmehr ist er das Ergebnis eines komplizierten Prozesses, in dem sich das Produktivitätsgefälle zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Produktionszweigen und Anlagesphären des Kapitals reflektiert (Ausgleich der Profitraten) und in dem auch Angebots- und Nachfrageschwankungen sowie andere Marktfaktoren eine Rolle spielen (etwa Währungsverhältnisse).[24] Doch zeugt dies nicht von einem immanenten »Versagen des Marktes« oder der warenförmigen Vermittlung überhaupt, vielmehr ist es die einzige Weise, in der sich der Wert als gesellschaftlicher Gravitationspunkt überhaupt durchsetzen kann.[25] Eine Zentrale, die versucht, dies nicht nur nachzuvollziehen, sondern auch noch die »richtigen« Werte der Einzelprodukte zu errechnen, muss notwendigerweise scheitern. Und dies nicht einfach deshalb, weil sie nur über unvollständige Informationen verfügt (etwa, weil die unteren Instanzen »mauern«) oder technisch nicht in der Lage ist, alle Informationen zu verarbeiten (geschweige denn Entscheidungen zu treffen), sondern schon aus logischen Gründen.

Dies hat vor allem der Ne-Ricardianer Piero Sraffa [26] theoretisch schlüssig nachgewiesen, freilich ohne die Warenform selbst in Frage zu stellen. Er machte die logische Unmöglichkeit einer Zurechnung von »Arbeitsquanten« insbesondere am Problem der Kuppelproduktion [27] deutlich: »Bei Kuppelprodukten gibt es nämlich kein feststehendes Kriterium für die Aufteilung der Arbeit unter die individuellen Erzeugnisse. Es scheint tatsächlich zweifelhaft, ob es sinnvoll ist, von einer separaten Menge an Arbeit zu sprechen, die in der Produktion einer unter mehreren im Verbund erzeugten Waren verausgabt wurde« [28] Nun ist aber diese Art der Produktion in einer modernen Ökonomie der Normalfall, vor allem dann, wenn man, wie Sraffa es konsequenterweise tut, alle Prozesse, in denen fixes Kapital (d.h. langlebige Produktionsmittel) angewandt wird, darunter fasst.[29]

Der Versuch des »Herunterrechnens« führt sich aber endgültig ad absurdum, wenn wir die extreme Abhängigkeit der modernen Produktionsprozesse von der gesellschaftlichen Infrastruktur, von Vorleistungen und Nachsorge jeglicher Art (Kommunikations- und Verkehrswesen, Forschung, Bildung, Gesundheitssystem etc.) und schließlch die wachsende Bedeutung des »immateriellen Faktors« Wissen in Rechnung stellen. Es ist logisch völlig unmöglich, nachzuvollziehen, welche die Anteile dieses jeglicher Produktion vorausgesetzten gesellschaftlichen Aggregats in eine einzelne Ware »eingehen«. Eines lässt sich aber ohne weiteres feststellen: Das Verhältnis zwischen der direkten Arbeit am individuellen Produkt und den allgemeinen Voraussetzungen dieser Arbeit hat sich in extremem Maße zugunsten der letzteren verschoben. Der Verzicht auf ein »Herunterrechnen« wäre also nicht Ausdruck ideologischer Verblendung, sondern im Gegenteil dem Stand der Vergesellschaftung adäquat. Denn die stofflichen Bezüge sind schon viel zu sehr ineinander verwoben, um sie noch durch die bornierte Form von Ware und Geld zu zwingen. Und dies gilt umso mehr, wenn der stofflich-gesellschaftliche Zusammenhang wie oben skizziert nach dem Prinzip abgestufter und miteinander vernetzter Kreisläufe organisiert wird. Denn alle »kybernetischen Grundregeln« (wie etwa Mehrfachnutzung, Recycling, Symbiose unter Nutzung kleinräumiger Diversität etc.) [30] stehen im klaren Widerspruch zu einer funktionalistischen Zerlegung in zurechenbare »Einzelleistungen«.

Worin bestand nun das zweite Grundproblem, das die marxistische Planungsdebatte von ihren Anfängen bis zur »Perestroika« ungelöst hin- und herwälzte? Es galt als ausgemacht, dass wie etwa Karl Korsch schreibt, »auch nach der Ausschaltung des kapitalistischen Privateigentums aus der Produktion sich im Wirtschaftsleben einer menschlichen Gemeinschaft zweierlei Interessen gegenüberstehen: das Interesse der produzierenden Arbeiter jedes einzelnen Produktionszweiges einerseits, das Interesse der Gesamtheit der übrigen Produzenten und Konsumenten andererseits. Kürzer ausgedrückt: der Widerstreit der Interessen der Produzenten und Konsumenten«.[31] Jede Seite versuche, möglichst viel vom gesellschaftlichen Wertkuchen abzuschneiden und die jeweils andere zu übervorteilen. Seien die »Konsumenten« an guter Produktqualität und an niedrigen Preisen interessiert, so wollten die »Produzenten« den Arbeitseinsatz minimieren und hohe Einkommen erzielen.

Es mag zunächst einmal so erscheinen, als sei dies notwendiges Ergebnis der fortgeschrittenen gesellschaftlichen Arbeitsteilung und damit also unter Bedingungen entwickelter Produktivkraft unaufhebbar. Doch die Tatsache, dass nicht alle Menschen gleichzeitig oder im gleichmäßigen Wechsel alle Positionen des gesellschaftlichen Aggregats einnehmen können, konstituiert von sich aus noch keinen Interessengegensatz. Dies ist nur dann der Fall, wenn die gesellschaftliche Kooperation nicht direkt (über Absprachen etc.) hergestellt, sondern quasi-automatisch über den Zwang des Geld-Verdienens-Müssens vermittelt wird. Es ist nur allzu verständlich, wenn die einzelnen diesem abstrakten Zwang ausweichen, wo immer sie können und möglichst wenig »Leistung« für möglichst viel Geld abliefern wollen. Umgekehrt verhält es sich natürlich, wenn sie nach der Arbeit in die Rolle des Käufers schlüpfen, und nun einen möglichst hohen Anteil an der bunten Warenwelt ergattern möchten. Dieser mit der Warenform gesetzte grundsätzliche Widerstreit der Partikularinteressen, der sich auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Gesellschaft reproduziert und sich in einer allgemeinen »Abzockermentalität« ausdrückt, wird auch durch die Rotation zwischen unterschiedlichen Positionen nicht aufgehoben (wie dies ja oft genug der Fall ist). Denn ob die Geldsubjekte es wollen oder nicht, diese Positionen sind immer schon strukturell als partikulare Interessenstandpunkte definiert.

In der marxistischen Planungsdebatte lassen sich zwei grundsätzliche Ansätze ausmachen, den zumindest für die »sozialistische Übergangsperiode« als unaufhebbar gesetzten (und innerhalb der Warenform ja tatsächlich auch unaufhebbaren) Gegensatz von Produzenten und Konsumenten zu überbrücken. Der erste, etatistische Ansatz wies dem Staat die Aufgabe zu, das Preis- und Lohngefüge zu regulieren und so für einen Ausgleich der Interessen zu sorgen. Dem stand als zweiter Ansatz die (etwa von Korsch vertretene) Vorstellung gegenüber, Produzenten und Konsumenten sollten sich in Form von Räten auf allen gesellschaftlichen Ebenen über das Was und Wie der Produktion und die Austauschbeziehungen selbst verständigen. Beide Richtungen, die staatssozialistische und die rätekommunistische, entpuppen sich aber bei näherem Hinsehen als zwei Varianten ein und desselben. In beiden geht es darum, die Funktionen, die in einer »normalen« warenproduzierenden Gesellschaft die freie Marktkonkurrenz erfüllt, institutionell zu besetzen, ohne aber die zugrundeliegende Basisstruktur anzutasten. Ein abstrakter Zwang wird also durch einen anderen ersetzt. Den Partikularinteressen tritt an Stelle der blinden unerbittlichen Marktgesetze nun die abstrakte Allgemeinheitszumutung durch politische Institutionen gegenüber.

Ob es sich bei den entsprechenden Institutionen um Räte oder um staatliche Verwaltungsorgane handelt, ist letztlich sekundär, [32] denn in jedem Fall stehen die Vereinbarungen oder Verfügungen den partikularistisch konstituierten Alltagsanforderungen und -interessen äußerlich gegenüber. Die praktizierte Gleichgültigkeit der einzelnen gegenüber dem Gesamtzusammenhang ist nicht ausgehebelt, und daher verlagert sich die Konkurrenz auf die politisch-administrative Ebene oder erscheint als bauernschlaue Auslegung und Umgehung der Plannormen wieder. Die Praxis im verblichenen Staatssozialismus – aber auch im stärker am Rätegedanken anknüpfenden Selbstverwaltungssozialismus Jugoslawiens – hat dies hinlänglich demonstriert.[33]

6. Kommunitäre Vernetzung und gesellschaftliche Planung

Der strukturelle Gegensatz der warenförmig konstituierten Partikularinteressen lässt sich also nicht institutionell oder sozialtechnisch überbrücken. Seine Aufhebung ist notwendige Bedingung dafür, den gesellschaftlichen Stoffwechselzusammenhang bewusst durch freie Absprachen und Vereinbarungen zu regeln. Eine dezentralisierte Planung kann daher weder von den einzelnen in ihrer Unmittelbarkeit als »Konsumenten«, noch von den Einzelbetrieben als »unmittelbaren Produzenten« ausgehen. Bezugspunkt und zentraler Aktor eines Systems gesellschaftlicher Kommunikation und Planung muss vielmehr die Kommune sein. Erstens können dort viele der alltagsnahen Bezüge per direkter Absprache geregelt werden. Das betrifft alle Tätigkeiten im Bereich des direkten menschlichen Zusammenlebens, die heute entweder an die abgespaltene Sphäre des Privaten (und damit überwiegend an die Frauen) delegiert oder in der institutionell versachlichten Form der Sozial-, Pflege- und Erziehungsarbeit abgeleistet werden, aber auch Teile der Nahrungsmittel- und Gebrauchsgüterproduktion sowie der Energieversorgung. Der unmittelbare Lebenszusammenhang würde so wieder in den direkten Zugriff der vergesellschafteten Individuen rücken. Lebensweltliche Bezüge und gesellschaftliche Tätigkeiten, die heute in getrennte Sphären zerfallen (Arbeit und Freizeit, Öffentlichkeit und Privatheit etc.), würden sich in einem solchen Kontext fast zwangsläufig verzahnen.[34] Und damit wäre auch der Boden für eine Aufhebung des hierarchischen Geschlechterverhältnisses bereitet.

Diese lokalen Kommunen wären ihrerseits in verschiedene abgestufte Kooperationszusammenhänge eingebunden, zunächst einmal auf der Ebene der Region, dann aber auch im größeren Maßstab. Das heißt, sie würden Aufgaben und Funktionen im Rahmen dieser stofflichen Vernetzung übernehmen, und im Gegenzug die benötigten Vorleistungen, Produkte, Maschinen etc. erhalten. Über Aufgabenverteilung und Prioritäten in der Produktion, über den Umgang mit Ressourcen und dergleichen müssten sich die Kommunen intern und auf den verschiedenen Stufen der Kooperation einigen. Hier könnte im übrigen, auf veränderter Grundlage, der Rätegedanken wieder ins Spiel kommen. Die Netzwerkstruktur wäre dabei ein wirksames Mittel gegen mögliche Hierarchiebildungen. Wenn jede Kommune neben ihren eigenen unmittelbaren Angelegenheiten in selektiver Form auch übergreifende Funktionen übernimmt, bildet sich auch keine abgehobene Ebene von Institutionen (nach dem Muster des Staatsapparats) heraus, die sich gegenüber der Gesellschaft verselbständigen und Herrschaftsansprüche erheben könnten. Selbstverständlich wird es dabei auch weiterhin zu Konflikten kommen. Völlig falsch und sogar gefährlich, weil im schlechtesten Sinne utopisch, wäre die Vorstellung der nach-warenförmigen Gesellschaft als einem Zustand prästabilierter Harmonie. Die Konflikte hätten aber einen grundsätzlich anderen Charakter als heutige Konkurrenzkämpfe um Marktanteile, monetäre Einkommen und gesellschaftliche Machtpositionen. Es wären direkte Auseinandersetzungen um die Gestaltung des gesellschaftlichen Stoffwechselzusammenhangs, die nicht von den Zwangsgesetzen einer »zweiten Natur« überlagert würden.

Was nun die eher technische Seite der gesellschaftlichen Absprachen betrifft, so wäre es wie gesagt ein Widerspruch in sich, ein System gestaffelter Stoffwechselkreisläufe funktionalistisch zerlegen und zentralistisch nach dem Prinzip des »Herunterrechnens« steuern zu wollen. Vielmehr würde eine solche dezentralisierte Vernetzungsstruktur konsequenterweise auch »kybernetisch-systemische« Formen der Planung und Steuerung erfordern. Was könnte dies bedeuten? Die neuere Systemforschung und Kybernetik insistiert bekanntlich völlig zu Recht darauf, dass niemals alle Faktoren Wirkungsgrößen und (häufig nichtlinearen) Wechselwirkungen eines Systems bekannt sein können. Es ist daher überhaupt nicht möglich, größere Zusammenhänge und Prozesse bis in alle Details hinein zu durchdringen und vorherzubestimmen. Stattdessen vertraut sie auf die prinzipielle »Selbstregulationsfähigkeit« der verschiedenen ineinander verschachtelten Systeme und Subsysteme und begreift Planung bestenfalls (nämlich soweit dieser Anspruch nicht überhaupt fallengelassen wird) als regulierendes Eingreifen mit Hilfe von Regelgrößen. So schreibt etwa Frederic Vester in seinem populären Buch Neuland des Denkens: »Niemals wird ein übergeordneter geschlossener Master-Computer das Ganze sinnvoll leiten können, sondern dies vermag nur ein offenes, jederzeit abfragbares, überschaubares Modell, welches nicht nur als Ganzes, sondern auch in seinen Teilbereichen auf die Einhaltung gewisser kybernetischer Grundregein überprüft und bewertet werden kann« (S. 80). Nach der Beschreibung dieser oben kurz erwähnten »Grundregeln« fährt er fort: »Ohne Vollständigkeit zu beanspruchen, garantieren doch schon diese acht Grundregeln weitgehend die so notwendige Selbstregulation eines Systems bei minimalem Energiedurchfluss und Materialverbrauch. Diese Selbstregulation unterscheidet sich grundsätzlich on einem technokratischen Denken und damit auch von der rein technischen Kybernetik der Regeltechnik, die … ihre Führungsgrößen nicht aus dem System selbst nimmt, sondern von außen auf das System einwirken lässt« (S. 86). Mehr als fragwürdig ist natürlich der systemtheoretische Begriff der »Selbstregulation«, der allgemeingültige Regeln beschreiben will, die für Einzeller ebenso gelten sollen wie für gesellschaftliche Zusammenhänge.[35] Indem er die Differenz zwischen Natur und Gesellschaft zugunsten einer Naturalisierung des Sozialen auslöscht, affirmiert er völlig unreflektiert die blinde Prozesshaftigkeit der warenförmigen »zweiten Natur« und nimmt sie aus der Schusslinie der Kritik. »Selbstregulation« setzt immer die Existenz einer übergeordneten systemischen Funktionslogik voraus, die nicht bewusst beeinflusst oder gar aufgehoben werden kann und der sich die einzelnen »Subsysteme« unterwerfen müssen. Deren »Gestaltungsmöglichkeit« bezieht sich dann letztlich nur auf die Art und Weise ihres Funktionierens im Rahmen der Systemimperative, denen sie sich aber grundsätzlich unterwerfen müssen. Es bedarf nicht viel Phantasie, hierin die invisible hand des Marktes zu erkennen. Nicht zufällig sind die allermeisten System- und Chaostheoretiker vehemente Anhänger der Marktwirtschaft. Der Gedanke einer Planung im Sinne der bewussten Auseinandersetzung über gesellschaftliche Ziele, Qualitäten, Schwerpunktsetzungen etc. liegt ihnen völlig fern. Im Gegenteil erscheint vielmehr die »Entdeckung des Chaos« im allgemeinen als weiterer Beleg für die Unmöglichkeit von Planung. Soweit überhaupt von Planung die Rede ist, wie etwa bei Vester, bezieht sich dies immer schon auf Planung innerhalb der warenförmigen Systemlogik (etwa in Gestalt einer »kybernetischen Unternehmensplanung«), und die ist strukturell technokratisch, auch wenn sie sich kybernetischer Regelverfahren bedient.

Bewusste gesellschaftliche Absprachen wären natürlich das genaue Gegenteil eines solchen quasi-automatischen Prozesses der allgemeinen Gleichgewichtsbildung. Dennoch könnten einige der in der Kybernetik gewonnenen Erkenntnisse über enthierarchisierte und vernetzte »Steuerung« zumindest partiell in einem emanzipatorischen Sinne fruchtbar gemacht werden. Ich denke dabei nicht nur an die Einführung ökologischer Kreislaufkonzeptionen und »kybernetischer Grundregeln« (Nutzung regenerativer Energiequellen, kombinierte und dezentralisierte landwirtschaftlich-industrielle Kreisläufe etc.) im Bereich der menschlichen Naturaneignung. Auch in den Planungsprozessen selbst könnten kybernetische Verfahren und Methoden zur Anwendung kommen. So lassen sich zum Beispiel anhand von einfachen Modellen und mit Hilfe von darauf aufbauenden Szenarien meist bessere Prognosen und damit auch Planungen erstellen als auf der Basis riesiger und daher unüberschaubarer Datenmengen.[36] Sie machen nicht nur größere Wirkungszusammenhänge durchschaubar, sondern ermöglichen damit zugleich die allgemeine Teilnahme an der gesellschaftlichen Planung jenseits allen sogenannten Expertentums.[37]

Die wichtigste Form nicht-monetärer »Komplexitätsreduktion« wäre aber schon der gestaffelt-dezentralisierte Aufbau des gesellschaftlichen Stoffwechselzusammenhangs selbst. Wenn die Verflechtungen auf den verschiedenen Ebenen der Kooperation in ihrer Grundstruktur allgemein nachvollziehbar sind, dann können sie auch zum Gegenstand allgemeiner Mitsprache gemacht werden. Die Entscheidungs- und Planungsstrukturen wären dabei im gleichen Maße in sich abzustufen, wie der stoffliche Zusammenhang. So würde es beispielsweise auf globaler und kontinentaler Ebene völlig genügen, periodisch allgemeine Absprachen über Stoff- und Energiedurchsatz, über die Verteilung bestimmter knapper Ressourcen, sowie das Verkehrs- und Kommunikationsnetz und dergleichen zu treffen. Auf regionaler und supraregionaler Ebene dagegen werden sicherlich weitaus mehr und weiterreichende Absprachen notwendig sein. Grundsätzlich aber könnte gelten, dass die einzelnen als Stoffkreisläufe konzipierten Einheiten und Bereiche ihren hohen inneren Verflechtungsgrad gemäß über die meisten Angelegenheiten selbst entscheiden, wobei sie zugleich natürlich den Absprachen verpflichtet wären, die sie gemeinsam mit Anderen über die wechselseitigen Beziehungen und Vernetzungen treffen.

Was dies im einzelnen bedeuten kann, wäre sicherlich je nach Bereich und Funktionszusammenhang unterschiedlich. So wird etwa eine kommunale Basiseinheit niemandem Rechenschaft über ihre landwirtschaftlichen Anbaumethoden schuldig sein, solange sie dabei nicht bestimmte ökologische Grundregeln verletzt und negative Effekte externalisiert. Wohl aber wird sie sich mit anderen Kommunen, sagen wir auf regionaler Ebene, darüber einigen müssen, wie viele und welche landwirtschaftliche Maschinen im nächsten Jahr produziert werden sollen und wer welchen Beitrag dazu leistet. Dabei brauchen freilich in dieser Entscheidung nicht alle technischen Details berücksichtigt werden, sondern es genügt die Kenntnis wichtiger Eckdaten und Proportionen, die im Zusammenhang mit weiteren Optionen und Möglichkeiten der stofflichen Planung diskutiert werden müssten. Im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen wiederum könnten dann die betreffenden Fabrikationsstätten selbst entscheiden, wie die Produktionsabläufe (in diesem Fall für Landmaschinen) organisiert werden. Eine solche Dezentralisierung von Zuständigkeiten und Zugriffsmöglichkeiten ist das Gegenteil einer »Selbstregulation« im Sinne der Systemtheorie, auch wenn sie formal daran erinnern mag. Sie wäre vielmehr ein Weg, auf dem die Orte und Regionen ihr ein eigenes Gesicht und eine Autonomie wiedergewinnen könnten, die nichts zu tun hätte mit dem, was im ethnizistischen Diskurs verhandelt wird. Die Aufhebung der Warenform wäre dann, wie man in Anlehnung an Guy Debord sagen könnte, eine »Kritik der menschlichen Geographie, durch die die Individuen und die Gemeinschaften die Landschaften und die Ereignisse konstruieren müssen, die der Aneignung nicht nur ihrer Arbeit, sondern ihrer gesamten Geschichte entsprechen. In diesem bewegten Raum des Spiels und der freigewählten Variationen der Spielregein kann die Autonomie des Ortes wiedergefunden werden, ohne eine neue ausschließende Bindung an den Boden einzuführen«. [38]

[1] Vgl. dazu Robert Kurz: Politische Ökonomie des Antisemitismus, in Krisis 16/17, Bad Honnef 1995.

[2] Rolf Schwendter: Utopie, Berlin 1994.

[3] Ein Beispiel dafür liefert Schwendter, der selbst einen völlig vagen Utopie-Pluralismus vertritt: »Am extremsten und damit am authentischsten – ist die Antwortvielfalt in der ‘lebenswerten Alternative’ des Briten James Robertson nachzuzeichnen: In diesem Buch verzichtet der Autor explizit darauf eine eigenständige Utopie zu entwerfen, stattdessen legt er den Lesenden seines Buches einen zweidimensionalen Baukasten vor, aus dem eine je spezifische Utopie konstruiert werden kann. Alles in allem erlaubt letztere ungefähr 180 Kombinationen« (Schwendter, a.a.O., S. 28).

[4] Auch Marx selbst weigerte sich zeitlebens, mehr als Andeutungen über eine mögliche »sozialistische« bzw. »kommunistische« Zukunft zu machen. Dies erscheint mir als Ausdruck der enormen Diskrepanz zwischen seiner Kritik an der Warenform einerseits und ihrer beim damaligen Entwicklungsstand der bürgerlichen Gesellschaft in der Tat kaum vorstellbaren praktischen Aufhebung andererseits. Diese Spannung ließ sich damals wohl nur durch eine Aufgabe der Warenformkritik auflösen, wie es Engels im »Anti-Dühring« später tat. Formell proklamiert er dort zwar die Aufhebung des Werts, führt diesen aber hintenherum, über das Herunterrechnen von Arbeitsquanten auf das einzelne Produkt, wieder ein. Darauf werde ich weiter unten noch zurückkommen.

[5] Dies ist der wesentliche Grund für die Unersättlichkeit der warenförmigen Bedürfnisse und für die letztendliche Vergeblichkeit aller sozialarbeiterischen und therapeutischen Anstrengungen.

[6] Dies konstatiert auch die Systemtheorie, allerdings ohne dies als grundsätzlichen inneren Widerspruch warenförmiger Vergesellschaftung zu erkennen. Allenfalls sieht sie darin nicht zu vermeidende Reibungsverluste »moderner GeselIschaften«. Luhmann etwa spricht verklausuliert von »Problemen der Integration, das heißt der geringen Resonanzfähigkeit sowohl zwischen den Teilsystemen der Gesellschaft als auch im Verhältnis des Gesellschaftssystems zu seiner Umwelt« (Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation, Opladen 1986).

[7] So heißt etwa das in der industriesoziologischen Debatte vielbeachtete Buch von Michael J. Piore und Charles F. Sabel in der deutschen Übersetzung: »Das Ende der Massenproduktion – Studie über die Requalifizierung der Arbeit und die Rückkehr der Ökonomie in die Gesellschaft« (Berlin 1985).

[8] So hat die Erstellung einer »Ökobilanz« allein für den Vergleich zwischen Milchtüten und Milchflaschen, wie die Wirtschaftswoche (25.3.94) schreibt, Wissenschaftler aus drei Forschungseinrichtungen dreieinhalb (!) Jahre beschäftigt: »Die Unterlagen füllen neun Aktenordner, bis man schließlich zu dem Ergebnis gelangte, daß die Frage, welches Verpackungssystem das umweltfreundlichere ist, von den jeweiligen Umständen abhängt.« Und dies, obwohl es sich dabei um einfachste Produkte handelt, die nur aus wenigen Stoffen bestehen. »’WoIlte man nach derselben Methode ein technisch komplexes Produkt bilanzieren, etwa eine Waschmaschine mit rund 80 verschiedenen Stoffen, brauchten die Wissenschaftler – rein hypothetisch – rund 70 Jahre für die Erstellung der Ökobilanz’ theoretisiert Ulrich Nissen vom Frauenhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart«.

[9] Die vielfach propagierte »Strategie«, über das individuelle Kaufverhalten gesellschaftliche Veränderungen einzuleiten, dient (abgesehen vielleicht von bestimmten publikumswirksamen Aktionen) letztlich nur der eigenen Gewissensberuhigung und kann daher selbst als eine Form der Ausblendung des laufenden Destruktionsprozesses dechiffriert werden.

[10] Dies ist einer der Aspekte, die Robert Kurz in seiner vor fast zehn Jahren verfassten Kritik an der »Produktivkraftkritik« (Marxistische Kritik 2 und 3, Erlangen 1986 und 1987) nicht ausreichend würdigt.

[11] Otto Ullrich: Weltniveau, Berlin 1979, S. 131. Ullrichs Argumentation ist hier ziemlich inkonsistent. Denn wenn der Grund für die Destruktivität der modernen »Industriegesellschaft« in der Entwicklung der Produktivkraft und der westlichen Naturwissenschaft zu suchen ist, wieso sollten dann die aus der Mikroelektronik resultierenden Probleme heute »ausschließlich auf den gesellschaftlichen Verhältnissen« beruhen. Etwas verklausuliert muss Ullrich hier zugestehen, dass es offenbar doch einen Widerspruch zwischen Produktivkraftentwicklung und Vergesellschaftungsform gibt, woraus er allerdings keine argumentativen Konsequenzen zieht. So bleibt auch seine weitgehende Ablehnung der Mikroelektronik völlig unbegründet und erklärt sich nur aus einer romantisierenden Verklärung der bäuerlich-handwerklichen Lebensweise.

[12] Vgl. etwa Robert L. Thayer, Jr.: Gray World, Green Heart, New York 1994 sowie einige Aufsätze in Franz Nahrada u.a. (Hg.): Wohnen und Arbeiten im Global Village, Wien 1994. Ein interessanter Ansatz in der BRD ist beispielsweise das vom Bauhaus Dessau verfolgte Konzept der »nachhaltigen Regionalentwicklung« (vgl. dazu verschiedene Aufsitze in Stiftung Bauhaus Dessau u.a. (Hg.): Wirtschaft von unten, Dessau 1996). Der Begriff »Sustainability/Nachhaltigkeit« ist allerdings insofern problematisch, als er in seiner Unbestimmtheit offen für jegliche Form affirmativer Besetzung ist. Sehr schnell hat er daher Eingang in den politischen Nullsprech selbst noch der in Bonn »regierenden Masse« (Grass) gefunden, die von »nachhaltigem Wirtschaftswachstum« und anderem Unfug spricht.

[13] Darauf haben auch die Theoretiker der Alternativbewegung (Otto Ullrich, Joseph Huber etc.) insistiert, wenn auch immer von einem mehr oder weniger stark handwerkertümelnden Standpunkt aus. Am interessantesten erscheinen mir die Gedanken von André Gorz in seinem Buch »Wege ins Paradies« (Berlin 1983).

[14] Frederic Vester: Neuland des Denkens, München 1984, S. 41.

[15] Als allgemeine Leitlinie mag dabei gelten, dass nur diejenigen Funktionen und Tätigkeiten an die jeweils nächsthöhere Ebene der gesellschaftlichen Vernetzung delegiert werden, die nach dem Stand der Erkenntnisse und Möglichkeiten sinnvollerweise nicht im lokalen bzw. regionalen Rahmen erledigt werden können. »In any event, imbalances and instabilities permitted to overflow the city’s continuing efforts to maintain homeostatic balance, will have to find their sources of rebalance and restabilization as elements in the larger social system at the next larger scale(s). As part of an overall strategy of ecological and social sustainability, this principle of either seeking balances within the city/system or being accountable for the negotiation of any residual imbalances outward, has the potential for creating successively higher levels of sustainability by starting from the smallest scales within the city. Because of its importance, this principle has also been called the ‘Second Law of Relational Sustainability’« (Richard S. Levine: A Strategy for Negotiating a Sustainable Future – Sustainable Village Implantations, in: Franz Nahrada (Hg.): Wohnen und Arbeiten im Global Village, Wien 1994, S. 208).

[16] Einige Überlegungen in diese Richtung finden sich bei Willy Bierter: Mehr autonome Produktion – weniger globale Werkbänke, Karlsruhe 1986. Zum Bereich der Energieversorgung vgl. etwa Hermann Scheer: Sonnen-Strategie, München 1993. Scheer stellt ausführlich dar, dass eine Dezentralisierung der Energieversorgung (und damit zusammenhängend der gesamten Produktion) nicht nur möglich ist, sondern sich sogar geradezu aufzwingt, wenn ausschließlich regenerative Energiequellen (Sonne, Wind, Biomasse, Fließwasser etc.) genutzt werden.

[17] Um nur ein Schlaglicht zu werfen: Allein 40 Prozent des Welthandels betreffen Produktbewegungen innerhalb der transnationalen Konzerne (Wirtschaftswoche, 16.9.1994). Nicht enthalten sind in dieser Zahl die unzähligen Transportvorgänge zwischen den Produktionsorten der Unternehmen innerhalb eines Landes und zwischen diesen und den Weltweit verstreuten Zulieferbetrieben. Hinzu kommen noch die Vertriebswege im globalen Maßstab und natürlich auch die vielen »Geschäftsreisen« vornehmlich per Flugzeug und Auto.

[18] So ist etwa in den letzten Jahren der Zeppelin als in jeder Hinsicht ökologisch sinnvolle Alternative zum Flugzeug wiederentdeckt worden. Aufgrund seiner relativ geringen Geschwindigkeit hat er aber unter Marktbedingungen keine Chance.

[19] Vgl. dazu Johanna W. Stahlmann: Die Quadratur des Kreises, in Krisis 8/9 (Erlangen 1990) sowie Robert Kurz: Der Kollaps der Modernisierung, Frankfurt/M. 1991

[20] Die westlichen Debatten im Umfeld des Keynesianismus blende ich hier ganz aus, denn sie waren insofern immer schon oberflächlicher, als sie sich nicht einmal bemühten, das Problem der Warenform überhaupt zu reflektieren.

[21] MEW 20, S. 288, Berlin 1971.

[22] Hinter dieser banalisierten Kritik steht ein empiristisch verkürzter Wertbegriff. In Engels’ Lesart ist der »Wert« buchstäblich eine materielle Substanz (nämlich vergegenständlichte »Arbeitsquanten«), die sich in den Produkten ausfindig machen lasse. Er kritisiert gewissermaßen nur, dass der quasi-physikalische Analyseprozess durch das Geld verunreinigt werde.

[23] Ich denke hier etwa an die rätekommunistische Vereinigung »Gruppe Internationaler Kommunisten Hollands«, die im Jahr 1931 ein umfangreiches Werk mit dem Titel »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung« vorlegte (nachgedruckt bei Rowohlt Klassiker, Reinbek 1971). Sie beharren einerseits auf der »gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeit« als allgemeinem Maßstab der Produktionsberechnung und Verteilung, verklären dies sodann aber zu einem »unmittelbaren Verhältnis der Produzenten zum gesellschaftlichen Produkt« und schließen daraus wiederum, es gebe in einer solchen Gesellschaft nicht die Notwendigkeit eines »Apparats… der sich über die Produzenten erhebt« (S. 28 f.). Dies bleibt allerdings unbegründete Wunschvorstellung.

[24] Es würde zu weit führen, dies hier ausführlich darzustellen.

[25] Ebenso wenig zeugt es übrigens von grundsätzlichen Fehlern in der Marxschen Wertkritik, wie dies in der sogenannten »Wert-Preis-Transformationsdebatte« immer wieder behauptet wurde, die sich letztlich von der positivistischen Werttheorie à la Engels abstößt. Wer meint, den »Wert« buchstäblich aus den Arbeitsprodukten herausdestillieren zu können, sitzt einem empiristischen Fehlschluss auf, denn es handelt sich dabei nicht um ein »Ding«, sondern um die gesellschaftliche Verkehrsform, die nicht unmittelbar an den Waren erscheinen kann.

[26] Piero Sraffa: Warenproduktion mittels Waren, Frankfurt 1976 (1960).

[27] Von Kuppelproduktion spricht man dann, wenn in einem gemeinsamen Produktionsprozess (oder Produktionszweig) verschiedene Endprodukte entstehen.

[28] Sraffa, a.a.O., S. 81. Dieses Problem ist im übrigen auch in der Betriebswirtschaftslehre bekannt, allerdings unter der Fragestellung einer Zurechnung von »Kosten« in der Produktkalkulation. Eine theoretisch eindeutige Lösung für dieses Problem konnte nie gefunden werden, weshalb man hier mit pragmatischen, mehr oder weniger schlüssigen Hilfsverfahren operiert (vgl. dazu etwa Wolfgang Kilger: Einführung in die Kostenrechnung, Wiesbaden 1980, S. 354-356).

[29] Vgl. Sraffa a.a.O., S. 89 ff. Ein aktuelles Beispiel für die Unmöglichkeit des »Herunterrechnens«, auf das ich oben bereits verwiesen habe, sind die sogenannten »Ökobilanzen« für einzelne Produkte.

[30] Vgl. Vester a.a.O., S.81 – 86.

[31] Karl Korsch: Was ist Sozialisierung?, in ders. Schriften zur Sozialisierung, Frankfurt 1969, S. 25.

[32] Dennoch sind der staatssozialistische und der rätedemokratische Ansatz nicht einfach identisch. Letzterer stellt zumindest den Versuch der Rücknahme des Staates in die Gesellschaft dar. Daher bietet er auch durchaus Anknüpfungspunkte für eine Perspektive nachwarenförmiger Vergesellschaftung.

[33] Zum Staatsozialismus und zur »negativen Konkurrenz« vgl. ausführlicher Johanna W. Stahlmann: Die Quadratur des Kreises, in Krisis 8/9, Erlangen 1990; zum jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus vgl. Ernst Lohoff: Vom ideellen Gesamtkapitalisten zum reellen Gesamtkriminellen, in Krisis 14, Bad Honnef 1994.

[34] In solche Formen neuer kommunitärer Organisation werden sicherlich die unterschiedlichen Erfahrungen, die im Laufe der Geschichte auf diesem Gebiet angesammelt wurden, einfließen, andererseits werden sie aber auch der stattgefundenen Individualisierung Rechnung tragen müssen. Wie sich eine nicht-warenförmige, selbstreflexive und nicht auf der abstrakte Ich-Identität pochenden Individualität entwickeln kann, lässt sich natürlich nicht vorwegnehmen.

[35] So etwa auch Vester: »Ganz gleich also, ob es sich bei solchen Systemen um Moleküle, Amöben, Menschen, Maschinen oder Wirtschaftsunternehmen handelt, ihrem Kontrollmechanismus musste eine gemeinsame Basis zugrunde liegen. Diese Basis ist heute das eigentliche Forschungsobjekt der Kybernetik« (Frederic Vester, a.a.O., S. 59.)

[36] Dazu Frederic Vester: »Bei meinen Seminaren verwende ich oft einen einfachen Papiercomputer, eine Matrix’, in der die wichtigsten Einflussgrößen eines Systems und deren Wirkungen aufeinander (grob unterschieden in keine, schwache und starke Wirkungen) eingetragen sind. Eine einfache Kalkulation mit Hilfe von Division und Multiplikation ergibt dann einen Index, der unmittelbar zeigt, welches die kritischen und welches die puffernden Größen eines Systems sind. Die Teilnehmer und auch ich selbst sind immer wieder überrascht, wie schon das bloße Nachdenken auf dieser Ebene der Vernetzungen, das Suchen nach den beteiligten Faktoren und ihrer Wirkungsweise den Blick für kybernetische Zusammenhänge schärft. Diese Erfahrungen bestärken mich in der Gewissheit, dass der Mensch das in anderen Bereichen so gut funktionierende vernetzte Denken auch beim Erfassen von Systemen und ihrer Planung in kürzester Zeit erlernen kann, wenn man ihm nur Gelegenheit dazu gibt (Vester, a.a.O., S. 76).

[37] Das bedeutet natürlich nicht den Verzicht auf Fachleute in den verschiedenen technischen, wissenschaftlichen, medizinischen und ähnlichen Bereichen, auch wenn die gegenwärtige Hyperspezialisierung und Vereinseitigung sicherlich rückgängig gemacht werden muss. Der »Herrschaft der Experten« wäre aber mit der Aufhebung von Markt und Staat die materielle Grundlage entzogen.

[38] Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Hamburg 1978 (1967), S. 99.

aus: krisis 18, Dezember 1996.

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